Das Einmaleins der Aktien
Am 16. Oktober fällt der Dax kurzzeitig auf unter 8 400 Punkte, sein tiefster Stand seit mehr als einem Jahr. Seit seinem Hoch bei 10 051 Punkten im Juli 2014 sind es rund 17 Prozent. Gründe für diesen Absturz gibt es viele: weltweite Krisenherde wie der Terror des IS, Ukraine und Syrien, die schlechten Prognosen für die Konjunktur und ein deutlicher Rückgang der Industrieproduktion in Deutschland.
Für Schlagzeilen sorgten aber auch die Börsenneulinge Zalando, Rocket Internet der Brüder Marc und Alexander Samwer sowie der chinesische Internethändler Alibaba. Die Internethändler gingen an die Börse in der Hoffnung, dass viele Anleger ihre Anteilsscheine kaufen würden. Alibaba legte einen Traumstart hin. Zum Ausgabekurs von 68 Dollar wollten so viele Anleger das Papier zeichnen, dass es zweieinhalb Stunden dauerte bis der erste offizielle Kurs bekannt gegeben werden konnte. Der Schlusskurs am ersten Handelstag lag bei 93,89 Dollar. Es wurde der größte Börsengang aller Zeiten.
Von diesem Glanz konnten die deutschen Neulinge nicht profitieren. Sie boten ihre Papiere zu ambitionierten Einstiegskursen an und mussten einen Absturz hinnehmen. Der Kurs von Rocket Internet endete bei 17 Prozent im Minus. Eine Enttäuschung für die Anleger. Letztendlich zeigt sich in den Kursen, wem die Anleger eine positive Entwicklung zutrauen und wem nicht. Und wer sich selbst überschätzt, wie das Beispiel der Samwer-Brüder zeigt, der verliert.
Das Grundprinzip, nach dem Aktien funk-tionieren, ist eigentlich ganz einfach: Unternehmen benötigen Geld, um zu expandieren.
Auf der anderen Seite gibt es Investoren, die über Geld verfügen und anlegen möchten. Die Unternehmen könnten sich das Kapital bei der Bank leihen und dafür Zinsen zahlen. Damit engen sie ihre Spielräume ein.
Sie können aber auch den Investoren die Gelegenheit geben, sich an ihrem Unternehmen zu beteiligen. Genau das tun sie, wenn sie Aktien ausgeben.
Natürlich gehen die Anleger mit ihrer Beteiligung ein Risiko ein. Schließlich vertrauen sie ihr Geld einem fremden Management an. Diese Verantwortlichen arbeiten mit dem eingesammelten Kapital. Für das Vertrauen gibt es als Gegenleistung eine Gewinnbeteiligung: die Dividende. Bleibt das Unternehmen erfolgreich, steigt auch der Kurs der Aktie.
Schutz vor Inflation
Der Investor kassiert also auch, wenn er das Papier verkauft. Dr. Norbert Kuhn, Leiter des Bereichs Unternehmensfinanzierung beim Deutschen Aktieninstitut, erklärt: „In der langen Frist beträgt der Renditeunterschied zu festverzinslichen Wertpapieren etwa zwei Prozentpunkte.“ Die derzeit niedrigen Zinsen bringen den Unternehmen Vorteile. Sie können sich billig Kapital besorgen. Analysten erwarten dann, dass die Kurse steigen. Zudem gelten Aktien als inflationssicher. „Denn“, so Verbraucherschützer Niels Nauhauser, „man beteiligt sich an einem produzierenden Unternehmen, an den Fähigkeiten der Mitarbeiter sowie an den Gebäuden und Maschinen. Deren Wert bleibt erhalten.“
Neben allen Vorzügen bergen Aktien erhebliche Risiken, mit denen sich Einsteiger ausgiebig befassen sollten. Wie die derzeitige Entwicklung zeigt, können die Kurse abstürzen und niemand weiß, wann die Talsohle erreicht ist. Denn neben harten Fakten wie den Bilanzen der Unternehmen und der Entwicklung der Konjunktur spielt vor allem die Psychologie eine wichtige Rolle bei der Kursentwicklung. Das können Ereignisse sein, die die Unternehmen hinnehmen müssen. Dazu gehören politische Krisen oder Naturkatastrophen.
