Der besondere Fall

Langerhanszell-Histiozytose des Unterkiefers

Ein 20-jähriger, ansonsten gesunder, männlicher Patient stellte sich vor zur weiteren Abklärung einer unklaren Osteolyse im dritten Quadranten, die im Rahmen einer Routineuntersuchung beim Hauszahnarzt in der Panoramaschichtaufnahme entdeckt wurde (Abbildung 1). Korrespondierend zum unauffälligen enoralen klinischen Befund war der Patient beschwerdefrei. Insbesondere lagen keine Parästhesien im Bereich des Versorgungsgebiets des Nervus alveolaris inferior vor. Die weitere klinische Untersuchung zeigte weder eine Sensibilitätsstörung noch eine Lockerung der Zähne im dritten Quadranten.

In der alio loco durchgeführten Panoramaschichtaufnahme präsentiert sich eine homogene, scharf begrenzte Osteolyse von Regio 37 bis 36 reichend ohne Vorliegen eines Sklerosesaumes (Abbildung 1). In der zum Zeitpunkt der Erstvorstellung bereits vorliegenden Schichtbildgebung mittels Computertomografie ist eine scharf abgrenzbare, ausgedehnte Osteolyse, mit Auftreibung des Unterkiefers und teilweiser Perforation der Kortikalis nach vestibulär, nachvollziehbar (Abbildung 2).

Über eine marginale Schnittführung wurde die Veränderung dargestellt und mittels scharfer Kürettage in toto entfernt. Hierbei präsentierte sich intraoperativ ein rötlich-livider Tumor mit bindegewebiger Konsistenz (Abbildung 3). Die histologische Aufbereitung des Befunds zeigte immunhistochemisch CD-1a positive histiozytäre Zellen und brachte die Diagnose einer Langerhanszell-Histiozytose (Abbildungen 4 und 5). Zur weiteren Abklärung erfolgten eine Knochenszintigrafie sowie eine Computertomografie des Thorax und des Abdomens. Eine Mehranreicherung in anderen Körperpartien war nicht nachweisbar. Der Patient befindet sich momentan mit einer nur unilokulären, ossären Langerhanszell-Histiozytose in der interdisziplinären Nachsorge ohne bisherigen Nachweis eines Rezidivs.

Diskussion

Unter dem Begriff Langerhans-Zell-Histiozytose subsumiert sich ein klinisch sehr variabel erscheinendes Krankheitsbild. Gemeinsames Merkmal ist eine bisher ätiologisch ungeklärte lokale oder generalisierte Akkumulation dendritischer Zellen, die in der Lage sind, fast jedes Organ des Körpers zu infiltrieren und zusammen mit Lymphozyten, Granulozyten sowie Riesenzellen charakteristische Granulome zu bilden. Die Langerhanszell-Histiozytose weist somit maligne als auch benigne Merkmale auf [AWMF-Leitlinie 025/015].

Lange Zeit war die Identität dieser Zellen unklar, so dass zunächst unter dem Begriff Histozytose X die drei häufigsten Manifes-tationsformen der Langerhans-Zell-Histo-zytose zusammengefasst wurden:

• das eosinophile Granulom als eine lokalisierte Erkrankung

• die Hand-Schüller-Christian-Krankheit als eine chronisch disseminierte Erkrankung bevorzugt im Erwachsenenalter

• die Abt-Letterer-Siwe-Krankheit als eine foudroyante, systemische Variante mit Multiorganbefall bevorzugt im Kindesalter

Diese historischen Termini sind heute abgelöst durch die Einteilung in eine monosystemische Langerhanszell-Histiozytose („single system disease“) mit uni- beziehungsweise multilokulären Manifestationen in einem Organ oder Organsystem und eine multisystemische Form („multisystem disease“) mit Befall zweier oder mehrerer Organe beziehungsweise Organsysteme. Diese Einteilung ist der Tatsache geschuldet, dass für den Verlauf entscheidend ist, ob ein Organsystem oder mehrere beteiligt und ob dabei Risikoorgane betroffen sind. Als Risikoorgane gelten hierbei neben der Leber, die Milz, das Knochenmark und die Lunge [Wassendorf et al., 2010; Fichtner et al., 2007].

