Der besondere Fall

Osteomyelitis bei einer schwangeren Patientin

Der geschilderte Fall demonstriert beispielhaft die komplexe Behandlung einer schwangeren Patientin.

Eine 31-jährige schwangere Patientin in der neunten Schwangerschaftswoche (SSW) stellte sich mit einer Schwellung im Bereich der rechten Gesichtshälfte in der Klinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie in Marburg vor (Abbildung rechte Seite).

Erwähnenswert ist die Tatsache, dass sich die Patientin bereits etwa eineinhalb Jahre zuvor mit einem rechtsseitigen paramandibulären Abszess ausgehend von den Zähnen 46 und 47 in stationärer Behandlung befand. Zum damaligen Zeitpunkt war die Patientin nicht schwanger. Die Ursache des Abszesses war die Einleitung einer Wurzelkanalbehandlung der Zähne 46 und 47 durch den behandelnden Zahnarzt gewesen. Die intraorale Abszessinzision in Lokalanästhesie mit Einlage einer Drainage war erfolgt, die stationäre Aufnahme der Patientin und die Einleitung einer intravenösen antimikrobiellen Therapie mit Clindamycin 600 mg dreimal/dies aufgrund einer subjektiv angegebenen Penicillinunverträglichkeit der Patientin. Im weiteren Verlauf erfolgte die endodontische Weiterbehandlung der Zähne 46 und 47 durch die Abteilung für Zahnerhaltung der Universitätszahnklinik Marburg.

Die klinische Untersuchung zeigte zum aktuellen Aufnahmezeitpunkt eine extra-orale, druckschmerzhafte Schwellung im Bereich der rechten Gesichtshälfte ohne palpierbare Fluktuation. Der Mundboden war nicht angehoben, die Tonsillenlager beidseits nicht verlegt. Es bestanden keine Schluckbeschwerden.

Im angefertigten Halbseiten-Orthopantomogramm rechts (zur Reduktion der Strahlenbelastung) zeigte sich eine etwa 1,5 cm Durchmesser messende, runde, unruhige Osteolyse im Bereich des rechten Kieferwinkels. Die Zähne 46 und 47 wiesen eine suffiziente Wurzelkanalbehandlung ohne apikale Osteolyse auf (Abbildung OPG). Laborchemisch zeigte sich eine Erhöhung des CRP-Wertes von 30 mg/l (Normalwert –/ 5 mg/l) bei fehlender Leukozytose.

Aufgrund der klinischen Symptomatik und des radiologischen Befunds wurde die Arbeitsdiagnose einer Osteomyelitis gestellt und die Patientin zur intravenösen antimikrobiellen Therapie stationär aufgenommen. Aufgrund der Schwangerschaft wurde bei rückläufigem klinischem Befund auf eine Probeentnahme mit mikrobiologischer Aufbereitung in Allgemeinanästhesie verzichtet. Die intravenöse Therapie wurde für insgesamt acht Tage unter stationären Bedingungen und anschließend für weitere 14 Tage oral fortgeführt.

Diskussion

Eine Osteomyelitis ist ein entzündlicher Zustand des Knochengewebes (Kortikalis und Knochenmark) mit Beteiligung des umliegenden Periosts und Weichgewebes [Noel W et al., 2009]. Die Infiltration des Knochengewebes durch Mikroorganismen stellt die pathologische Grundlage dieses Entzündungsprozesses dar [Peterson LJ et al., 2003].

Ursächlich sind dentoalveolär-chirurgische Eingriffe, vor allem Zahnentfernungen [Krakowiak PA, 2011].

Die Osteomyelitis des Unterkiefers ist eine seltene Erkrankung. Sie stellt eine diagnostische Herausforderung dar und ist schwer zu behandeln.

Die Verzögerung der Diagnose verzögert häufig die Einleitung einer antimikrobiellen Therapie und steigert somit die Morbidität [Koorbusch GF et al., 2011].

Als Risikofaktoren gelten ein Alter zwischen sechs bis zwölf Jahren oder  65 Jahren, ein vorbestehender Diabetes mellitus, chronische Kieferläsionen im Sinne von parodontalen oder apikalen Entzündungsprozessen, die Einnahme von Steroiden/Chemotherapeutika und eine Schwächung des Immunsystems [Chen L et al., 2013; Peterson LJ et al., 2003]. Therapeutisch werden eine chirurgische Sanierung des Knochendefekts, die Entfernung nichterhaltungswürdiger Zähne und die Gabe von Antibiotika empfohlen [Chen L et al., 2013; Van Merkestey JP et al.,1997; Rice S, Bridle C, 2009]

Aktuell liegt keine Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fakultäten (AWMF) zur Diagnostik und Therapie der Osteomyelitis des Kieferknochens vor. Eine aktuelle Leitlinie wird aber derzeit überarbeitet.

Im beschriebenen Fall ist der Keimeintritt über den Wurzelkanal die seltene, nichtchirurgische Ursache für den Übertritt der Mikroorganismen ins Knochengewebe.

