GKV-Versorgungsstärkungsgesetz

Fatales Signal

Der Bundestag hat am 5. März 2015 in erster Lesung den Gesetzentwurf zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung beraten. „Gute medizinische Versorgung darf auch in Zukunft keine Frage des Wohnorts sein“, erklärte dazu Gesundheitsminister Herman Gröhe.

Der Bundestag hat am 5. März 2015 in erster Lesung den Gesetzentwurf zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung beraten. „Gute medizinische Versorgung darf auch in Zukunft keine Frage des Wohnorts sein“, erklärte dazu Gesundheitsminister Herman Gröhe. „Gerade im ländlichen Raum sind verstärkte Anstrengungen nötig, um eine gute Versorgung aufrechtzuerhalten. Finanzielle Anreize sind dabei ein Baustein, wichtig ist aber auch, die Arbeitsbedingungen so zu verbessern, dass sich wieder mehr Ärzte für den Landarztberuf entscheiden. Gleichzeitig geht es darum, die Versorgung klug weiterzu- entwickeln.“ Ziel des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes (GKV-VSG) sei es, eine flächendeckende und gut erreichbare medizinische Versorgung weiterhin sicherzustellen. Zudem sollen die Rahmenbedingungen für die vertragsärztliche Versorgung flexibilisiert werden und Versicherte künftig einen schnelleren Zugang zur medizinischen Versorgung erhalten.

Streit über die richtigen Maßnahmen

Das Problem einer drohenden hausärztlichen Unterversorgung in ländlichen Gebieten ist seit Längerem bekannt – und die Ambitionen des Gesetzes lassen sich durchaus als ehrgeizig bezeichnen (siehe Kasten "Die wichtigsten Neuregelungen"). Doch während sich Politik und Selbstverwaltung bei der Problemanalyse eines Versorgungsmangels in ländlichen Gebieten noch weitgehend einig sind, streiten sich die Akteure seit der Vorlage des ersten Referentenentwurfs um die geeigneten gesetzlichen Maßnahmen, um die allgemeinmedizinische Versorgung zu verbessern. Vor allem die Ärzteschaft kritisiert die geplanten Maßnahmen massiv: „Dieses Gesetz ist in seiner jetzigen Form nicht geeignet, die ambulante ärztliche und psychotherapeutische Versorgung zu stärken. Im Gegenteil, es schreckt junge Mediziner vor einer Niederlassung ab. Es schwächt in Wahrheit die Versorgung“, sagt Dr. Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV). Das VSG setze falsche Anreize und riskiere den Wegfall Tausender Praxen von Ärzten und Psychotherapeuten. „Dabei stehen wir vor der Herausforderung, bei steigender Lebenserwartung der Bevölkerung und sinkenden Arztzahlen eine wohnortnahe Versorgung von hoher Qualität zu sichern. Dieses Gesetz hindert uns daran“, so Gassen weiter. Der geplante Aufkauf von Praxen in sogenannten „überversorgten“ Gebieten sei ein fatales Signal an junge Ärzte.

Zudem versorgten heute die niedergelassenen Ärzte in den großen Städten viele Patienten aus dem ländlichen Umland mit. Auch die geplante Termingarantie für Facharztbesuche stößt den Ärzten bitter auf – geplant ist, dass die KVen hierfür spezielle Servicestellen einrichten, um den Patienten innerhalb von vier Wochen einen Termin beim Facharzt zu besorgen. „Den Patienten muss klar sein, dass sie dort nicht den Wunschtermin bei ihrem Wunscharzt erhalten, sondern irgendeinen Termin bei irgendeinem Arzt“, betont der KBV-Chef.

