Zeit für ein Update
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
während diese zm-Ausgabe in den Druck geht, ist der Deutsche Zahnärztetag in Frankfurt, das jährliche Großereignis von Berufspolitik und Wissenschaft, noch nicht ganz abgeschlossen. Für die Bundeszahnärztekammer steht bei den politischen Debatten dort vor allem ein Thema im Fokus: das Selbstverständnis des Kammerwesens im Zuge einer sich wandelnden Gesellschaft. Die Länderkammern sind gemeinsam mit der Bundeszahnärztekammer dafür verantwortlich, dass ihre Hauptaufgabe – nämlich die hohe Qualität der zahnmedizinischen Versorgung in Deutschland zu garantieren – umgesetzt und ausgebaut wird. Gesellschaftliche Trends stellen den Berufsstand vor neue Herausforderungen. Wir als Kammern müssen diese Entwicklungen auf- nehmen, unsere Rolle neu überdenken und uns zukunftsfest aufstellen.
Da ist zunächst das Streben der heutigen jungen Generation nach einer besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Work-Life-Balance macht auch vor den Zahnärzten nicht halt. Viele Vertreter der Berufsorganisationen haben diese Tatsache zwar noch nicht so ganz verinnerlicht, aber die Wünsche hin zu mehr Familie haben auch positive Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft. Es liegt an uns Standesvertretern, junge Zahnärztinnen und Zahnärzten zur Freiberuflichkeit zu motivieren und ihnen attraktive Mög-lichkeiten für den Weg in die Praxisgründung aufzuzeigen.
Just diese Freiberuflichkeit gerät von anderer Seite unter Druck, nämlich von Europa unter dem Stichwort Deregulierung. In anderen EU-Mitgliedstaaten ist die Kategorie des Freiberuflers häufig unbekannt und die Freien Berufe werden als „normale“ Unternehmer betrachtet. Im Rahmen der sogenannten Transparenzinitiative werden jetzt die Berufszugangs- und -ausübungsregeln aller reglementierten Berufe überprüft, die EU will damit mehr Wirtschaftswachstum im gemeinsamen Binnenmarkt generieren. Deshalb stehen dort auch die Kammern in der Kritik, die Entwicklung macht vor der Verkammerung der Freien Berufe nicht halt. Wenn wir nicht frühzeitig aktiv werden und Hand in Hand mit der Politik gehen, könnten die in Deutschland so bewährten Strukturen der Freiberuflichkeit bald Geschichte sein. Wir fordern die Politik auf, sich für eine europäische Charta der Freien Berufe einzusetzen, um die Professionalität, die Gemeinwohlverpflichtung, die Selbstverwaltung und die Eigenverantwortlichkeit des zahnärztlichen Berufs sicherzustellen.
Unser Kammerwesen hat sich als beispielhaftes Modell liberaler und gleichzeitig dienender Staatsorganisation bewährt. Es bringt durch seine gesetzlich festgelegte Gemeinwohlverpflichtung die Interessen des Berufsstands mit denen der Gesellschaft in Einklang. Zentrale Aufgabe der Kammern ist die Qualitätssicherung: Effektiv und effizient müssen sie Qualität in der Berufsausübung wie auch in der Fort- und Weiterbildung sichern, wie es auch in den Heilberufekammergesetzen der Länder festgeschrieben ist. Gerade hier müssen die Kammern Vorreiter sein, indem sie alle Möglichkeiten nutzen, eine von ökonomischen Interessen unabhängige Vermittlung neuesten Wissens für ihre Mitglieder zu organisieren.
Unter den Bedingungen der sich wandelnden Strukturen innerhalb der Zahnärzteschaft müssen wir Kammern für eine gemeinsame Wertebasis sorgen. Diese sollte Grundlage sowohl für einen fachlichen Zusammenhalt wie auch für ein hohes Qualitätsniveau der Berufsausübung sein. Dazu ist es notwendig, das Selbstbild des Berufsstands aktiv zu gestalten und eine einheitliche Professionsauffassung zu vermitteln. Es gilt, nicht nur – berechtigte – Forderungen an die Politik zu stellen, sondern ihr auch mit fachlicher Expertise beratend zur Seite zu stehen.
Wenn wir die Attraktivität der Freiberuflichkeit erhalten wollen, müssen wir in einen aktiven gesellschaftlichen Dialog treten. Dazu ist es notwendig, die Modernisierung unseres Selbstverständnisses voranzubringen, bevor verkrustete Strukturen von innen wie von außen infrage gestellt werden.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Peter EngelPräsident der Bundeszahnärztekammer