Erster Deutscher Pflegetag

Gröhe schiebt die Pflege an

sf
Die große Teilnehmerzahl und das starke Interesse der überregionalen Medienanstalten zeigten die Bedeutung der Veranstaltung. Auf dem ersten Deutschen Pflegetag in Berlin traf eine gebeutelte Pflegeszene auf einen neuen Bundesgesundheitsminister, der gleich einen ganzen Strauß von Reformschritten vorstellte.

Einige Pflegekräfte hatten sich zu Beginn des Kongresses demonstrativ auf den Boden des Berliner Hotels „Maritim pro Arte“ gelegt. „Die Pflege ist am Boden“ und „Wir haben eine Stimme“ stand auf ihren Protestplakaten. Eine Pflege im Minutentakt mit niedrigen Personalschlüsseln und unattraktiven Gehaltsstrukturen, dass wollen und das können die etwa eine Million professioneller Pflegekräfte in Deutschland offenbar nicht mehr leisten.

Pflege gehe alle an – unter diesem Slogan forderten auf dem Deutschen Pflegetag erstmalig Pflegekassen und Leistungserbringer gemeinsam, jetzt die richtigen Weichen zu stellen. „Alle, die Verantwortung für die Strukturen der Pflege tragen, müssen einen Beitrag zu ihrer zukunftsfähigen Gestaltung leisten – Gesetzliche Kranken - und Pflegeversicherung, Pflegeberufe, Bund, Länder und Kommunen sowie Einrichtungsträger“, heißt es in einem gemeinsamen Positionspapier von AOK-Bundesverband, Deutschem Städte- und Gemeindebund sowie dem Deutschen Pflegerat (DPR) anlässlich des 1. Pflegetages.

Absichtserklärungen im Koalitionsvertrag

Andreas Westerfellhaus, Präsident des Pflegerates richtete das Wort an Bundesminister Hermann Gröhe: „Wir sind voller Erwartungen, ob eine neue Bundesregierung die Themen der Pflege und vor allem der pflegenden aufgreift und Antworten auf drängende Fragen erkennt.“ Im Koalitionsvertrag fänden sich zwar Absichtserklärungen. Diese hätten jedoch aus Sicht des Pflegechefs noch konkreter ausfallen können. Westerfellhaus zitierte exemplarisch aus dem Koalitionsvertrag: „Dazu wollen wir den neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff (...) in dieser Legislaturperiode so schnell wie möglich einführen“. Der Fachkräftemangel spitze sich dramatisch zu. Jede Pfleger- reform würde im Ansatz verpuffen, wenn nicht an erster Stelle die Probleme der Pflegenden in allen Pflegebereichen gerückt würden, so Westerfellhaus. Nötig sei eine parteiübergreifende Aktion in Form eines Nationalen Aktionsplans für die Pflegenden. Zudem fordern die Vertreter der Pflege ein neues Berufsgesetz.

Maßnahmen der Regierung

Bundesgesundheitsminister Gröhe sagte auf dem Pflegetag: „Mit dem neuen Pflegetag betonen Sie zurecht die Dringlichkeit des Themas Pflege. Wir brauchen die Ideen und Einschätzungen der Menschen aus der Pflege, der professionell Pflegenden, der pflegenden Angehörigen und der Menschen im Ehrenamt.“ Wechselseitige Solidarität zeichne die Deutsche Gesellschaft aus. Gröhe weiter: „Ich versichere Ihnen, die Bundesregierung wird mit einer Reihe von Maßnahmen Sorge dafür tragen, dass der soziale Zusammenhalt der Gesellschaft nicht nur bestehen bleibt, sondern weiter gestärkt wird.“ Die Verbesserung der Pflege sei ein klarer Schwerpunkt der Arbeit der Bundesregierung. Mit der Ernennung von Karl-Josef Laumann zum Pflegebevollmächtigten der Bundesregierung habe man der Pflege eine weitere deutlich wahrnehmbare Stimme gegeben. Für die Verbesserung der Pflege würden in dieser Wahlperiode schrittweise die Beiträge der Pflegeversicherung angehoben. 2015 werde der Beitragssatz um 0,3 Prozent angehoben. Von den Geldern werde ein Teil für den Aufbau eines Versorgungsfonds genutzt. Dieser soll für die Jahre genutzt werden, wenn die geburtenstarken Jahrgänge in das Pflegealter kommen. Später soll der Beitragssatz erneut um 0,2 Prozent angehoben werden.