Andererseits sorgen Firmen manchmal selbst für Kursveränderungen. So beflügeln Übernahmegerüchte den Kurs eines Unternehmens ebenso, wie die Entdeckung eines neuen Krebsmittels durch einen Pharmakonzern den Preis für dessen Anteilsscheine in die Höhe schnellen lässt. Dann ist es wichtig, die Ruhe zu behalten. Denn an der Börse herrscht oft der Herdentrieb: Geht einmal das Gerücht, dass der Kurs einer Aktie fällt und verkaufen die Ersten, dann folgt die Masse nach. Umgekehrt treibt eine positive Information den Kurs in ungeahnte und unrealistische Höhen. Vor allem schlecht informierte private Anleger kaufen gern zu überhöhten Preisen. Umso wichtiger ist es, die Ruhe zu bewahren, sich selbst die nötigen Informationen einzuholen und dann zu entscheiden.
Kriterien zur Auswahl
Die aussagekräftigsten Kennzahlen sind:
• Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV)
Um herauszufinden, welche Aktie besonders günstig oder besonders teuer ist, ermittelt man das KGV. Dieser Wert ergibt sich, wenn der Kurs durch den Reingewinn geteilt wird. Beläuft sich zum Beispiel der Kurswert einer Aktie auf 20 Euro und der Gewinn liegt bei zwei Euro pro Aktie, ergibt sich ein KGV von zehn. Diese Kennziffer gibt Auskunft darüber, wie viele Jahre es dauern würde, bis das Unternehmen den Wert seiner Aktien als Gewinn erwirtschaftet hätte. Je niedriger dieser Wert ausfällt, desto besser ist es.
Allerdings sollten Anleger den vom Unternehmen angegebenen Zahlen nicht allzu blind vertrauen. Es sollten die aktuellen Gewinnangaben und nicht die vom Vorjahr sein. Außerdem müssen beim Reingewinn Zinsen, Steuern und Abschreibungen abgezogen sein. Vergleiche mit anderen Aktien machen nur Sinn, wenn sie derselben Branche angehören. Angaben zum KGV finden Börsianer in den Kursteilen der großen Tageszeitungen.
• Dividende
Dabei handelt es sich um den Teil des Gewinns, den die Unternehmen nach Abzug von Steuern, Zinsen und Abschreibungen einmal im Jahr an die Aktionäre auszahlen. Meist handelt es sich um kleinere Euro- oder nur Cent-Beträge pro Aktie. Je innovativer die Branche ist und je jünger das Unternehmen, desto geringer fallen die Dividenden aus. Der Grund: Die Gewinne werden für Investitionen gebraucht. Trotzdem machen die Dividenden in der Regel 50 Prozent der Erträge aus, die Aktionäre verdienen.
• Dividendenrendite
Sie ist das Verhältnis der Dividende zum Aktienkurs. Je höher diese Kennziffer ist, desto attraktiver die Aktie. Allerdings schwankt die Dividende. Läuft es im Unternehmen gerade mal nicht so gut, kann sie gekürzt werden. Die Dividendenrendite sagt nichts über die Kursentwicklung aus. Eine hohe Dividende bedeutet auch nicht unbedingt, dass das Unternehmen gut arbeitet. Die Ausschüttung der Dividende geschieht meistens im April.
• Cash-Flow
Der sogenannte Bargeldfluss sagt aus, wie liquide ein Unternehmen ist. Es ist die Differenz zwischen Mittelzufluss und Mittelabfluss. Ist der Cash-Flow positiv, können Kredite getilgt und Investitionen aus eigener Kraft getätigt werden. Allerdings schwankt er stark. Fachleute setzen ihn ins Verhältnis zum Kurs. Das Kurs-Cash-Flow-Verhältnis (KCV) gibt im Gegensatz zum KGV nach Expertenmeinung ein genaues Bild ab. Auch hierbei gilt: je niedriger das KCV, desto günstiger die Aktie.
• Kurs-Umsatz-Verhältnis (KUV)
Das KUV setzt den aktuellen Kurs in Relation zum Umsatz. Diese Kennziffer bevorzugen Experten, wenn sie sich die Aktien von jungen Unternehmen anschauen, die noch rote Zahlen schreiben oder nur geringe Gewinne erwirtschaften. Auch hierbei gilt: je niedriger die Ziffer, desto günstiger die Aktie. Bei etablierten Unternehmen kann das KUV ebenfalls interessant sein, denn Umsätze lassen sich nicht so leicht beschönigen wie Gewinne.