Die Langerhanszell-Histiozytose ist eine seltene Erkrankung und wird mit einer Inzidenz von mindestens zehn bis 15 pro 100 000 angegeben, weil symptomarme Formen möglich sind und spontane Remissionen vorkommen. Frauen sind insgesamt häufiger betroffen als Männer, wobei ossär lokalisierte Befunde gehäuft bei Männern vorzufinden sind. Die Erkrankung manifestiert sich in erster Linie im frühen Kindes- und Jugendalter mit bis zu 50 Prozent bis zum zehnten Lebensjahr. Die Erkrankung kann generell jedes Organ beziehungsweise jede Körperregion befallen, dabei sind die Prädilektionsstellen im Kindesalter das Skelettsystem und die Haut und im Erwachsenenalter die Lunge [Fichter et al., 2007].

Die Klinik ist abhängig vom Organbefall wie zum Beispiel Belastungs- oder Ruhedyspnoe bei Affektion der Lungen. Läsionen am Schädelknochen hingegen sind meist asymptomatisch und werden meist als Zufallsbefunde entdeckt. Weitere Prädilek-tionsstellen im Kopf-Hals-Bereich sind die enoralen Schleimhäute und die behaarte Kopfhaut. Dabei erinnern die schuppigen, erosiven Läsionen der Kopfhaut an ein seborrhoisches Ekzem und der Befall der Gingiva kann eine ausgeprägte Parodontitis marginalis vortäuschen mit starken Zahn- lockerungen bei zusätzlich nicht abheilenden Extraktionsalveolen [Wassendorf et al., 2010; Becker et al., 2003].

Zur Diagnosesicherung ist die Biopsie mit histopathologischer Untersuchung in Kombination mit dem immunhistochemischen Nachweis von CD-1a Antigen und/oder Langerin (CD207) auf der Zelloberfläche unerlässlich. Aufgrund des potenziell generalisierten Befalls ist neben der gründlichen körperlichen Untersuchung und Anamnese eine weiterführende bildgebende Diagnostik obligat. Neben nuklearmedizinischen Untersuchungen wie PET-Scan oder Knochenszintigrafie spielt hierbei die Abklärung der Lunge mittels CT gegebenenfalls in Kombination mit MRT-Untersuchungen anderer Körperregionen eine entscheidende Rolle zum Ausschluss eines Multiorganbefalls beziehungsweise eines multilokulären Erkrankungsmusters innerhalb eines Organsystems.

Die Therapie ist abhängig von der Klassifikation und vom Krankheitsstatus. Hierbei sind die wichtigsten Einflussfaktoren für eine schlechte Prognose neben dem höheren Lebensalter das Ausmaß des Organbefalls und die damit einhergehende Dysfunktion des Organs sowie der mögliche Befall der oben aufgezählten Risikoorgane. Bei monoostotischem Befall kann funktionserhaltend chirurgisch therapiert werden gegebenenfalls in Kombination mit einer niedrig dosierten Strahlentherapie oder lokaler Kortikoidgabe. Beim Multisystembefall hingegen erfolgt eine systemische Chemotherapie sowie die Gabe immunsuppressiver Substanzen in Abhängig vom jeweiligen Organsystem im Rahmen einer interdisziplinären Betreuung [Schultze et al., 1999; Becker et al., 2003].

Im vorliegenden Fall lag der Zufallsbefund eines singulären Herdes vor, der chirurgisch angegangen wurde. Der Patient ist bis jetzt frei von Rezidiven.

Dr. Dr. Keyvan SaghebPD Dr. Dr. Christian WalterKlinik und Poliklinik für MKG-Chirurgie – plastische OperationenUniversitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität MainzAugustusplatz 255131 Mainzwalter@mkg.klinik.uni-mainz.de

Dr. Cristina CotarelloInstitut für Pathologie Universitätsmedizin MainzLangenbeckstr. 155131 Mainz

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