Zahnärztliche Gesundheitsfrühförderung beginnt in der Schwangerschaft
Hüsamettin Günay, Karen Meyer
Das Konzept umfasst eine zahnärztliche Betreuung sowohl vor und während der Schwangerschaft als auch der Mutter und Kleinkinder bis zum dritten Lebensjahr. Erfolgt keine pränatale Betreuung, kann das Konzept auch postnatal ansetzen, das heißt, die präventiven Maßnahmen können in jeder Phase begonnen werden. Je früher die Förderung jedoch beginnt, desto nachhaltiger ist die Wirkung. Ziel dieses Konzepts ist, durch die Verbesserung der mütterlichen Zahn- und Mundgesundheit Karies, Parodontitis und Folgeerkrankungen sowohl bei der Mutter als auch beim Kind zu vermeiden und somit langfristig zur oralen und allgemeinen Gesundheit des Kindes beizutragen.
Frühpräventionskonzept
Die einzelnen zahnärztlichen Termine (S1 und S2 in der Schwangerschaft, PS1/UZ1, PS2/UZ2, PS3/UZ3 nach der Geburt) umfassen eine Untersuchung (Zahn-, Parodontal- und Schleimhautbefund, Evaluation der Risikofaktoren), die risikoorientierte Aufklärung (wie Karies, Parodontitis, Infektionswege, Ernährungsberatung) sowie die Behandlung (wie Keimreduktion im Sinne eines „Gesamt-Mund-Therapie“-Konzepts) der Schwangeren beziehungsweise der zukünftigen Eltern.
Die Bestandteile des Frühpräventionskonzepts sind in der Übersichtsgrafik dargestellt. Ab dem dritten Lebensjahr gehen die Termine aus dem Frühpräventionskonzept dann lückenlos in die kassenzahnärztliche „Individualprophylaxe“ mit zahnärztlichen Früherkennungsuntersuchungen im Alter von drei bis sechs Jahren über (FU1 bis FU3). Die Effizienz des Konzepts konnte durch Langzeitergebnisse nach 19 Jahren bewiesen werden.
Langzeitstudie
Die Langzeitstudie wurde in fünf Phasen unterteilt. Phase I beinhaltete die individual-prophylaktische Betreuung während der Schwangerschaft (Primär-Primär-Prophylaxe), Phase II die Betreuung der Mütter und Kinder bis zum dritten (Primär-Prophylaxe) und Phase III die der Mütter und Kinder bis zum sechsten Lebensjahr. In Phase IV erfolgte die Untersuchung der Jugendlichen (13 bis 14 Jahre) und in Phase V die Untersuchung der jungen Erwachsenen (18 bis 19 Jahre).
Alle Phasen bestanden aus einer Untersuchung, Aufklärung (zum Beispiel über Mundhygiene) und die Behandlung, basierend auf dem Konzept der „zahnärztlichen Gesundheitsfrühförderung“.
Folgende klinische Parameter wurden beurteilt: DMF-T/S (Anzahl der Zähne und Zahnflächen), HI (Hygieneindex), PBI (Papillenblutungsindex) und PSI (Periodontal-Screening-Index).
Ergebnisse der Studie
Bei allen Müttern konnte eine Verbesserung der Mundgesundheit festgestellt werden. Alle Kinder der Prophylaxegruppe hatten im Alter von drei Jahren ein naturgesundes Gebiss und eine Streptococcus-mutans- Besiedlung unterhalb der Nachweisgrenze. In der Kontrollgruppe wiesen dagegen nur 81,5 Prozent ein naturgesundes Gebiss auf (mittlerer DMF-S: 4,5).
In Phase III hatten in der Prophylaxegruppe 75 Prozent (mittlerer DMF-S: 3,7) ein naturgesundes Gebiss, verglichen mit 50 Prozent (mittlerer DMF-S: 6,5) in der Kontrollgruppe.
Die Jugendlichen der Prophylaxegruppe in Phase IV hatten zu 65,5 Prozent ein naturgesundes Gebiss (mittlerer DMF-S: 0,59). In der Kontrollgruppe wiesen dagegen nur 30,0 Prozent ein naturgesundes Gebiss auf (mittlerer DMF-S: 1,80).
In Phase V zeigten die jungen Erwachsenen der Prophylaxegruppe zu 92,3 Prozent kariesfreie Gebisse (65,4 Prozent naturgesund; 26,9 Prozent kariesfrei mit Füllungen) und einen mittleren DMF-T von 1,3 ± 2,6. Die Kontrollgruppe hatte einen signifikant höheren mittleren DMF-T von 3,8 ± 3,2 (p 0,05) und zu 71,4 Prozent kariesfreie Gebisse (22,9 Prozent naturgesund, 48,5 Prozent kariesfrei mit Füllungen).
Und die Prophylaxegruppe zeigte einen signifikant geringeren PSI von 1,5 ± 0,7, verglichen mit der Kontrollgruppe (2,1 ± 0,4) (p 0,05).
Fazit für die Praxis
Studien belegen, dass mehr als ein Drittel der Schwangeren während der Schwangerschaft nicht den Zahnarzt besuchen. Berücksichtigung findet die Zahn- und Mundgesundheit bei den Vorsorgeuntersuchungen der Schwangeren und den Früherkennungsuntersuchungen der (Klein-)Kinder momentan lediglich in Form mündlicher Kurzinformationen durch die betreuenden Gynäkologen oder Pädiater. Viele Frauen fühlen sich während der Schwangerschaft bezüglich der Zahn- und Mundgesundheit zu wenig informiert. Damit das Konzept der zahnärztlichen Gesundheitsfrühförderung erfolgreich umgesetzt werden kann, ist eine engere interdisziplinäre Zusammenarbeit erforderlich. Um eine optimale Betreuung von Mutter und Kleinkind zu gewährleisten, muss jede der beteiligten Berufsgruppen (Kinderärzte, Hausärzte, Gynäkologen, Hebammen und Zahnärzte) die möglichen Risiken oraler Erkrankungen erkennen und sich mit den präventiven Maßnahmen auseinandersetzen. Diese Berufsgruppen („Überweisungsmediatoren“) informieren und motivieren die Frauen vor, während und nach der Schwangerschaft sowie Mütter mit Kleinkindern, angebotene zahnärztliche Vorsorgeuntersuchungen wahrzunehmen. Damit eine Systematik gewährleistet ist, sollten zahnärztliche Vorsorgeuntersuchungen während der Schwangerschaft und ab dem ersten Zahndurchbruch der Kinder im Mutterpass und Kinderuntersuchungs-Heft verankert werden.
Gegebenenfalls könnte die feste Integration der zahnärztlichen Gesundheitsfrühförderung von den Krankenkassen mit einem Bonussystem als Anreiz für die Versicherten kombiniert werden. Die „zahnärztliche Gesundheitsfrühförderung“ ist ein Teil von einer Interdisziplinären allgemeinen Gesundheitsförderung!
Prof. Dr. H. GünayDr. Karen MeyerArbeitsgruppe „Zahnärztliche Gesundheitsfrühförderung“der Klinik für Zahnerhaltung, Parodontologie, Präventive ZahnheilkundeMedizinische Hochschule HannoverCarl-Neuberg-Str. 130625 HannoverGuenay.H@mh-hannover.de