Echte Wahlfreiheit gewährleistet die Patientenrechte
Auch wenn die Zahlen der aktenkundigen Beschwerden deutlich machen, dass es sich nicht um ein den gesamten Berufsstand der Kieferorthopäden prägendes Verhalten handelt, war die gefühlte Betroffenheit groß. Natürlich soll der Patient – dies entspricht auch der gesetzlichen Vorgabe der §§ 630 c und e BGB – über die zur Verfügung stehenden Behandlungsalternativen aufgeklärt werden.
Dabei können und sollen dem Patienten auch Behandlungsalternativen außerhalb der Regelversorgung der gesetzlichen Krankenversicherung vorgestellt werden, damit der Patient die Möglichkeit hat, sich für die von ihm gewünschte Behandlung zu entscheiden. Dabei muss dem Patienten klar sein, dass auch mit den Mitteln der Regelversorgung das im Behandlungsplan definierte Ziel in aller Regel erreicht werden kann. In dieser Beurteilung ist der Berufsverband mit der DGKFO und der DGZMK einig.
Das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen hat mit dem Urteil vom 09.08.2012 (Az.: L 6 AS 139/12) durchaus zutreffend den Unterschied von Regelversorgung und hierüber hinausgehenden Leistungen definiert und noch einmal klargestellt, dass die gesetzliche Krankenversicherung auch im Rahmen der Versorgung mit kieferorthopädischer Behandlung alle Leistungen bereitstellt, die notwendig (im Sinne des SGB V), zweckmäßig, ausreichend und wirtschaftlich sind.Das Landessozialgericht erkannte jedoch auch an, dass die moderne Kieferorthopädie Behandlungsgeräte und zahnärztliche Leistungen kennt, die über dieses Maß hinausgehen.
Ein Beispiel für Leistungen sind Non-Compliance-Geräte wie zum Beispiel Klasse-II-Mechaniken. Mit dem bei den Patienten unbeliebten Außenbogen lassen sich entsprechende Fehlstellungen hervorragend kostengünstig behandeln. Die Entscheidung eines Patienten für eine optisch unauffälligere und komfortablere Klasse-II-Mechanik ist gleichwohl vollkommen nachvollziehbar. Komfort, Optik und geringere Disziplin bei der Mitarbeit sind aber – auch dies eine notwendige Folge der solidarischen Krankenversicherung – nicht von der Versichertengemeinschaft zu leisten, sondern müssen, wie auch das Bundessozialgericht festgestellt hat, nach der Grundkonzeption des SGB V vom Versicherten selbst getragen werden.
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Der Patient muss umfassend informiert werden
Um die Wahlfreiheit des Patienten für oder gegen Leistungen zu gewährleisten, die über die Regelversorgung hinausgehen, muss aber die Information über den Umfang und die Möglichkeiten der Regelversorgung ordnungsgemäß und vollständig sein. Eine übertrieben negative Darstellung der Regelversorgung ist dabei ebensowenig mit den vertragszahnärztlichen Pflichten vereinbar wie die Ankündigung oder Umsetzung von „Schikanemaßnahmen“ wie zum Beispiel überlangen Wartezeiten.
Gemäß den gesetzlichen Regelungen, aus denen sich die Pflichten des Vertragsarztes ergeben, wird deutlich, dass die Behandlung – sofern der Patient dies ausdrücklich wünscht – nicht nur ausschließlich mit den Mitteln der Regelversorgung durchgeführt werden kann, sondern auch durchgeführt werden muss.
So haben gemäß § 70 Abs. 1 SGB V die Krankenkassen und die Leistungserbringer eine bedarfsgerechte und gleichmäßige, dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Versorgung der Versicherten zu gewährleisten, die das Maß des Notwendigen nicht überschreitet und wirtschaftlich erbracht werden muss. Krankenkassen und Leistungserbringer, also auch die Zahnärzte, wirken zur Sicherstellung dieser vertragszahnärztlichen Versorgung zusammen, § 72 Abs. 1 SGB V. Die so im Grundsatz definierte vertragszahnärztliche Versorgung hat der Vertragszahnarzt gemäß § 4 Abs. 1 BMV-Z persönlich oder mithilfe von angestellten Zahnärzten oder Hilfskräften durchzuführen.
Vertragszahnärztliche Versorgung ist Pflicht
Diese Pflichten übernimmt jeder Zahnarzt, der einen Antrag auf Zulassung zur vertragszahnärztlichen Versorgung stellt. Die Zulassung, hierauf sei deutlich hingewiesen, begründet nicht nur das Recht, gesetzlich versicherte Patienten zu behandeln, sondern auch die Pflicht, dies zu tun. Wer als Zahnarzt nicht bereit ist, sich diesen Regeln zu unterwerfen, weil er es möglicherweise mit dem Anspruch an die eigene Tätigkeit nicht vereinbaren kann, sich auch einmal in der Wahl seiner Therapiemittel zu beschränken und grundsätzlich die beste verfügbare Behandlung durchführen will, ist letztlich für die vertragszahnärztliche Versorgung, die nun einmal die dargestellten Restriktionen aufweist, nicht geeignet.
