Am besten effektiv vorbeugen
Rund jeder dritte Bundesbürger leidet an mindestens einer allergischen Erkrankung, wobei nach einer Untersuchung des Robert Koch-Instituts (RKI) in Berlin Frauen deutlich häufiger betroffen sind als Männer. So liegt die Prävalenz bei Frauen bei knapp 36 Prozent gegenüber 24 Prozent bei Männern. Mit einer Häufigkeit von rund 16 Prozent ist vor allem der Heuschnupfen ein weit verbreitetes Problem, gefolgt vom Kontaktekzem, unter dem knapp 13 Prozent der Bevölkerung leiden und dem allergischen Asthma mit einer Prävalenz von nahezu zehn Prozent. Bei den meisten allergischen Erkrankungen sind sowohl Frauen wie auch Männer im Alter zwischen 18 und 49 Jahren eindeutig häufiger betroffen als ältere Menschen. Nachdem lange Zeit ein kontinuierlicher Anstieg der Allergiehäufigkeit verzeichnet wurde, gibt es inzwischen Hinweise auf eine Art Plateau bei der Entwicklung. Allerdings sind die Daten für die einzelnen Allergieerkrankungen nicht einheitlich: Im Zehn-Jahres-Trend stieg die Asthmaprävalenz laut RKI um knapp drei Prozent an, die Prävalenz für die Urtikaria und die Kontaktekzeme sank jedoch und die Lebenszeitprävalenz für Heuschnupfen, Neurodermitis und Nahrungsmittelallergien blieb unverändert. Insgesamt betrachtet ist damit die Allergieprävalenz rückläufig.
Unter Verdacht ist der westliche Lebensstil
Die weite Verbreitung von Allergien wird vor allem mit dem westlichen Lebensstil in Zusammenhang gebracht. Hinweise hierfür liefert insbesondere die Allergieentwicklung nach der Wiedervereinigung Deutschlands. So waren allergische Erkrankungen in den neuen Bundesländern trotz deutlich höherer Luftverschmutzung zuvor eindeutig seltener als in den alten Bundesländern. Inzwischen hat sich mit der Angleichung des Lebensstils jedoch auch die Prävalenz der Allergien zwischen Ost und West angeglichen, so heißt es in einer Publikation des RKI. Durch welche Substanz eine Allergie im individuellen Fall verursacht ist, ist dabei oft schwer zu ermitteln. Immerhin sind mittlerweile mehr als 20 000 potenziell allergieauslösende Verbindungen bekannt.
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Auch die Gene bestimmen das Allergierisiko
Doch nicht nur der westliche Lebensstil spielt eine Rolle, auch die Erbanlagen entscheiden maßgeblich über das Allergie- risiko. Denn wenn weder Vater noch Mutter Allergiker sind, beträgt das Allergierisiko eines Kindes lediglich 15 Prozent. Leidet jedoch ein Elternteil unter einer Allergie, steigt es auf 20 bis 40 Prozent. Sind aber Vater und Mutter Allergiker, so werden die Kinder mit einer Wahrscheinlichkeit von 50 bis 60 Prozent ebenfalls allergisch auf bestimmte Umweltreize reagieren. Aber nicht jeder, der eine entsprechende genetische Disposition besitzt, wird zwangsläufig zum Allergiker. Ob ein entsprechend vorbelastetes Kind später Allergiker sein wird oder nicht, hängt wesentlich auch davon ab, wie es aufwächst. „Sowohl die zu frühe als auch die zu intensive Aus- einandersetzung mit potenziellen Allergieauslösern wie Lebensmitteln, Tierhaaren, Hausstaubmilben und Pollen spielen dabei eine wesentliche Rolle“, betonen Experten beim Deutschen Allergie- und Asthmabund e.V. (DAAB). Darüber hinaus werden laut DAAB Umwelteinflüsse wie Zigarettenrauch und Luftschadstoffe in Innenräumen und Außenluft für eine Allergieentwicklung verantwortlich gemacht.