„Ich werde mich für eine Verbesserung der Pflegeberufe mit ganzer Kraft einsetzen.“ Der Anspruch an den Pflegeberuf müsse sich in der Wirklichkeit des Arbeitsalltags wiederfinden. Der Koalitionsvertrag sehe vor, die Bürokratie in der Pflege auf das Nötigste zu begrenzen. „Gute Pflegequalität braucht Zeit“, so Gröhe weiter. Zudem sollen die Pflegekräfte mehr Einfluss auf Entscheidungsprozesse erhalten. Laut Koalitionsvertrag könnten sie stimmberechtigt in den Entscheidungsgremien des Medizinischen Dienst der Krankenkassen mitbestimmen. Mit Blick auf die Vergütung sagte der Minister: „Für diese Regierung ist eine faire Bezahlung der Pflegekräfte sehr wichtig.“ Die Zahlung von Tariflöhnen sei bei Verhandlungen in der Pflege anzuerkennen.

Die Ausbildungszahlen in der Altenpflege sollen stufenweise gesteigert werden. Dafür müssten die Länder mehr Plätze schaffen. Die Pflegeausbildung soll aber auch insgesamt umgestaltet werden. Gröhe: „Wir wollen ein ´Einheitliches Berufsbild Pflege`“. Geplant sei eine gemeinsame Grundausbildung, auf die eine Spezialisierung Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege aufbaue. Ein Wechsel zwischen den einzelnen Berufen soll damit künftig leichter werden. Gröhe fügte hinzu: „Die Ausbildung soll für jeden kostenfrei sein. Schulgeld soll der Vergangenheit angehören.“

Die Koalition will den Pflegebedarf einzelner Menschen besser anerkennen. Konkret soll dem besondere Hilfebedarf von Menschen mit geistiger Demenz, psychischen Erkrankungen oder geistigen Behinderungen besser entsprochen werden. Dafür werde der neue Pflegebedürftigkeitsbegriff unter wissenschaftlicher Begleitung diskutiert.

Das Familienpflegezeitgesetz soll weiter entwickelt werde, in dem die zehntägige Auszeit mit einer Lohnersatzleistung verbunden wird.

Heiner Geißler, Bundesminister (a. D.), selbst im Vorsitz des Verwaltungsrats einer Sozialstation, skandierte in seinem Vortrag „Ethik statt Monetik - was können wir noch verantworten“, dass ein betriebswirtschaftliches Paradigma tief in die Arbeitsstrukturen der Pflege einwirke. In offiziellen Schriften der Caritas sei vom „Kunden“ die Rede, was Geißler scharf anprangerte. Vordringlich sei für ihn die Reform der Arbeitsbedingungen der Schwestern und Pfleger, damit diese mehr Zeit hätten, um so zu pflegen wie sie es gelernt hätten – ohne Druck, „sinnlos zu dokumentieren und vorgefertigte Antworten“ geben zu müssen. Die Dokumentation koste laut Geißler, der sich auf das Statistische Bundesamt bezog, 2,7 Milliarden Euro.

Bürokratie begrenzen

Die Juristische Expertengruppe Entbürokratisierung der Pflegedokumentation legt in der „Kasseler Erklärung“ (Januar 2014) dar, dass die unbefriedigende Situation darin bestehe, dass Pflegekräfte davon ausgingen, aus sozial- wie haftungsrechtlichen Gründen, alles, was täglich geleistet werde, dokumentieren zu müssen. Dabei werde nicht zwischen Grund- und Behandlungspflege differenziert. Die Juristen vermuten die Sichtweise, dass was nicht dokumentiert, als nicht gemacht gilt. Dem Papier zufolge sei es ausreichend, wenn in der stationären Pflege erbrachte Leistungen der Grundpflege, also wiederkehrende Routinemaßnahmen im Versorgungsablauf nicht täglich neu dokumentiert werden brauchen. Abweichungen von der Pflegeplanung müssten dagegen selbstverständlich immer dokumentiert werden.

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