Ohnmächtig im Land des Zuckers
Wir – meine ehemalige Prophylaxeassistentin Doris Schoen, die Kollegen Inga Schwert und Viktor Schulz und unsere mongolische Dolmetscherin Ingusche – haben uns in Khotont eine Woche lang mit den Folgen des dramatisch-exzessiven Zuckerkonsums der Mongolen auseinandergesetzt, nachdem wir zuvor im 50 Kilometer entfernten Tuvshruuleh schon ausgiebig Kontakt mit der bedrückenden dentalen Realität des Landes hatten.
In Khotont wurden schließlich Zähne – oder was davon noch übrig war – entfernt. Wo möglich, haben wir versucht, mit Füllungen den Extraktionszeitpunkt für tief kariöse Zähne ein wenig in die wahrscheinlich leider trotzdem nicht allzu ferne Zukunft zu verschieben. Wir haben Zähne auch bei schon akuter apikaler Symptomatik wurzelbehandelt, nur um die erste Lücke in der Front eventuell noch zu vermeiden. Und mussten wegen des beschränkten Instrumentariums selbst bei auf rudimentäre Hygienemaßnahmen zurückgeschraubten Ansprüchen noch Abstriche bei der Aufbereitung machen, um überhaupt genügend Instrumente für die anstehenden Behandlungen zur Verfügung zu haben.
Unser Team hatte zwei portable units, Behandlungsliegen, OP-Leuchten, externe Absauganlagen und einen Drucktopf für die Sterilisation unverpackter Instrumente. Vorhandenes chirurgisches Instrumentarium ließ hinsichtlich Funktionalität, Qualität, Anzahl und Korrosionszustand Wünsche offen. Materialien: Fehlanzeige – bis auf Anästhetika und Sets mit Spiegel, Sonde und Pinzette zum praktischen Einmalgebrauch.
Mehr basierend auf eigener Erfahrung als allein auf den Empfehlungen der Standard-Mitnahme-Listen von DWLF hatte unsere Gruppe jedoch alles Notwendige dabei, auch dank großzügiger Unterstützung durch Sponsoren, ohne die solche Einsätze schwerlich zu finanzieren wären. Und auch Tuul Sodnompil, der Geschäftsführerin von DWLF, gebührt ein besonderer Dank: Unermüdlich pendelte sie mit Helfern zwischen den Einsatzorten, um Versorgungsengpässe zu schließen.
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Zucker ist allgegenwärtig
Zucker ist die bevorzugte Droge der Mongolen. Und die Besitzer der Kaufmannsläden in den Dörfern sind die Dealer. Süßigkeiten machen gefühlt 80 Prozent des Warensortiments aus. In jeder Jurte, in jedem Amtszimmer stehen schüsselweise Leckereien herum. Wenn man dann den Eltern zweijähriger Kinder erklären muss, dass sämtliche Milchmolaren nur noch extrahiert werden können, wenn man elfjährigen Kindern völlig zerfallene Sechsjahrmolaren herausoperieren muss, packen einen schon mal Entmutigung und Zorn. Doch wer ist schuld, wer müsste, wer könnte etwas ändern? Die Eltern, die Politik, DWLF?
Die Regierung erschwert die Arbeit der Zahnärzte
Die Zusammenhänge zwischen der Kariesentstehung und den – durch die Demokratisierung des Landes und der damit zwangsläufig verbundenen Invasion von Cola Co. – veränderten Ernährungsgewohnheiten sind den meisten Menschen keineswegs bewusst.
Aber es gibt auch Gegenbeispiele: Patienten mit zwar zum Teil reduzierten, aber ansonsten gepflegten und kariesfreien Gebissen, oder auch Zähne, deren Fissuren versiegelt wurden, belegen, dass es sehr wohl anders aussehen könnte. Also sind wohl zuallererst Aufklärung und Information gefragt. Wer aber soll das tun, wenn nicht DWLF?
Die Zentralregierung bedient sich zwar gerne der Hilfe von DWLF, wahrscheinlich vorwiegend um die eigenen Defizite im Gesundheitsmanagement zu exkulpieren. Wäre da nicht Sodnompil, die für ihr Heimatland überaus engagierte und kompromissbereite DWLF-Chefin, würde es zukünftig angesichts wohl immer restriktiverer vertraglicher Auflagen seitens der mongolischen Regierung wahrscheinlich keine DWLF-Einsätze in der Mongolei mehr geben.
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Erstaunliche Zahlen mit wenig Wirkung
Dabei hätte die Organisation allen Grund bei Verhandlungen selbstbewusst aufzutreten, betrachtet man die nackten Zahlen. Mehr als 6.000 Patienten haben die elf Gruppen laut DWLF-Statistik allein in diesem Sommer behandelt. Natürlich sind die von den Teilnehmern gemeldeten Zahlen mit einem gewissen Vorbehalt zu werten, da nicht nachprüfbar und die Erhebung im Ansatz nicht wirklich standardisiert. Statistisch interessanter wäre eine Dokumentation der durchschnittlichen Verweildauer von Sechsjahrmolaren nach ihrem Durchbruch in die Mundhöhle gewesen.
Fakt ist: Eine wirkliche Nachhaltigkeit unserer Tätigkeit in der Mongolei ist derzeit nicht gegeben. Angesichts des katastrophalen Mundgesundheitszustands der Bevölkerung ist nicht wirklich nachvollziehbar, warum die elf Gruppen im Einsatzzeitraum in jeweils zwei unterschiedlichen Orten tätig waren.
Mit dem erforderlichen, zusätzlichen Auf- und Abbau und dem Ein- und Auspacken von Behandlungsgeräten, Instrumenten und Materialien sowie den zurückzulegenden Fahrstrecken wurde wertvolle Arbeitszeit schlichtweg vergeudet. Sechs Arbeitstage pro Ort waren einfach zu kurz, um gerade begonnene Behandlungen zu einem halbwegs befriedigenden Ende zu bringen, die Enttäuschung der Patienten verständlich, wenn man ihnen weitere Leistungen aus Zeitgründen verweigern musste.
Wenn es nicht das erklärte Ziel ist, die gesamte Mongolei flächendeckend mit einem einmaligen Einsatz zu beglücken, wären sich jährlich wiederholende Einsätze in zuvor schon betreuten Orten von höherem Wert als das jetzige Prozedere. Nur so hat Nachhaltigkeit ansatzweise eine Chance.
Dr. Dieter BuhtzBadenallee 414052 Berlindieterbuhtz@web.de