Gastkommentar

Landlust bei Ärzten

zm
Dem Medizinermangel auf dem Lande kommt man mit praxisfernen Konzepten made in BMG nicht bei, meint Thomas Grünert, Chefredakteur bei Vincentz Netzwork in Berlin. Und wirft den Blick auf Initiativen aus der Ärzteschaft. Bei ihnen sehe man am besten, wie man Versorgungsprobleme lösen kann.

Landlust liegt im Trend. Große, farbige Illustrierte, die das naturnahe Leben jenseits der großen Ballungszentren schmackhaft machen, gehen derzeit weg wie warme Semmeln. Anders sieht es da mit ländlichen Arztpraxen aus. Trotz des 2012 geltenden sogenannten Landarztgesetzes, das das Niederlassen in „strukturschwachen“ Gebieten mit finanziellen Anreizen versehen sollte, wird die Versorgungslage dort immer bedrohlicher. In einer aktuellen Studie präsentierte die Bertelsmann-Stiftung eine „besorgniserregende Fehlverteilung“ in der Versorgung zwischen Land und Stadt. Der Sachverständigenrat für die Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen schlägt ebenso Alarm. Und die Politik? Die bastelt offenbar an einem neuen „Landarztgesetz“, das im Herbst kommen soll. Den Auguren zufolge soll darin den Kommunen eine stärkere Verantwortung bei der ärztlichen Versorgung übertragen werden. Die Zuversicht, das Problem in den Griff zu bekommen, hält sich in Grenzen.

Aber! Fast wäre man geneigt, aus Asterix zu zitieren: „Da gibt es ein kleines gallisches Dorf…“ Nur in unserem Beispiel ist es kein Dorf, sondern eine Stadt und liegt in Brandenburg. Neuruppin, die Geburtsstadt Theodor Fontanes. Hier haben sich getreu dem Motto des Dichters „Am Mute hängt der Erfolg“ schon 2010 einige Visionäre aus Kliniken und Ärzteschaft zusammengefunden, dem Medizinermangel im Lande auf ganz eigene Weise zu begegnen. Nach dem Muster der Uni Witten/Herdecke und mit Unterstützung ihres Gründers Dr. Konrad Schily bauten sie eine eigene medizinische Hochschule auf. Gerade erfolgte die Genehmigung. Spätestens im Frühjahr nächsten Jahres werden dort nun Mediziner ausgebildet – mit dem erklärten Ziel und Wunsch, später auch in der Region tätig zu werden. Verlassen in etwa sechs Jahren die ersten Absolventen die Hochschule, die stolz den Namen „Theodor Fontane“ trägt, werden dort bereits regelmäßig 500 Studenten in der Ausbildung sein – sehr praxisnah in Kliniken und bei Ärzten vor Ort. Das Beispiel zeigt ideal, dass aus der ärztlichen Profession heraus Ideen entwickelt werden, mit denen Versorgungsprobleme zu lösen sind.

Viel wäre geholfen, wenn die Politik – besonders auch die Kommunalpolitik – sich mehr in der Gestaltung besserer Rahmenbedingungen engagieren würde. Viel wäre auch geholfen, wenn die Versorgungskonzepte aus dem Elfenbeinturm hochtreibender wissenschaftlicher Exzellenzideen und von einem praxisbehindernden Management- und Leitlinienwahn befreit würden. Das bedeutet keineswegs, dass Qualität und Innovationskraft verloren gingen. Diese sind unmittelbarer Bestandteil der ärztlichen Profession. Besonders dort, wo es noch eine enge Arzt-Patienten-Beziehung gibt.

Natürlich gibt es auch andere gute Beispiele, wie die „Perspektive Hausarzt Baden-Württemberg“, die vom Hausärzteverband, dem Land und der Techniker Krankenkasse vorangetrieben wird, oder eine Initiative in Schleswig-Holstein, wo ein ehemaliger Klinik-Geschäftsführer Bürgermeister berät, wie sie Ärzte finden, die sich in ihren Gemeinden niederlassen. Oft spielt dabei Vernetzung eine Rolle, neue Kooperationen werden erprobt, Rahmenbedingungen geschaffen, die auch den heutigen Erwartungen junger Mediziner an Lebensqualität und Freizeit nicht entgegenstehen. Wobei es manchmal aber auch um die Gelegenheit zu gehen scheint, besonders galant an selektivvertragliche Strukturen zu kommen oder Versorgungswege zu kanalisieren. Das muss nicht immer schlecht sein, sollte aber aus der Perspektive ärztlicher Verantwortung gestaltet werden und nicht aus ökonomisch-taktischen Erwägungen von Kostenträgern.

Schafft es die Politik, der ärztlichen und zahnärztlichen Profession mehr Unterstützung und Gestaltungsspielraum in Versorgungs- und Ausbildungsfragen zu geben, kann das perspektivisch helfen, dem Damoklesschwert Unterversorgung zu entgehen.

Gastkommentare entsprechen nicht immer der Ansicht der Herausgeber.

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