Leitartikel

Wechselspiel

pr

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

wo viel Licht ist, gibt es im Wechsel naturgemäß auch Schatten. Das zeigt sich bei den Plänen zum GKV-Versorgungsstärkungs-gesetz (GKV-VSG), zu dem das Bundesgesundheitsministerium jetzt einen Referentenentwurf vorgelegt hat.

Der Plusfaktor: Mit dem neu zu schaffenden § 22a SGB V hat das Ministerium den Vorstoß der Zahnärzteschaft aufgenommen, ein zahnärztliches Präventionsmanagement für Pflegebedürftige, Menschen mit Behinderungen und Menschen mit dauerhaft eingeschränkter Alltagskompetenz einzuführen. Hierdurch will man für diesen Patientenkreis einen Anspruch zur Verhütung von Zahnerkrankungen schaffen. Damit ist ein Vorschlag der Zahnärzteschaft übernommen worden, mit dem die Prävention für Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderungen nachhaltig verbessert werden soll. Das belegt, dass unsere politische Arbeit erfolgreich war und dass das Konzept von BZÄK und KZBV „Mundgesund trotz Handicap und hohem Alter“ – das AuB-Konzept – weitere Umsetzungserfolge verbuchen kann.

Es zeigt sich, dass die bisherigen ersten – und für uns noch lange nicht ausreichenden – gesetzlichen Schritte zur Versorgung dieser sensiblen Patientengruppen von der Politik fortgeführt und weitergedacht wurden: Mit dem Versorgungsstrukturgesetz wurde seinerzeit die Aufnahme einer neuen Leistung für die aufsuchende Betreuung von Patienten zu Hause oder in einer stationären Einrichtung in den GKV-Katalog übernommen. Im Pflegeneuausrichtungsgesetz wurde die Versorgung von Pflegebedürftigen geregelt, die in stationären Einrichtungen leben. Jetzt geht es also weiter, und das ist gut so.

Gut ist auch die Zielsetzung des Gesetzgebers, medizinische Behandlungszentren zur ambulanten zahn- und allgemeinmedizinischen Behandlung von Erwachsenen mit geistiger Behinderung oder schwerer Mehrfachbehinderung zu ermächtigen.

Doch die Regelung ist – und jetzt wechsele ich zur Schattenseite – für die Zahnärzteschaft zu kurz gegriffen: Ob für diese Patienten dadurch eine flächendeckende Verbesserung der zahnärztlichen Betreuung erreicht werden kann, ist aus unserer Sicht zweifelhaft. Denn immerhin bestehen im Bereich der Zahnmedizin seit Jahren Schwierigkeiten bei der Sicherstellung einer ausreichenden anästhesiologischen Versorgung dieser Patienten. Aus unserer Sicht ist es daher erforderlich, dass in diesen Zentren neben Vertragszahnärzten auch vertragsärztliche Narkoseärzte tätig sind.

Kritische Aspekte zum Gesetzesvorschlag ergeben sich auch bei der systemischen Betrachtungsweise: In den Plänen ist vor- gesehen, die Freiräume von Krankenkassen im Vertragswettbewerb in Richtung Selektivverträge zu erweitern. Im Rahmen von Neustrukturierungen sollen darüber hinaus die bürokratischen Hemmnisse für die Kassen abgebaut werden. Wir müssen befürchten, dass sich mit solchen Tendenzen die Balance zulasten der Kollektivverträge verschiebt. Selektivverträge könnten so zu einem Wettbewerbsvorteil führen, der die flächendeckende und wohnortnahe Versorgung der Patienten gefährdet. Das kann auch nicht im Sinne der vertragszahnärztlichen Versorgung sein.

Ein großer Wermutstropfen ist weiterhin der Aspekt, dass mit dem geplanten Gesetz die Anreize für eine Niederlassung von Ärzten in eigener Praxis deutlich nach unten gehen. Dazu gehören die Pläne, Krankenhäuser in strukturschwachen Gebieten für die ambulante Versorgung zu öffnen. Ob sich unter diesen Voraussetzungen junge Ärzte in die freie Niederlassung in unterversorgten Regionen begeben und der Konkurrenz der Krankenhäuser aussetzen wollen, ist für mich fraglich. Und mit dem geplanten Zwangsaufkauf von Arztpraxen wird es jungen Ärzten zunehmend schwerer fallen, eine eigene Praxis zu gründen. Zwar sind die Zahnärzte von solchen Regelungen nicht betroffen. Dennoch ist dies ein Stolperstein für eine durch Freiberuflichkeit gekennzeichnete, gut funktionierende medizinische Versorgung in diesem Land – und aus systemischer Sicht ein absolutes „no go“!

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Wolfgang EßerVorsitzender des Vorstandes der KZBV

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