Vor diesem Hintergrund gibt es offenbar Möglichkeiten, der Entwicklung von Allergien vorzubeugen und insgesamt das Allergierisiko zu minimieren. Welche Chancen hierfür bestehen, wird in einem aktuellen Update der S3-Leitlinie zur Allergieprävention dargestellt.
Maßnahmen zur Prävention
Wesentliche Punkte sind dabei die Ernährung während der Schwangerschaft und in der frühen Kindheit sowie der Umgang mit Umweltschadstoffen und potenziellen Allergenen. In der neuen Leitlinie werden die früheren Empfehlungen zum Teil weiter unterstützt, zum Teil aber auch revidiert und neue Empfehlungen und Stellungnahmen werden formuliert. Schwangeren Frauen wird in der neuen Leitlinie zu einer ausgewogenen und nährstoffdeckenden Ernährung geraten. Ratsam ist ein ausreichender Verzehr von Gemüse und Obst, um eine gute Versorgung mit Antioxidantien und präbiotischen Nahrungsinhaltsstoffen zu gewährleisten. Letztere sind offenbar vorteilhaft im Hinblick auf die Entwicklung einer komplexen intestinalen Mikroflora, die wiederum einen günstigen Einfluss auf die orale Toleranzentwicklung haben kann. Diätetische Restriktionen wie etwa das konsequente Meiden potenzieller Nahrungsmittelallergene sind jedoch nicht ratsam, wie ausdrücklich in der Leitlinie betont wird.
Allerdings wird während Schwangerschaft und Stillzeit zum reichlichen Verzehr von Fisch geraten. Denn das kann offensichtlich zur Allergieprävention beim Kind beitragen. Die Empfehlung gilt aber nicht für Personen mit bekannter oder vermuteter Fischunverträglichkeit. Das Stillen der Säuglinge wird auch in puncto Allergieprävention nach wie vor als vorteilhaft erachtet. Entsprechend der aktuellen Datenlage sollten die Kinder dabei in den ersten vier Lebensmonaten möglichst voll, also ohne Zufütterung gestillt werden. Der Einfluss des Stillens wurde allerdings bislang offenbar überschätzt: „Nach wie vor werden präventive Effekte auf allergische Erkrankungen durch das Stillen berichtet. Insgesamt schwächen sich diese Effekte allerdings ab. Die Auffassung, dass durch längeres, insbesondere ausschließliches Stillen die präventiven Effekte verstärkt würden, ist im Hinblick auf die Allergieprävention nicht evidenzbasiert“, heißt es im Leitlinien-Update. Es gibt demnach sogar Befunde, wonach längeres Stillen das Allergierisiko des Kindes erhöht, wenn die Mutter selbst von Allergien betroffen ist. Nach aktueller Datenlage ist laut Leitlinie dennoch an der Empfehlung zum Stillen festzuhalten.
Ab dem Beginn des fünften Lebensmonats sollten die Säuglinge wegen des steigenden Nährstoffbedarfs Beikost erhalten, da dies offenbar die Toleranzentwicklung fördert. Parallel zur Einführung der Beikost können die Kinder aber weiter gestillt werden. Den Zeitpunkt für die Gabe von Beikost zeitlich hinauszuschieben, macht in puncto Allergieprävention keinen Sinn. Für Risikokinder, die nicht gestillt oder teilgestillt werden, wird in den ersten vier Lebensmonaten eine Hydrolysatnahrung empfohlen. Für sojabasierte Säuglingsnahrungen fehlen laut Leitlinien-Update valide Hinweise auf einen präventiven Effekt und es werden sogar gesundheitliche Bedenken diskutiert.
###more### ###title### Kontroverse Diskussionen zu Probiotika ###title### ###more###
Kontroverse Diskussionen zu Probiotika
Keinen Hinweis gibt es laut Leitlinie dafür, dass diätetische Restriktionen gleich welcher Art einen relevanten Einfluss auf das Allergierisiko haben. Es ist ebenso wenig belegt, dass die Gabe potenzieller Nahrungsmittelallergene vor dem vollendeten vierten Lebensmonat präventiv wirksam ist. Hinweise auf protektive Effekte gibt es lediglich zum Fischkonsum, so dass die Experten explizit dazu raten, durchaus auch Fisch mit in die Beikost aufzunehmen. Die Studienlage bezüglich der Vitamin-D-Spiegel und gegebenenfalls einer Vitamin- D-Supplementierung und allergischen Erkrankungen ist nach den aktuellen Angaben widersprüchlich, wobei es sogar Hinweise auf eine höhere Ekzemprävalenz bei hohen Vitamin-D-Spiegeln gibt. Die Datenlage wurde laut Leitlinie als nicht ausreichend angesehen, um Empfehlungen zu verabschieden.