Die Behandlung einer schwangeren Patientin erfordert generell eine interdisziplinäre Zusammenarbeit. Die individuelle Situation der Patientin und des ungeborenen Lebens erfordert besondere Aufmerksamkeit und eine gründliche Nutzen-Risiko-Abwägung der möglichen Therapieoptionen, um eine Schädigung des Foetus zu verhindern.

Dies gilt insbesondere für die Gabe von Medikamenten, hier insbesondere von Analgetika und Antibiotika:

Analgetika

Folgende Analgetika gelten – nach heutigem Wissensstand – während des ersten und des zweiten Trimenons (bis zur 28. SSW) als unbedenklich:

• Ibuprofen 3 x 400 mg per os; kann bei Bedarf auf 3 x 600 mg per os gesteigert werden

• Paracetamol 4 g pro Tag als Maximaldosis (alternativ Paracetamol intravenös)

• Piritramid bei Schmerzspitzen

• Morphin bei Schmerzspitzen

• Omeprazol 2 x 20 mg per os als zusätzlicher Säureblocker/Magenschutz bei Bedarf [Thulstrup AM et al., 1999; Torfs CP et al., 1996; Briggs GG et al., 2002]

Antibiotika

Folgende Antibiotika gelten – nach heutigem Wissensstand – während einer Schwangerschaft als unbedenklich:

• Unacid 1,5 g oder 3 g dreimal täglich intravenös

• Cefuroxim 1,5 g dreimal täglich intravenös

• Clindamycin 600 mg dreimal täglich intravenös

• die oben genannten Präparate als gängige orale Dosierungen [Briggs GG et al, 2002]

Viele zahnärztliche Kolleginnen und Kollegen sind während der Behandlung von schwangeren Patientinnen besonders zurückhaltend und unsicher bei der Verschreibung von Medikamenten, vor allem bei Analgetika und Antibiotika. Einerseits ist diese Zurückhaltung zum Schutz des ungeborenen Lebens gerechtfertigt, andererseits sollte man sich immer auch vor Augen führen, dass unbehandelte Infektionen mit gegebenenfalls hämatogener Streuung und chronische Schmerzen bei der Mutter mit eventuell Schmerzspitzen auch zu einer Gefährdung und Beeinträchtigung des ungeborenen Lebens führen können.

Umfangreiche Studien bezüglich der anti-infektiösen und antibakteriellen Therapie von Schwangeren bezüglich deren Wirksamkeit und Verträglichkeit fehlen aus ethischen Gründen.

Während der Schwangerschaft gibt es verschiedene Phasen der Entwicklung des Ungeborenen, in denen eine Schädigung spezielle Beeinträchtigungen nach sich zieht.

In den ersten zwei Wochen einer Schwangerschaft gilt das Alles-oder-nichts-Prinzip. Das bedeutet, dass eine Schädigung der präimplantierten oder bereits implantierten Eizelle schadensfrei überstanden wird oder zum Abort führt. Hieran schließt sich bis zur neunten SSW die Phase der Organentwicklung und -differenzierung (Organogenese) an. Eine Schädigung des Embryos in dieser Phase zieht eine Schädigung eines oder mehrerer Organe nach sich. Ab der achten/neunten Woche kommt es zur funktionellen Ausreifung des Foetus. Besonders gefährdet durch exogene Noxen sind hier die Ausreifung des Gehirns, der Leber und der Nieren [Grospietsch G, 2004].

Generell ist zu sagen: Je besser ein Medikament die Plazentaschranke überwindet, desto größer ist das mögliche Schädigungspotenzial. Die Plazentagängigkeit eines Medikaments hängt von dessen Konzentration, Eiweißbindung, Molekulargewicht, Ionisierungsgrad und dessen Fettlöslichkeit ab [Kretz FJ, Teufel F, 2006].

Zusammenfassend ist anzumerken, dass weiterhin eine strenge Indikationsstellung im Rahmen einer antiinfektiösen und/oder antibakteriellen Therapie bei Schwangeren unter der Berücksichtigung der Nutzen- Risiko-Abwägung für Mutter und Kind zu wählen ist und immer zunächst eine Rücksprache mit dem behandelnden Gynäkologen vor Einleitung einer solchen Therapie genommen werden sollte.

Des Weiteren stehen über das Bundesministerium für Gesundheit auf der Internetseite Informationen zu vielen Medikamenten und deren Einsatz in der Schwangerschaft zur Verfügung [www.arzneimittel-in-der-schwangerschaft.de].

Abschließend ist anzumerken, dass eine Schwangerschaft eine Belastung für den mütterlichen Organismus mit Beeinträchtigung des Immunsystems darstellt und als ein weiterer Risikofaktor für eine Osteomyelitis des Kiefers angesehen werden kann.

Dr. Dr. Frank-Hendric KretschmerUniv.-Prof. Dr. Dr. Andreas NeffKlinik für Mund-, Kiefer- und GesichtschirurgieUniversitätsklinikum MarburgBaldingerstraße35043 MarburgFrank-Hendric.Kretschmer@med.uni-marburg.de

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