Eine runde Sache
Es gibt mehrere grundlegende Mechanismen, die eine Anämie bedingen können: Zum einen kann der Mangel an Erythrozyten und/oder Hämoglobin durch eine gestörte Blutbildung im Knochenmark verursacht sein, zum anderen kann ein verstärkter Abbau von Erythrozyten oder ein vermehrter Verlust die Blutarmut hervorrufen. Außerdem kann auch eine mikrozytäre Anämie vorliegen. Sie ist charakterisiert durch auffallend kleine Erythrozyten.
Erniedrigter Hämoglobinwert
Zu diagnostizieren ist eine Anämie entsprechend der WHO-Definition über die Hämoglobinkonzentration (Hb-Wert). Der Wert liegt bei gesunden Frauen bei mehr als zwölf und bei gesunden Männern bei mehr als 13 mg/dl. Bei Kindern ist von einer Anämie auszugehen, wenn beispielsweise bei Kleinkindern ein Hb-Wert unter 10,5, bei Sechs- bis Achtjährigen unter 11,3 und bei Neun- bis Elfjährigen unter 11,7 mg/dl gemessen wird.
Neben dem Hämoglobin-Wert dient ferner der Hämatokrit, ein Wert, der das Verhältnis von festen Blutzellen zum flüssigen Anteil des Blutes wiedergibt, der diagnostischen Abklärung sowie das MCV (mittleres korpuskuläres Volumen), das die durchschnittliche Größe respektive das Volumen eines Erythrozyten angibt. Relevant ist ferner das MCH (mittleres korpuskuläres Hämoglobin).
Dieser Wert zeigt an, wie viel Hämoglobin in einem roten Blutkörperchen enthalten ist. Hinweisend auf die Ursache der Anämie kann ferner die Bestimmung der Retikulozytenzahl sein, da Veränderungen der Zahl dieser unreifen Erythrozyten-Vorstufe auf eine Störung der Blutbildung im Knochenmark hinweisen können.
Zeigen die Laborwerte entsprechende Auffälligkeiten, ist in der Folge durch weiterführende Untersuchungen nach den Ursachen der Anämie zu fahnden – beispielsweise beim Verdacht auf Blutungen durch Stuhluntersuchungen auf okkultes Blut oder zur Abklärung eines Eisenmangels durch die Bestimmung des Serumferritins.
Symptome der Blutarmut
Die charakteristischen Symptome der Anämie entwickeln sich oft schleichend. Sie sind im Wesentlichen durch die bei der eingeschränkten Blutversorgung verminderte Verfügbarkeit von Sauerstoff und Nährstoffen in den Organen bedingt.
Bemerkbar macht sich die Anämie oft durch eine auffallende Blässe, eine eingeschränkte Leistungskraft, eine rasche Ermüdbarkeit, anhaltende Müdigkeit und Abgeschlagenheit und allgemeine Schwäche. Außerdem können eine Belastungsdyspnoe, Palpitationen, Kopfschmerzen und Schwindel hinweisend sein. Auch beim Vorliegen von Aphthen und Mundwinkelrhagaden, bei Klagen über Haarausfall sowie bei einer löffelförmigen Deformität von Finger- und Zehennägeln (Kollonychie) bei Kindern ist an eine Anämie zu denken.
Eine Blutarmut als Ursache ist ferner abzuklären, wenn Kinder Wachstums- und Gedeihstörungen zeigen, wenn eine glatte atrophische Zunge auffällig ist und/oder wenn es zu einer Pica kommt, einer Essstörung, bei der ungenießbare Substanzen verzehrt werden. So kann es auf eine durch einen Eisenmangel bedingte Anämie deuten, wenn Kinder den Drang verspüren, Geldmünzen oder zum Beispiel Erde zu essen.
Potenzielle Ursachen
Eine häufige Ursache einer Anämie sind Blutverluste infolge akuter oder chronischer Blutungen. Oft handelt es sich hierbei um unerkannte Blutungen, beispielsweise infolge von Magen- oder Darmläsionen oder infolge einer Divertikulitis. Aber auch eine starke Menstruation kann bei Frauen auf lange Sicht der Entwicklung einer Anämie Vorschub leisten.
Im Fall einer vergrößerten Milz kommt zudem ein verstärkter Abbau von Erythrozyten als Grund infrage, und bei der diagnostischen Abklärung ist auch an die Möglichkeit einer verstärkten Hämolyse beispielsweise durch angeborene Störungen zu denken.
Hierzulande selten, jedoch weltweit eine der häufigsten Ursachen einer Anämie ist ein Befall des Darmes mit Parasiten, insbesondere mit Hakenwürmern. Sie können sich im Darm festsetzen und Blut aus den Darmzotten saugen. Hakenwürmer sind vor allem in den Tropen und in den Subtropen verbreitet, zu denken ist folglich an eine solche Ursache einer Anämie nach Reisen in entsprechende Regionen. Ferner können wie im Fall der autoimmun-hämolytischen Anämie auch Autoimmunprozesse die Blutarmut bedingen.
