Viel mehr als ein Kauorgan
Die Herausgeber Hartmut Böhme, Bernd Kordaß und Beate Slominski vertreten die These, dass der Mundraum bislang lediglich aus der Perspektive jeweils einer singulären Wissenschaft beschrieben wurde. „Das Dentale“ wagt dagegen eine Polyperspektivik, mit der der Mundraum als eine Körperzone von anthropologisch fundamentaler Bedeutung entdeckt werden konnte. Dabei geht es den Machern des Buches – ähnlich wie bei seinem Vorgänger „Das Orale“ [2013] – um eine Interdisziplinarität, die über die bloße wechselseitige Kenntnisnahme der beteiligten Fächer hinausgeht.
„Erstmals wird hier das bisher fast völlig übersehene Funktionsensemble des Mundraums dargestellt, dessen vielfältige Dimensionen bislang ausschließlich in der Perspektive jeweils einer einzigen Wissenschaft, sei’s der Physiologie, der Zahnmedizin, der Linguistik, der Psychoanalyse, der Kunstgeschichte et cetera entwickelt wurden. Erst durch die interdisziplinäre Polyperspektivik, wie sie das Buch wagt, konnte der Mundraum als eine Körperzone von anthropologisch fundamentaler Bedeutung entdeckt werden“, schreibt Slominski vorweg.
Neben den klassischen Themen der Zahnmedizin werden insbesondere die ethno-zahnmedizinischen, evolutionsbiologischen und paläoanthropologischen Dimensionen berücksichtigt. Dargestellt werden das orofaziale System und seine funktionellen Störungen, die Evolution des Gesichts, die Gesichts- und Schädelchirurgie im Kontext von rekonstruktiver Chirurgie, medizinischer Ästhetik und kultureller Physiognomik des Gesichts.
###more### ###title### Die Semantik des Dentalen ###title### ###more###
Die Semantik des Dentalen
Neuartige Aufsätze widmen sich etwa der Semantik der Zähne im Ost-West-Konflikt, der Anästhetik der Spucke im Surrealismus oder den fundamentalen Funktionen, die das Dentale in der psychoanalytischen Deutung der menschlichen Entwicklung einnimmt. Hier werden neue Erkenntnisse in Korrespondenz zu den zahnmedizinischen und naturwissenschaftlichen Objektivierungsverfahren entwickelt, insbesondere die historischen, künstlerischen und medialen,maber auch die leiblichen und psychologischen Semantiken des Dentalen.
Brückenschläge zu kulturellen Kontexten
Wechselwirkungen zwischen der kraniofazialen Kinetik mit dem Körper werden ebenso thematisiert wie die jüngsten Entwicklungen der dentalen CAD/CAM-Systeme und der mathematischen Modellierung der Kaumechanik. Besonderes Gewicht liegt auf den Brückenschlägen zu den kulturellen Kontexten und den künstlerischen oder filmischen Repräsentation des Dentalen. Wissenschaftshistorische Studien runden das medizinische Programm des Buches ab.
Bildgewaltig komponiert das Dentale Beiträge aus Zahnmedizin, bildender und darstellender Kunst und Literatur. Kunstwerke und wissenschaftliche Illustrationen ziehen sich durch die Seiten als ein kontrastreicher, mal evidenter, mal geheimnisvoller, oft überraschender, bisweilen auch ironischer Kommentar zu den wissenschaftlichen Aufsätzen.