Leitartikel

Prävention im Sinne der Kleinsten

Wolfgang Eßer

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

die frühkindliche Karies (Early Childhood Caries, ECC) ist ein gravierendes und bisher ungelöstes Problem. Die Hälfte aller kariösen Defekte, die bei der Einschulung festgestellt werden, sind bereits in den ersten dreißig Lebensmonaten entstanden. Die Betreuung allein durch den Kinderarzt in den ersten dreißig Lebensmonaten reicht offensichtlich zur Senkung des Erkrankungsrisikos nicht aus.

Extremfälle nehmen immer weiter zu, frühkindliche Karies ist aufgrund der Anzahl der betroffenen Zähne, des Schweregrads der Zerstörung und des geringen Alters der Kinder das größte kinderzahnheilkundliche Problem. Die Nuckelflaschenkaries gehört inzwischen zu den häufigsten chronischen Erkrankungen im Kindesalter.

Vor genau einem Jahr haben BZÄK und KZBV ihr Konzept „Frühkindliche Karies vermeiden“ (ECC-Konzept) vorgestellt. Darin haben wir ein interdisziplinäres Konzept zur Prävention erstellt, um gesetzliche Rahmenbedingungen für einen Zahnarztbesuch ab dem Durchbruch des ersten Zahnes im ersten Lebensjahr zu schaffen. Es gilt, die Karies so früh wie möglich zu vermeiden. Hier müssen wir mit Gynäkologen, Kinderärzten und Hebammen zusammenarbeiten.

Wir fordern konkret eine Erweiterung des bisherigen Leistungskatalogs. Das gelbe Kinderuntersuchungsheft des G-BA soll um zahnärztliche Früherkennungsuntersuchungen ab Durchbruch des ersten Zahnes erweitert werden, um eine gezielte, systematische Betreuung zu sichern. Drei neue Früherkennungsuntersuchungen sollen eingeführt und mit den kinderärztlichen Untersuchungen im gelben Kinderuntersuchungsheft vernetzt werden. Hier soll eine verpflichtende Verweisung zum Zahnarzt vorgesehen werden. Deswegen haben wir das Thema im G-BA platziert, um auf eine Änderung der Richt- linien hinzuarbeiten. Zunächst ist die Politik gefordert. In unserer gemeinsamen Stellungnahme zum Präventionsgesetz haben wir die Politik aufgefordert, mit einer Regelung im Präventionsgesetz den Weg zur Vermeidung der Nuckelflaschenkaries frei zu machen.

Einzelne Krankenkassen haben die Notwendigkeit bereits erkannt und im Rahmen von kollektiven Selektivverträgen aufgegriffen. Uns geht es aber darum, dass alle betroffenen Kinder von dem Angebot profitieren. Aus fachlicher Sicht reichen die derzeitigen Maßnahmen nicht aus, um das Problem in den Griff zu bekommen. Maßnahmen müssen vielschichtig greifen. Dazu wird etwa derzeit von BZÄK und KZBV ein Curriculum entwickelt, das Zahnärzte im Umgang mit den kleinen Patienten (und deren Eltern) sowie bei der Therapie im Praxisalltag unterstützen soll. Um zahnmedizinische Prävention erfolgreich durchführen zu können, sind entsprechende Ansätze erforderlich.

Interdisziplinäre Vernetzung und überregionale Zusammenarbeit sind hier wichtige Stichworte. Das fängt an mit der Beratung der Eltern, geht weiter mit der Schaffung von Netzwerken mit den Kinderärzten und bindet die Zusammenarbeit mit Kindertagesstätten und Krippen mit ein. Wichtig ist der Setting-Ansatz, der die kleinen Patienten und deren Eltern mit zahnärztlichen Beratungsangeboten in ihren Lebenswelten abholt. Zahnmedizinische Prävention der Kleinkinder ist eine Aufgabe, bei der jetzt die Politik am Zug ist. Deshalb fordern wir den Gesetzgeber auf, das Thema im geplanten Präventionsgesetz mit aufzunehmen. Wir halten eine Beteiligung der Zahnärzte für unabdingbar, um das erforderliche Fachwissen einzubringen.

Darüber hinaus fordern wir die Einbindung der Zahnärzteschaft in die nationale Präventionskonferenz und das geplante Präventionsforum. Unerlässlich ist für uns die Ausweitung der Früherkennungsuntersuchungen durch Zahnärzte auf den Bereich zwischen dem sechsten und dem 30. Lebensmonat. Dafür kämpfen wir – im Sinne unserer kleinsten Patienten.

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