Kontrovers diskutiert wird ebenfalls der Nutzen von Probiotika und Präbiotika zur Allergieprävention, ein konsistenter präventiver Effekt ist nicht belegt. Die Leitlinienautoren konnten sich vor diesem Hintergrund nicht zu einer eindeutigen Empfehlung entschließen. In einer Stellungnahme aber wird erklärt, dass ein präventiver Effekt bisher nur für das atopische Ekzem dargestellt wurde und dass eine generelle Empfehlung zu konkreten Präparaten, Applika-tionsformen und Dauer und Zeitpunkt der Gabe vor allem auch aufgrund der Heterogenität der Bakterienstämme und der Studiendesigns nicht gegeben werden kann. Eindeutig wird dazu geraten, bei Kindern auch im Hinblick auf das Allergierisiko unbedingt zu versuchen, der Entwicklung von Übergewicht und Fettleibigkeit entgegenzuwirken. Denn es besteht eine direkte Assoziation zwischen einem hohen Body-Mass-Index (BMI) der Kinder und einem erhöhten Asthmarisiko.
Hund ja – Katze nein
In der aktuellen Expertenstellungnahme wurde die positive Beurteilung einer frühen unspezifischen Immunstimulation beibehalten. Denn es gibt gute Hinweise, dass diese vor der Entwicklung allergischer Erkrankungen schützt. So bestätigt beispielsweise eine aktuelle Meta-Analyse eine signifikante Risikoreduktion um rund 30 Prozent für Asthma-Symptome durch das Aufwachsen auf einem Bauernhof. Auch der Besuch einer Kindertagesstätte in den ersten zwei Lebensjahren und eine höhere Anzahl älterer Geschwister beugen offenbar der Allergieentwicklung vor. Differenziert wird das Thema Haustierhaltung betrachtet. In Nicht-Allergierisiko behafteten Haushalten gibt es demnach keine Notwendigkeit zur Beschränkung bei der Anschaffung von Haustieren und auch für Risikopersonen sind laut Leitlinie Haustiere nicht grundsätzlich tabu. Eine Ausnahme stellen lediglich Katzen dar. Daher sollten in Familien mit erhöhtem Allergierisiko keine Katzen angeschafft werden. Da die Studienlage allerdings insgesamt widersprüchlich ist, wird in den Leitlinien explizit keine Empfehlung zur Abschaffung einer bereits im Haushalt lebenden Katze ausgesprochen. Anders sieht die Situation bei Hunden aus, denn die Hundehaltung ist offensichtlich nicht mit einem höheren Risiko für Allergien verbunden. Im Gegenteil: Das Halten von Hunden geht einer aktuellen Metaanalyse zufolge mit einer signifikanten Risikoreduktion von 28 Prozent für das atopische Ekzem und einer nicht-signifikanten Risikoreduktion von 23 Prozent für das Asthma bronchiale einher.
###more### ###title### Schimmelpilze, Tabakrauch und Luftschadstoffe meiden ###title### ###more###
Schimmelpilze, Tabakrauch und Luftschadstoffe meiden
Vermieden werden sollte laut Leitlinie ein Innenraumklima, das Schimmelwachstum begünstigt wie etwa bei einer zu hohen Luftfeuchtigkeit oder bei mangelnder Ventilation. Zu bedenken ist ferner, dass auch Innenraumschadstoffe wie zum Beispiel Formaldehyd und flüchtige organische Komponenten, wie sie durch neue Möbel sowie bei Maler- und Renovierungsarbeiten freigesetzt werden, das Asthmarisiko erhöhen. Deshalb sollte die Exposition gegenüber solchen Innenraumschadstoffen möglichst gering gehalten werden. Da auch die Exposition gegenüber Stickoxiden und Feinstaubpartikeln mit einem erhöhten Asthmarisiko behaftet ist, sollte die Belastung mit KFZ-bedingten Emissionen ebenfalls minimiert werden.
