KBV-Vorstand im Dauerstress
Der Kern der KBV- Kontroverse ist ein Verteilungskampf zwischen Ärzteverbänden. Die Signale, die das KV-System damit in die Politik aussendet, sind katastrophal, meint Andreas Mihm, Wirtschaftskorrespondent der FAZ, Berlin. Sie haben es schon wieder getan. Sondersitzungen im Monatsrhythmus, Rücktrittsforderungen gegen den Bundesvorstand, Details aus geheimen Sitzungen und Schriftverkehr mit vertraulichen Personaldaten sind im Umlauf, der Gesundheitsminister ist eingeschaltet, sogar nach der Staats- anwaltschaft wird gerufen. Die Vertreter der fast 160 000 Haus-, Fachärzte und Psychotherapeuten tun, was sie am liebsten machen und am besten können – sich mit sich selbst befassen. Gut ein Jahr ist es her, seitdem der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Köhler, im Streit und nach schwerer Krankheit sein Amt hinwarf. Doch auch unter seinem Nachfolger Andreas Gassen, einem Orthopäden, kehrt keine Ruhe ein. Die Stimmung im doppelköpfigen KBV-Vorstand ist schlecht. Die Spannungen zwischen der Länder- und der Bundesebene sind gewachsen. Große KVen fordern Gassens Kopf. Er habe als KBV-Vorsitzender gegen die Interessen der Kassenärzte gehandelt, um jene der Fachärzte zu befördern.
Dass im Gegenzug der Rücktritt des hausärztlichen Vorstands Regina Feldmann wegen Amtsanmaßung verlangt wird, macht das Chaos komplett. Feldmann hatte, ohne den für Vorstandsdinge zuständigen Vorsitzenden der Vertreterversammlung einzuschalten, das Gesundheitsministerium um die Klärung der (mutmaßlich überhöhten) Ruhestandsbezüge ihres Ex-Kollegen Köhler gebeten. Manche sehen hierin weniger das Interesse an Aufklärung als an der Befriedigung von Rachegelüsten. Jeder kämpft gegen jeden. Ein vertrauensvoller Umgang, die Sacharbeit an gesundheitspolitischen Fragen, scheint kaum mehr möglich. Die KBV im Dauerstress. Das genau zu der Zeit, in der die Politik letzte Pflöcke in Sachen Versorgungsgesetz einrammt: Praxisaufkauf bei Überversorgung, Terminservicestellen gegen Wartezeiten und andere Dinge, die den Niedergelassenen ein Gräuel sind, die sie als „Schlag gegen die Freiberuflichkeit“ geißeln. Aber das scheint niemandem im KV-System wirklich zu interessieren. Was ist da ein Jahr vor den KV-Wahlen nur los? Alles Wahlkampfgetöse? Eindeutig fällt die Analyse nicht aus. Eitelkeiten, Macht- gelüste, offene Rechnungen spielen eine Rolle. Klar ist, dass der alte Reflex Fach- gegen Hausärzte noch funktioniert, aber nicht mehr die beherrschende Rolle spielt.
Verbandspolitische Interessen nehmen mehr Raum ein. Es geht um die Frage, wer an der Abrechnung der Kassenarztleistungen partizipiert. An den 37-Milliarden-Euro-Kuchen, den heute vor allem die KVen abrechnen, wollen andere gerne ran. Hausärzte und Medi rechnen schon eine Milliarde Euro direkt mit den Kassen ab. Dabei soll es nicht bleiben. Da kommt es den Fachärzten, die in ihrem neuen Spitzenverband (Spifa) eine Gegenmacht zu den Hausärzten organisieren, gut zupass, dass die Politik die „Ambulante Spezialfachärztliche Versorgung“ ausdehnen will. Dabei geht es darum, schwere Erkrankungen wie Krebs oder Rheuma ambulant im Krankenhaus zu behandeln. Noch sind das wenige Fälle. Aber Gassen hat (ausgerechnet) mit der Krankenhausgesellschaft verlangt, die Zahl der dafür freigegebenen Erkrankungen auszuweiten. Zeitgleich hat der Spifa, dessen Vorsitzender er bis vor Kurzem war, sich darauf vorbereitet, die Abrechnung übernehmen zu können. Deshalb wird Gassen vorgeworfen, er ordne KBV-Interessen denen des Spifa und der Kliniken unter. Der weist das empört zurück. Dass sein Vorgänger beim Spifa im Hintergrund eifrig mitmischt, leistet Verschwörungstheorien Vorschub. Viel spricht dafür, dass der Kern der neuen Kontroverse ein Verteilungskampf zwischen Ärzteverbänden ist. Die Signale, die das KV-System aussendet, sind katastrophal. Niemand sollte sich wundern, wenn die Politik auf die Selbstlähmung der Kassen-ärzte mit neuen Einmischungen in die Selbstverwaltung reagiert. Wer weiß, ob die dann nur die Ärzte treffen würden?
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