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Ambulante Strukturen sind gefährdet

Ist die Vierwochenfrist nicht einzuhalten, sieht das Gesetz vor, die Patienten ins nächste Krankenhaus zu überweisen. Aus Sicht der KV seien die Kliniken aber überhaupt nicht in der Lage, die Qualität einer fachärztlichen Grundversorgung zu leisten, wie sie der ambulante Sektor bietet. Das VSG werde als eine Art Geschenk verkauft, das die Patientenversorgung verbessern solle, so Gassen weiter. Wie das trojanische Pferd berge es aber eine Gefahr, nämlich „die jetzigen Strukturen der ambulanten wohnortnahen Versorgung zu schädigen, wenn nicht gar zu zerstören“. Doch die KBV will nicht nur kritisieren, sondern hat auch eigene Vorschläge entwickelt. „Wir ergreifen kreative Maßnahmen, um der Bevölkerung zu zeigen, was dieses Gesetz wirklich bedeutet“, so KBV-Vorstand Dipl.-Med. Regina Feldmann. Dazu gehöre unter anderem eine umfassende Reform der Weiterbildung, deren Finanzierung gleichberechtigt zum stationären Sektor organisiert werden müsse. „Wir haben dafür ein Stiftungsmodell vorgeschlagen, das eine Weiterbildung sowohl im ambulanten wie im stationären Bereich ermöglicht“, erläuterte Feldmann.

Auch die Bundesärztekammer kritisierte in einer Stellungnahme zum Referentenentwurf Ende des vergangenen Jahres, die geplanten gesetzgeberischen Maßnahmen widersprächen dem Bekenntnis des Koalitionsvertrags zur ärztlichen Freiberuflichkeit. Statt die freiheitliche ärztliche Berufsausübung zu sichern und zu fördern, setze der Entwurf in vielen Bereichen auf mehr staatliche Regulierung.

Krankenkassen fühlen sich bestätigt

Doch wo die Standesorganisationen der Ärzteschaft in den Regelungen zur Praxisnachbesetzung fatale Signale sehen, fühlen sich die Krankenkassen endlich von der Politik bestätigt: „Wo neue Ärzte für die gute Versorgung der Bevölkerung nicht gebraucht werden, sollten sie auch nicht aus den Portemonnaies der Beitragszahler finanziert werden. Es ist gut, dass in Gebieten mit mehr Ärzten, als für die gute Versorgung der Menschen nötig sind, ein durch den Ruhestand eines Arztes frei werdender Arztsitz künftig nicht wieder besetzt werden soll. Es wird immer wieder kolportiert, dass es durch das Gesetz tausendfach zu Praxisschließungen kommen werde. Das ist kompletter Unsinn“, so der Sprecher des GKV-Spitzenverbands, Florian Lanz.

Richtig sei, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen Arztsitze lediglich dann in überversorgten Gebieten aufkaufen sollen, wenn der Praxisinhaber selbst seine Tätigkeit beenden will. Allerdings sehe der Gesetz-entwurf so viele Ausnahmen vor, dass die Regelung praktisch kaum zum Tragen kommen werde, so Lanz weiter. „Drohenden Ärztemangel auf dem Land zu beklagen und gleichzeitig Änderungen in den überversorgten Gebieten zu blockieren, ist keine Lösungsstrategie. Vielmehr ist es richtig, die in überversorgten Gebieten frei werdenden Praxen nicht wieder zu besetzen, um auch in Zukunft in weniger attraktiven Gebieten eine gute medizinische Versorgung erhalten zu können.“

Belastung für die Versicherten

Während sich Kassen und Ärzteschaft über die gesetzlichen Regulierungen und deren Auswirkungen für die Versorgung streiten, hat DGB-Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach vor allem die finanziellen Auswirkungen für die Versicherten im Blick: „Der vorliegende Gesetzentwurf belastet vor allem die gesetzlich Krankenversicherten. Selbst die Bundesregierung schätzt die daraus entstehenden zusätzlichen Belastungen auf mindestens 410 Millionen Euro. Das Problem aus Sicht der Gewerkschaft: Da die Arbeitgeberbeiträge seit einigen Jahren festgelegt seien, führten künftige Mehrausgaben zu Beitragssatz-steigerungen, die alleine die Arbeitnehmer zu schultern hätten, so Buntenbach. „Nach den erfolgten Kürzungen des steuerfinanzierten Bundeszuschusses an den Gesundheitsfonds ist absehbar, dass die Erhöhung des Arbeitnehmer-Zusatzbeitrags das einzige Ventil zur Finanzierung der Mehrkosten ist.“

Otmar MüllerGesundheitspolitischer Fachjournalist, Kölnmail@otmar-mueller.de

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