Chance vertan
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
ein Weltkongress in Berlin – und die Politik geht nicht hin? Tatsächlich, das gibt es: So geschehen bei der Weltkonferenz der Internationalen Vereinigung zur Verbesserung der Mundgesundheit von Menschen mit Behinderung (iADH) vom 2. bis zum 4. Oktober in Berlin. Rund 700 Teilnehmer aus dem In- und Ausland kamen zusammen, um sich mit den Belangen dieser sensiblen Patientengruppe auseinanderzusetzen. Dass der Kongress diesmal in Deutschland stattfand – und zwar unter der Schirmherrschaft der Bundeszahnärztekammer – ist für die Zahnärzteschaft ein starkes politisches wie auch fachliches Signal. Besonders im Rahmen ihres langjährigen Engagements für eine verbesserte zahnärztliche Betreuung von Menschen mit Behinderungen ist die Veranstaltung für die Zahnärzteschaft ein Meilenstein.
Die iADH hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Aus-, Fort- und Weiterbildung auf dem Gebiet der Zahnmedizin für Menschen mit besonderen Bedürfnissen zu fördern. Der Verband unterstützt weltweit entsprechende Curricula für das Zahnmedizinstudium und für Weiterbildungsprogramme. Zahlreiche führende internationale Organisationen haben Special Care Dentistry mittlerweile in ihre Ausbildungspläne integriert. Für uns hier in Deutschland war der Kongress eine willkommene Gelegenheit, Initiativen aus dem Ausland kennenzulernen, um von den Modellen für die eigene Arbeit zu profitieren. Dabei geht es nicht nur um die Therapie, sondern auch um den Umgang mit den Patienten. Mit dem diesjährigen Motto „Medicine meets Disability“ ist der Fokus für diese spezielle Patientengruppe um interdisziplinäre Betrachtungsweisen beim Thema Behinderung erweitert worden.
Die Zahnärzteschaft hat schon lange in die Politik hinein kommuniziert, dass es bei der Mundgesundheit von Menschen mit Behinderungen gravierende Mängel gibt. Deswegen haben BZÄK und KZBV zusammen mit den Fachgesellschaften in ihrem Konzept „Mundgesund trotz Handicap und hohem Alter“ Lösungsvorschläge für eine bessere Versorgung dieser Patienten vorgestellt. Mit vielen führenden Vertretern der Politik haben wir Gespräche geführt. Inzwischen gibt es erste gesetzliche Regelungen für die aufsuchende Betreuung. In der ambulanten Versorgung besteht aber noch erheblicher Handlungsbedarf. Deshalb spricht sich die Zahnärzteschaft dafür aus, besondere Leistungen im SGB V für die Versorgung von Menschen mit Handicap aufzunehmen.
Das allein reicht aber nicht aus. Will man von Inklusion, also der Teilhabe von Menschen mit Behinderungen an allen Aspekten des gesellschaftlichen Lebens sprechen, muss noch mehr geschehen. Leuchtturmprojekte aus den Reihen der Zahnärzteschaft gibt es bereits – dazu gehören karitative Behandlungsangebote, Beratungsstellen oder auch mobile Zahnarztpraxen, die sich um die zahnärztliche Versorgung von Menschen mit Handicap kümmern. Ein großes Thema ist es, die Zahnarztpraxis baulich barrierefrei zu machen, damit diese Patienten Zugang zu ihrem Zahnarzt erhalten. Hier hat beispielsweise die KZBV wichtige Initiativen auf den Weg gebracht. Jetzt geht es darum, auch die Barrieren in den Köpfen verschwinden zu lassen. Neben zahnärztlichem Fachwissen ist es erforderlich, eine wertschätzende Haltung gegenüber Menschen mit Behinderungen an den Tag zu legen und entsprechende Kommunikationskompetenzen zu verstetigen.
Wenn jetzt Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe in seinem schriftlichen Grußwort zum iADH-Kongress die BZÄK lobt und deren Beitrag zur Entwicklung der gesetzlichen Rahmenbedingungen für die aufsuchende Betreuung und für die Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Zahnärzten und Pflegekräften in Heimen hervorhebt, ist das erfreulich. Erfreulich ist auch die Zusage, dass in der neuen Approbationsordnung der Zusammenhang von Zahnmedizin und Medizin eine stärkere Rolle spielen soll. Dennoch ist es aus unserer Sicht irritierend, dass niemand aus dem BMG auf dem Weltkongress Präsenz zeigte. Es wäre ein wichtiges Zeichen gewesen.
Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. Dietmar OesterreichVizepräsident der Bundeszahnärztekammer