Die Zweifel an der Eignung eines Zahnarztes, an der vertragszahnärztlichen Versorgung teilzunehmen, werden umso deutlicher, wenn als Argument dafür, dem Patienten die Regelversorgung zu verweigern, darauf hingewiesen wird, dass beispielsweise Standardmaterialien in der Praxis gar nicht vorhanden seien. Wer als Vertragszahnarzt das Angebot einer zuzahlungsfreien Regelversorgung nur mit Materialien erfüllen kann, die über die ausreichenden Materialien hinausgehen, muss dies notfalls auf eigene Kosten tun.
Das Beschaffungsverhalten in der Praxis kann sicher die Pflicht zum Angebot einer Regelversorgung nicht beeinflussen. Ebenso wenig führt der – verschiedentlich im Kollegenkreis vernommene – Hinweis auf fehlende Erfahrungen mit der Behandlung im Umfang der Regelversorgung („Edgewise kann ich doch gar nicht!“) nicht zum Erfolg. Die Zulassungsgremien würden wohl nicht lange zögern, einem Vertragszahnarzt, der nicht nur Zuzahlungen als Voraussetzung für eine Behandlung fordert, sondern darüber hinaus auch nach eigenem Bekunden für eine Regelversorgung fachlich nicht qualifiziert ist, die Zulassung zu entziehen.
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Gerichte finden klare Worte
Ohnehin verstehen die Zulassungsgremien und die Sozialgerichte keinen Spaß, wenn Patienten zu Zuzahlungen genötigt werden. Das Landessozialgericht fand für einen Kieferorthopäden, der in Fällen, in denen keine Zuzahlungen geleistet wurden, nur noch Vormittagstermine vergab, den Behandlungsbeginn hinauszögerte und ähnliche Maßnahmen ergriff, deutliche Worte: „Das [eine gröbliche Pflichtverletzung] ist hier der Fall. Denn der Kläger hat die Erbringung der geschuldeten vertragszahnärztlichen Leistungen davon abhängig gemacht, dass seine Patienten zuvor zu seinen Gunsten eine Zusatzvereinbarung zur PZR verbunden mit der Verpflichtung zu nicht unerheblichen Zuzahlungen schließen.
Er hat damit seine vertragszahnärztlichen Pflichten nicht bzw. nicht ordnungsgemäß erfüllt i.S.d. § 81 Abs. 5 Satz 1 SGB V (BSG, Urteile vom 14.03.2001 – B 6 KA 36/00 R und B 6 KA 67/00 R), sondern die ihm ob-liegenden vertragszahnärztlichen Pflichten gröblich verletzt. Auch der Senat sieht nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür, dass den Beigeladenen noch eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Kläger möglich sein könnte. Das Vertrauensverhältnis zu den Krankenkassen und der Kassenzahnärztlichen Vereinigung ist derart grundlegend gestört, dass diesen eine weitere Zusammenarbeit mit dem Kläger nicht zuzumuten ist; durch eine weitere vertragszahnärztliche Tätigkeit des Klägers wäre die Funktionsfähigkeit des Systems der vertragszahnärztlichen Versorgung gefährdet.“
Zweckmäßig, wirtschaftlich, ausreichend
Dem ist nur der Appell hinzuzufügen, die Regelversorgung als das wahrzunehmen, was sie nun einmal ist – im Positiven wie im Negativen: eine zweckmäßige und wirtschaftliche, aber auch ausreichende Behandlung. Nicht nur die Regelversorgung selbst, auch gewisse Einschränkungen sind darüber hinaus in einem solidarisch finanzierten Gesundheitssystem (leider) notwendig. Nur wenn den gesetzlich versicherten Patienten die Möglichkeit der Regelversorgung tatsächlich eröffnet wird, sie offen und umfassend auch über die Behandlungsmöglichkeit innerhalb der Regelversorgung informiert werden, können sich Patienten wirksam dafür entscheiden, Leistungen in Anspruch zu nehmen, die über die Regelversorgung hinausgehen, und so an der modernen Kieferorthopädie teilhaben. Diese Information des Patienten sollte dokumentiert werden. Die Entscheidung für Mehrleistungen muss vor Erbringung der Leistung mit dem Patienten schriftlich vereinbart werden.
Dr. Gundi Mindermann
Bundesvorsitzende des Berufsverbands der Deutschen Kieferorthopäden (BDK) und
RA Stephan Gierthmühlen, Kiel
Korrespondenzadresse:
Berufsverband der Deutschen Kieferorthopäden e.V. (BDK)
Ackerstr. 3, 10115 Berlin