Mit Zuckerbrot und Peitsche
Der Entwurf zum E-Health-Gesetz soll Nägel mit Köpfen machen, doch zahlen wird letztlich der Versicherte, meint Dr. Jutta Visarius, Gesundheitspolitische Fachjournalistin, L et V Verlag Berlin. Entsprechend dem Koalitionsvertrag und den Ankündigungen des vergangenen Jahres hat das BMG Mitte Januar den Referentenentwurf eines Gesetzes für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen vorgelegt, der zum 1.1.2016 in Kraft treten soll. Augenscheinlich wollen Politik und BMG, dass nach jahrelangen Verhandlungen über eGK und Telematik endlich Nägel mit Köpfen gemacht werden, mit engen Fristen und einem strammen Zeitplan, und zwar frei nach dem Motto „mit Zuckerbrot und Peitsche“.
Zu den Zuckerbrotschnittchen gehören Anschubfinanzierungen für Krankenhäuser und Niedergelassene zur Nutzung unterschiedlicher Anwendungen der eGK in den ersten Jahren, aber auch Sanktionen in Höhe von einem Prozent des Honorars, wenn die Nutzung verweigert wird. Die Peitsche wird auch geschwungen, wenn die Selbstverwaltung die in diesem Entwurf gesetzten Fristen nicht einhält, sich nicht bis zu diesem Zeitpunkt einigt. Dann werden die Verwaltungshaushalte der Gesellschafter der gematik um ein Prozent gekürzt. Dies gilt dann ebenso für den Spitzenverband Bund der Krankenkassen wie auch zum Beispiel für die KZBV, unabhängig davon, wer sich einer Einigung verweigert hat.
Das BMG hält dies für eine geeignete Maßnahme, um Kooperation und Einigungswilligkeit der gematik-Gesellschafter zu stärken. Dieser Mechanismus soll nach jeder Fristverstreichung greifen, so dass sich Kürzungen addieren und am Ende schmerzhaft sein können. Als weiterer Mechanismus zur Entscheidungsfindung wird eine Schlichtungsstelle eingerichtet, die in kurzen, vorgegebenen Fristen einen Schlichtungsspruch finden muss. Der unparteiische Vorsitzende wird von allen Gesellschaftern bestimmt, findet sich keine Einigung, bestimmt sie/ihn das BMG, jeder Gesellschafter kann zudem eine Person in die Schlichtungsstelle entsenden. Dieses Muster zieht sich durch den gesamten Entwurf: Kommt keine Einigung zustande, entscheidet das BMG. Dies gilt auch für sensible Bereiche wie die Herstellung von Interoperabilität und den Datenschutz. Letzterer muss auch im Zusammenhang mit dem im parlamentarischen Ver-fahren befindlichen IT-Sicherheitsgesetz gesehen werden, das für „kritische“ Infrastrukturen, dazu gehören per definitionem die des Gesundheitswesens, besondere Sicherheitsstandards und Meldepflichten von Störfällen an das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnologie vorsieht. Dies bedeutet, dass gewisse Nachbesserungen der geltenden Standards erfolgen müssen, mit denen die Sicherheit deutlich erhöht wird.
Bestehende Systeme wie zum Beispiel KV-SafeNet sollen integriert werden, sofern sie den Sicherheitsstandards genügen. Was nicht geregelt ist und einigen Sorgenfalten ins Gesicht kerbt, ist die Frage, was geschieht, wenn die Industrie nicht liefern kann, ein Szenario, was die Gesellschafter der gematik durchaus schon erlebt haben. Der Glaube an eine unbeschränkte Leistungsfähigkeit der Industrie ist nach den bisher gesammelten Erfahrungen nicht angebracht. Im Sommer wird der Großversuch zum Stammdaten-Management abgeschlossen sein und bis zum 30.6.2016 müssen alle Praxen vernetzt sein und daran teilnehmen. Der verpflichtende elektronische Medikationsplan für alle jene Patienten, die fünf Medikamente und mehr einnehmen, folgt zum 1.10.2016, der Notfalldatensatz 2018. Noch offen ist die Frage nach den Kosten. Ärzte, Zahnärzte und Krankenhäuser zahlen nichts, für sie werden sogar Anreizstrukturen implementiert. Die Ersatzkassen etwa halten dies für nicht gerechtfertigt, sie wollen auch keine Doppelfinanzierungen durch die Integration von Systeme wie KV-SafeNet. Letztlich zahlt der Versicherte und dies kräftig. Das BMG rechnet mit einem dreistelligen Millionenbetrag, die Krankenkassen befürchten sogar noch höhere Kosten.
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