Keinen Einfluss in puncto Primärprävention aber haben spezifische Maßnahmen zur Reduktion der Hausstaubmilben wie etwa milbenallergendichte Matratzenüberzüge. Solche Maßnahmen sind zur Sekundär- prävention sinnvoll, der Entwicklung einer Allergie vorbeugen lässt sich damit jedoch nicht. Unbedingt zu vermeiden sind jedoch das Rauchen und ebenso das Passivrauchen. Denn die Exposition gegenüber Tabakrauch steigert das Risiko für die Entwicklung des Asthma bronchiale und auch für Allergien. So ist bei intakter Schleimhaut die Wahrscheinlichkeit, dass eine Pollenbelastung zur Allergieauslösung führt, eher gering. Erhöht aber ist das Risiko beim Vorliegen von Schleimhautläsionen, wie sie durch das Rauchen induziert werden können. Vor allem in Haushalten, in denen Kinder leben, sollte deshalb keinesfalls geraucht werden. Denn bei Kindern, die in Raucherwohnungen leben, heilen Schleimhauthautläsionen im Zusammenhang mit Atemwegsinfektionen langsamer ab, so dass im Fall einer Pollenbelastung das Allergierisiko steigt. Da reicht es auch schon, wenn die Eltern auf der Terrasse rauchen und den Rauch mit der Kleidung in die Zimmer bringen.
Möglichst kein Kaiserschnitt
Neu in die Leitlinien aufgenommen wurde die Empfehlung, einen Kaiserschnitt möglichst zu vermeiden, wenn hierfür nicht eine klare Indikation besteht. Denn es gibt valide Hinweise dafür, dass Kinder, die durch Kaiserschnitt auf die Welt kommen, ein erhöhtes Allergierisiko und speziell ein erhöhtes Asthmarisiko haben. Ursache der Beobachtung könnte den Hypothesen zufolge eine mangelnde Immunstimulation durch die Exposition im natürlichen Geburtskanal sein. „Auch Veränderungen der Lungen- und der Leberfunktion und des Stressverhaltens wurden bei diesen Kindern beschrieben. Vor dem Hintergrund, dass derzeit in Deutschland rund jedes dritte Kind durch Kaiserschnitt auf die Welt kommt, sollte dieser Umstand bei der Auswahl des Geburtsverfahrens berücksichtigt werden“, heißt es im Leitlinien-Update.
Andererseits gibt es keine Belege dafür, dass Impfungen das Allergierisiko erhöhen, wohl aber Befunde, wonach Impfungen das Allergierisiko senken können. Daher wird von den Experten empfohlen, alle Kinder entsprechend den STIKO-Empfehlungen impfen zu lassen. Es existieren verschiedene Studien, die einen Zusammenhang zwischen einer Allergieentwicklung und der Einnahme von Medikamenten – insbesondere von Antibiotika und Paracetamol – nahelegen. Allerdings sind diese Assoziationen aufgrund der vielen potenziellen Einflussfaktoren „mit Vorsicht zu interpretieren“, so die aktuellen Bewertungen. Denn bislang fehle der Nachweis eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen einer entsprechenden Medikamenteneinnahme und der Entwicklung von atopischen Erkrankungen.
Psychosoziale Belastungen als Allergietrigger
Last, but not least gibt es Hinweise darauf, dass psychosoziale Belastungen während der Schwangerschaft und in der Kindheit – wie beispielsweise die Trennung der Eltern oder der Tod eines Elternteils – der Manifestation einer atopischen Erkrankung Vorschub leisten können. Ein präventiver Ansatz könnte sich nach Expertenansicht durch die frühzeitige therapeutische Begleitung von Kindern in solchen Belastungssituationen ergeben.