Grober Unfug
In den vergangenen Jahren verabschiedete der Gesetzgeber etliche Regelungen für das Gesundheitswesen, die Erfahrene ihre Stirn runzeln ließ. Viele dieser Regelungen haben sich in der Wirklichkeit als entsprechend negativ und nicht zielführend erwiesen. Nun hat das, was man getrost „groben Unfug“ nennen könnte, einen Höhepunkt erreicht, der kaum noch zu überbieten sein dürfte.
Mit dem GKV-Finanzstruktur- und Qualitäts-Weiterentwicklungsgesetz, kurz GKV-FQWG, wird eine neue Finanzstruktur der GKV verankert. Der Beitragssatz wird gesenkt, der Arbeitgeberbeitrag auf diesem niedrigeren Niveau auf unbestimmte Zeit eingefroren. Die von den Beitragszahlern bisher allein zu tragenden 0,9 Prozent-Punkte entfallen.
Logischerweise muss dieses Finanzloch durch vom Beitragszahler allein aufzubringende, einkommensabhängige Zusatzbeiträge geschlossen werden.
Dies ist vorerst das Ende der paritätischen Finanzierung und belastet allein die Beitragszahler. Dieser ist aber auch der Steuerzahler – in diesem Staat der Zahler schlechthin. Dummerweise hat er aber nur ein Portemonnaie, was die Politik offensichtlich vergessen hat.
In den parlamentarischen Beratungen zum GKV-FQWG wurde von den Regierungsfraktionen ein Änderungsantrag eingebracht, nach dem die Krankenkassen, wenn sie einen Zusatzbeitrag erheben, ihre Mitglieder per Brief auf preiswertere Konkurrenten, auf die Tabellen des GKV-SV aufmerksam machen müssen. Man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, was nun geschehen wird: Die Folge wird sein, dass keine Krankenkasse zu den ersten gehören will, die einen Zusatzbeitrag erhebt, denn hier beißen die ersten die Hunde.
Alles, was nicht notwendig ist, wird jetzt eingespart, ob nun strukturelle Neuerungen oder auch Leistungsverbesserungen, Projekte werden gestoppt oder verschwinden in der Schublade. Der GKV-SV wird unter Druck der Krankenkassen geraten, die Verhandlungen mit den Leistungserbringern und der Industrie dürften noch um einen Zacken härter werden. Als Motoren dieses Änderungsantrags werden immer wieder Jens Spahn und Karl Lauterbach genannt.
Man stelle sich vor, beim Autokauf müsste der Händler auf preiswertere Mitanbieter hinweisen, oder dasselbe würde der Gesetzgeber der PKV vorschreiben. Welch’ ein merkwürdiges Verständnis von Wettbewerb! Diese Regelung ist vor allem auch der frühe Tod eines Qualitätswettbewerbs. Was hier zerschlagen wird, kann kein Qualitätsinstitut wettmachen.
Auch von Bürokratieabbau kann angesichts dieser Vorschrift im § 175 neu SGB V nicht die Rede sein, zudem wird es Geld kosten, das besser in die Versorgung investiert wäre. Nicht jede Krankenkasse ist gleich finanzstark, die großen Versorgerkassen haben zudem eine „schlechtere“ Versichertenklientel, diese zahlen zumeist geringere Beiträge und verursachen mehr und teurere Leistungen, was nicht alles von RSA und Morbi-RSA ausgeglichen wird. Ihnen dürfte am ehesten die Puste ausgehen, sie werden als erste Zusatzbeiträge erheben müssen. Wenn sie dann auf günstigere Mitbewerber hinweisen müssen, wird die Mitgliederwanderung noch stärker als in den vergangenen Jahren aufschwellen.
Gerät eine der großen Krankenkassen ins Trudeln, wird das, was wir mit der City BKK erlebt haben, ein laues Lüftchen gewesen sein, denn dann bricht ein Sturm los. Eine große insolvente Kasse löst die sogenannte Kaskadenhaftung aus, die letztlich die gesamte GKV gefährden könnte. Ob dies das Ziel der oben genannten Regelungen war – von den einen, um die Einheitsversicherung durchzusetzen, von den anderen, um die GKV zu beerdigen? Negativ wirken sie sich auf jeden Fall für die BürgerInnen, für die Krankenkassen, die Leistungserbringer und vor allem die PatientInnen aus. Dies kann nicht das Ziel von Gesundheitspolitik sein.
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