Neben dem verstärkten Abbau oder Verlust von Blut oder Erythrozyten kann auch eine gestörte Blutbildung im Knochenmark ursächlich sein. Die gestörte Blutbildung kann durch Erkrankungen des Knochenmarks wie etwa eine aplastische Anämie, ein myelodysplastisches Syndrom oder auch eine kongenitale dysplastische Anämie bedingt sein. Außerdem können Tumorerkrankungen wie Leukämien und Lymphome, die die Blutbildung beeinträchtigen, eine Anämie hervorrufen.
Oftmals treten entsprechende Veränderungen zudem in Assoziation mit chronischen Erkrankungen, wie beispielsweise rheuma-tischen Erkrankungen, chronischen Nierenerkrankungen oder chronisch entzündlichen Darmerkrankungen wie dem Morbus Crohn, auf. Ursächlich kann auch per se nur ein chronisch entzündlicher Prozess sein oder beispielsweise bei Nierenerkrankungen ein Mangel des Hormons Erythropoetin, das die Blutbildung im Knochenmark stimuliert. Auch können Infektionskrankheiten wie beispielsweise eine Tuberkulose mit einer Anämie einhergehen. Diese kann ferner durch Medikamente wie etwa Zytostatika ausgelöst werden.
Weitaus häufiger aber ist eine Anämie die Folge eines Mangels an wichtigen Nährstoffen oder Mineralien wie zum Beispiel Eisen oder Vitaminen. So ist Eisen zur Bildung des Hämoglobins unerlässlich, Vitamin B12 sowie Folsäure spielen eine wichtige Rolle bei der Reifung der Erythrozyten im Knochenmark.
Eisenmangelanämie
Die häufigste Anämie-Ursache ist ein Eisenmangel, rund 80 Prozent aller Fälle werden Schätzungen zufolge auf einen Eisenmangel zurückgeführt. Fehlt jedoch Eisen, können keine ausreichenden Mengen an Hämoglobin gebildet werden. Zu differenzieren ist dabei zwischen einem latenten Eisenmangel mit vermindertem Speichereisen, doch ohne funktionelle Auswirkungen und einem klinisch manifesten Eisenmangel mit vermindertem Gesamtkörpereisen und Hinweisen auf eine behinderte Erythropoese. Ferner kann ein klinisch manifester Eisenmangel mit normalem oder erhöhtem Gesamtkörpereisen vorliegen, wenn eine Eisenverwertungsstörung besteht.
Der gesunde Mensch nimmt im Normalfall täglich 1 bis 2 mg Eisen aus der Nahrung auf und verliert Eisen in gleicher Menge über Hautabschilferungen oder geringe Blutverluste, so dass im Allgemeinen ein Steady State vorliegt. Bei erhöhtem Bedarf – etwa durch Wachstum bei Kindern, in der Schwangerschaft, infolge von Blutungen – kann die Eisenaufnahme aus der Nahrung vom Organismus gesteigert werden, um die Verluste zu kompensieren.
Das aufgenommene Eisen findet sich im Körper zur Hauptsache im Hämoglobin und in geringeren Mengen im Myoglobin als Kofaktor von Enzymen und in Ferritin als Depoteisen gebunden. Ursache einer Eisenmangelanämie kann eine reduzierte Eisenresorption oder auch eine Eisenverwertungsstörung sein.
Gesteuert wird die systemische Eisenhomöostase durch das in der Leber gebildete Peptidhormon Hepcidin, das inhibitorisch auf die Resorption wirkt. Wird beispielsweise getriggert durch inflammatorische Prozesse und vermittelt durch Interleukine vermehrt Hepcidin in der Leber gebildet, so kann das eine reduzierte Eisenaufnahme im Dünndarm nach sich ziehen und so einer Eisenmangelanämie Vorschub leisten. Das erklärt, warum chronisch entzündliche Erkrankungen wie der Morbus Crohn oder eine rheumatoide Arthritis oft mit einer Anämie assoziiert sind.
Häufiger allerdings sind Mangel- und Fehlernährungen die Ursache einer solchen Störung. So weisen laut Angaben in den Leitlinien zehn bis 15 Prozent der Kinder in Europa einen Eisenmangel auf. Generell ist eine eisenarme, beispielsweise eine streng vegetarische oder sogar vegane Ernährung einer der wesentlichen Gründe für einen ernährungsbedingten Eisenmangel.
Weitere Ursachen der Eisenmangelanämie können eine verminderte duodenale Resorption beispielsweise aufgrund einer Zöliakie sein sowie ein chronischer Blutverlust etwa infolge starker Menstruationen oder auch häufiger Gingivablutungen. Außerdem können der Störung genetische Ursachen wie eine sogenannte eisenrefraktäre Eisenmangelanämie zugrunde liegen.