• Eigenkapitalrendite
Um die Eigenkapitalrendite zu ermitteln, multipliziert man den Gewinn mit 100 und teilt ihn durch das Eigenkapital. Positiv ist, wenn ein Unternehmen mit wenig Eigen-kapital viel Gewinn erzielt. Je höher die Kennziffer ausfällt, desto besser.
Auskunftspflicht
Die für die Prüfung nötigen Informationen müssen die Unternehmen regelmäßig veröffentlichen. Einmal jährlich stellen sie ihre Bilanz und ihre Gewinn- und Verlustrechnung vor. Diese können Aktionäre beim Unternehmen anfordern oder im Internet einsehen. Doch die Informationspflicht für die Aktionäre geht noch weiter. Auch übers Jahr müssen die Firmen kursrelevante Neuigkeiten in sogenannten Ad-hoc-Mitteilungen veröffentlichen. Das dauert eine Weile, bis die Informationen via Pressemeldung an die Öffentlichkeit gelangen. In der Zwischenzeit könnten vorab interessierte Firmenmitglieder schon ihre Schäfchen ins Trockene bringen, gäbe es nicht gesetzliche Vorschriften. Dazu Dr. Christine Bortenlänger, Geschäftsführerin des Deutschen Aktieninstituts, in ihrem Buch „Aktien für Dummies“: „Wer dagegen handelt, kann mit empfindlichen Strafen gemaßregelt werden.“
Hat der Börsenneuling die ausgewählten Aktien geprüft und so das interessanteste Papier herausgefiltert, sollte er nicht seinen ganzen Einsatz auf einen Wert setzen. Um Verluste so gering wie möglich zu halten, verteilen kluge Anleger ihr Kapital auf verschiedene Unternehmen in unterschiedlichen Branchen. Doch es müssen auch nicht immer Blue Chips die erste Wahl sein. Bortenlänger definiert diese Aktien: „Das sind die Dickschiffe der Aktienwelt, die sich in nationalen oder internationalen Indizes wie dem Dax 30 oder dem Euro Stoxx 50 wiederfinden.“
Dazu gehören Papiere des Chemieriesen Bayer oder des Premium-Autobauers BMW. Über Blue Chips gibt es die umfangreichsten Informationen und mit ihnen bleiben die Risiken einigermaßen überschaubar. Zu den internationalen Dickschiffen zählt unbedingt Google, eine Aktie die sich in vielen Aktienfonds wiederfindet.
Wer bereit ist, für die Aussicht auf attraktive Gewinne höhere Verluste zu riskieren, interessiert sich für MidCaps. Das sind Aktien von kleineren aber wachstumsstarken Unternehmen, deren Kurse deutlich stärker schwanken. Eine Auswahl zeigt der MDax. Noch etwas spannender ist die Entwicklung des SDax. In diesem Index versammeln sich Small und Micro Caps, also kleinere und Kleinstunternehmen. Diese Nebenwerte können sich aber besser entwickeln als der Markt.
Basis-Know-how günstig
Um sich vor bösen Überraschungen bei der Kursentwicklung einigermaßen zu schützen, verfolgen engagierte Aktionäre die Berichterstattung auf den Wirtschaftsseiten der überregionalen Tageszeitungen und im Internet. Natürlich benötigt man kein Betriebswirtschaftsstudium, um Aktien zu kaufen. „Aber“, so Bortenlänger, „ein paar grundlegende Dinge, wie Wirtschaft funktioniert, sollte man wissen, und vor allem nie den gesunden Menschenverstand verlieren.“
Anleger können ihre Papiere über ihre Hausbank kaufen und dort ein Depot eröffnen. Normale Geschäftsbanken verlangen für diesen Service höhere Gebühren als Direktbanken oder Discountbroker. Ist das Depot gut mit unterschiedlichen Papieren gefüllt, kann sich der Besitzer zurücklehnen und die Entwicklung seiner Schätze in Ruhe verfolgen. Aktienliebhaberin Bortenlänger rät: „Der Aktionär sollte Panik und Gier gleichermaßen aussitzen und auch bei Kursschwankungen zunächst einen kühlen Kopf bewahren. Zeit ist Geld heißt es, aber bei Aktien bedeutet es eher: Zeit macht Geld.“
Marlene EndruweitFachjournalistin für Wirtschaftm.endruweit@netcologne.de