Den Eisenmangel beheben
Die Behandlung der Eisenmangelanämie richtet sich nach den Ursachen der Störung. So ist bei einem symptomatischen Eisenmangel primär eine adäquate Behandlung der Grunderkrankung zu gewährleisten. Beruht die Störung hingegen auf einer Fehlernährung, so ist primär eine Ernährungsumstellung angezeigt mit verstärktem Verzehr von Nahrungsmitteln, die reich an gut resorbierbarem Eisen sind. Dazu gehören vor allem Fleisch, Milch und Eier, Fisch sowie Nüsse, Hülsenfrüchte und Getreide. Außerdem ist eine ausreichende Versorgung mit Vitamin C wichtig, da dieses Vitamin die Resorption von Eisen erleichtert.
Zu erwägen ist ferner eine medikamentöse Eisensubstitution, wobei entsprechend der Leitlinien nur zweiwertige Eisen-Ionen zur Substitution kommen sollten. Zu beachten ist, dass die Präparate nüchtern und nicht zusammen mit Milch, Tee oder Kaffee einzunehmen sind. Pharmakologisch weniger gut sind dreiwertige Eisen-Ionen geeignet, da diese vor der Resorption zu zweiwertigen Ionen reduziert werden müssen. Die Eisensubstitution sollte bei einem manifesten Eisenmangel für mindestens drei Monate erfolgen, um für eine Normalisierung des Hb-Wertes und auch für ein Auffüllen der entleerten Eisenspeicher zu sorgen.
Angeborene Erkrankungen
Anämien können auch im Rahmen angeborener Erkrankungen manifest sein. Zu diesen Erkrankungen zählen unter anderen die Sphärozytose, die auf einem Membran- defekt der roten Blutkörperchen beruht, die Sichelzellanämie als qualitative Hämoglobinveränderung und die Thalassämie als quantitative Störung der Hämoglobinsynthese. Darüber hinaus können spezielle Gendefekte eine schwere Anämie verursachen wie beispielsweise die im Nachfolgenden eingehender dargestellte Fanconi-Anämie.
Fanconi-Anämie
Die Fanconi-Anämie wurde benannt nach dem Schweizer Pädiater Guido Fanconi, der die Erkrankung erstmals im Jahr 1927 beschrieb. Es handelt sich um eine sehr seltene Erbkrankheit, die durch das zunehmende Versagen des blutbildenden Knochenmarks charakterisiert ist. Es resultiert ein starker Mangel an Erythrozyten, aber auch Leukozyten und Thrombozyten und damit eine schwere fortschreitende aplastische Anämie.
Die Störung beruht auf einer Instabilität der Chromosomen, die zu Brüchen neigen. Sie wird daher auch als „Chromosomenbruchsyndrom“ bezeichnet. Die Zahl der Erkrankten wird in Deutschland auf rund 200 geschätzt, weltweit liegt die Prävalenz bei 1-5/1 000 000 Einwohnern. Ausprägung und auch Schweregrad der Erkrankung können dabei individuell unterschiedlich sein. Konkret sind derzeit je nach Lokalisation des Gendefekts 15 verschiedene Krankheitsformen bekannt.
Die Folgen für die Kinder sind vielfältig. Sie haben im Allgemeinen eine kleine Statur, einen kleinen Kopfumfang und rund zwei Drittel der Betroffenen weisen angeborene Fehlbildungen auf. Dazu gehören Anomalien des Skelettsystems wie eine Hüftdysplasie, eine Skoliose sowie Radiusstrahldefekte. Häufig bestehen ferner auffällige Hautpigmentierungen sowie eine gestörte Funktion der endokrinen Drüsen und auch Fehlbildungen der Geschlechtsorgane und eine Infertilität.
Nicht selten werden die Veränderungen jedoch erst spät erkannt und die Erkrankung wird praktisch erst über Komplikationen der Anämie entdeckt. Denn diese geht mit einem erhöhten Infektions- und auch mit einem erhöhten Blutungsrisiko einher, wobei potenziell lebensbedrohliche Komplikationen bis hin zur schweren Pneumonie und zur Hirnblutung drohen. Außerdem besteht ein deutlich erhöhtes Krebsrisiko.
Behandlung in spezialisierten Zentren
Die Behandlung von Kindern mit Fanconi-Anämie sollte unbedingt in einem spezialisierten Zentrum erfolgen. An der Entwicklung einer Gentherapie als wichtige kausale Therapieoption wird intensiv gearbeitet, eine solche Behandlung ist bislang jedoch nicht möglich. Allerdings kann bei fortschreitendem Knochenmarkversagen eine Knochenmark- oder Stammzelltransplantation erwogen werden, sofern ein passender Spender gefunden wird.
Ansonsten besteht die Therapie im Wesentlichen in supportiven Maßnahmen und einer symptomatischen Behandlung. Die Palette reicht von der Behandlung mit Androgenen und eventuell auch Steroiden zur Stimulation der Blutbildung über Bluttransfusionen, die Gabe von Wachstumsfaktoren wie dem G-CSF (Granulozyten-stimulierender Faktor), der die Blutbildung anregt, bis hin zur operativen Korrektur von Fehlbildungen.