Die Herausforderung annehmen
In der Regel haben Zahnärzte es bei Er-wachsenen mit Patienten zu tun, die zwar nicht immer gerne, aber doch freiwillig zu ihnen kommen. Normalerweise können Anweisungen von den Patienten befolgt werden, was ein relativ reibungsloses Arbeiten garantiert. Menschen in Pflegeheimen sind zu dieser Form der Kooperation häufig nicht (mehr) fähig. Aufgrund von Alterserscheinungen (schlechtes Sehen und/oder Hören) oder neurologischen Defiziten (Demenzen, Schädel-Hirn-Traumata) werden Aufforderungen wie „Bitte öffnen Sie den Mund!“ entweder gar nicht verstanden oder können motorisch nicht umgesetzt werden.
Die Situation des Patienten
Weitere Probleme, die auftreten können: Mögliche Traumatisierungen durch Reanimationsmaßnahmen verhindern die Mundöffnung eventuell zusätzlich. Schluckstörungen machen bestimmte Arbeitsformen (spülen, reinigen) schwierig bis unmöglich. Sollte eine Trachealkanüle vorhanden sein, sind spezielle Vorgehensweisen (etwa Hygienemaßnahmen) nötig. Eine schnellere Erschöpfbarkeit führt zudem dazu, dass das Zeitfenster für eine mögliche Untersuchung und/oder Behandlung deutlich verringert sein kann. Auch die Planbarkeit der Besuche im Pflegeheim ist nicht immer komplett gegeben. Da sich vor allem Menschen mit neurolo- gischen Schädigungen oftmals in einem unvorhersehbaren Zustand befinden, kann auch ein kompletter Ausfall des Termins folgen. Dies kann an einem spontanen Krankenhausaufenthalt genauso wie an einer starken Desorientiertheit, Schläfrigkeit oder Ähnlichem liegen. Der Zeitplan von den Bewohnern im Pflegeheim ist durch mögliche Therapiestunden, Aktivitäten des Pflegeheims oder Besuche oft schon ziemlich voll, so dass ein zusätzlicher Termin mit dem Zahnarzt abgestimmt sein sollte.
Die Rolle der Angehörigen
Die Angehörigen von Menschen in Pflegeheimen stehen unter großem emotionalem Druck. Zu der unangenehmen Tatsache, dass ein geliebter Mensch stark auf Hilfe angewiesen ist, kommen oftmals Gefühle der eigenen Hilflosigkeit und des schlechten Gewissens. „Ich kann nicht genug für ihn tun!“ ist ein häufiger Gedanke. Ebenso häufig schlägt dieser Gedanke in einen gewissen Grad an Aktionismus um. Dieser hat unterschiedliche Ausprägungen:
Die Angehörigen sind oft im Heim, um bei dem Betroffenen zu sein (inklusive der teilweisen Übernahme von Pflegetätigkeiten).
Die Angehörigen mischen sich stark in die Arbeitsweise von Pflege, Therapie oder auch Ärzten ein („Das mag er nicht …“).
In den wenigen Momenten, in denen die Angehörigen da sind, weisen sie auf jeden kleinen Mangel oder Fehler, der in der Umgebung oder im Umgang mit dem Betroffenen besteht, hin.
Zahnärzte, die in der Regel ebenfalls nicht sonderlich häufig bei dem Betroffenen im Heim sind, können allen Verhaltensweisen begegnen. Angehörige haben ein eigenes Leben. Manche stellen dies komplett hinter die Bedürfnisse des Betroffenen im Pflegeheim, andere versuchen beides zu vereinbaren. Zwangsläufig entstehen emotionale Konflikte und Terminprobleme, die häufig an anderenausgelassen werden. Die Zahnärzte haben es in der Regel nicht „nur“ mit dem pflegebedürftigen Patienten, sondern auch mit den Angehörigen zu tun – und mit deren Einstellungen gegenüber Zahnärzten.
###more### ###title### Das Pflegepersonal ###title### ###more###
Das Pflegepersonal
Das Pflegepersonal in Heimen hat eine sehr schwierige Arbeit, die durch Sparzwänge immer schwieriger zu werden droht. Bei einer dünnen Personaldecke und der daraus folgenden hohen Arbeitsbelastung kann es vorkommen, dass nicht alles „nach Plan“ verläuft.Für den Besuch des Zahnarztes bedeutet das, dass seine Patienten möglicherweise noch nicht für die Untersuchung/Behandlung bereit gemacht worden sind. Ebenso kann dem zahnmedizinischen Team das Gefühl gegeben werden, völlig ungelegen zu kommen. Je nach Persönlichkeit des Pflegers kann durch die „Überraschung“, dass der Zahnarzt da ist, ablehnend-aggressives Verhalten entstehen.
Die Therapeuten
Einen ähnlich straffen Zeitplan wie das Pflegepersonal haben auch die zahlreichen Therapeuten, die im Pflegeheim unterwegs sind. Auch sie sind auf bestimmte Zeitfenster angewiesen – seien diese ihren sonstigen Terminen oder denen der Betroffenen geschuldet. Kommt ein Termin dazwischen, der ihnen die Therapie nicht ermöglicht, kann dies zu gereizten Reaktionen führen.
Alltag im Pflegeheim
Auch der Alltag des Pflegeheims kann dem Zahnarzt die Arbeit erschweren. Bestimmte Essens- und Ruhezeiten oder ritualisierte Aktivitäten (Spaziergänge, Spielkreise) können die Termine weiter einschränken. Betroffene, die aus ihrem gewohnten Alltag herausgeholt werden, können darauf mit starker Ablehnung bis hin zu deutlicher Aggressivität reagieren. Insgesamt kommt eine zahnärztliche Behandlung als zusätzlicher Tagespunkt in ein größtenteils funktionierendes, auf jeden Fall aber eingespieltes System hinein. Jeder weiß, dass der Termin nötig ist, aber keiner will seine eigenen Aufgaben oder Möglichkeiten dadurch beschränkt wissen. Der Ärger hierüber trifft bisweilen das zahnärzt-liche Team. Durch die unterschiedlichen Probleme, die bei zahnärztlichen Besuchen im Pflegeheim auftreten können, müssen auch die Lösungen unterschiedlich angelegt sein. Es handelt sich zum einen um organisatorische, zum anderen um eher persönliche Probleme.
Den Besuch planen
Als Organisationshilfen und um den Besuch vorzubereiten können folgende Hinweise nützlich sein.
Termine inhaltlich vorbereiten
Der Besuch des Zahnarztes im Pflegeheim muss zur Problemminimierung möglichst gut und langfristig geplant werden. Informationen über die Patienten sollten früh-zeitig eingeholt werden. Das zahnärztliche Team weiß dann, worauf es sich einlässt. Auf wen treffen wir? Wie ist die Vorgeschichte des Patienten mit Zahnärzten? Welche Krankheitsgeschichte liegt vor (mögliche Traumata)? Wie ist die Vorgeschichte im Heim? Welche (Rest-)Fähigkeiten hat der Patient? Etwa beim Erstkontakt mit einem Patienten kann der Zahnarzt dann für sich festlegen, wie der erste Termin mit dem jeweilligen Patienten aussehen sollte: Kann direkt eine Untersuchung stattfinden oder muss dieser ein Kennenlernen vorausgehen? Kann überhaupt eine Untersuchung stattfinden oder ist der Blick in den Mund gar nicht möglich?
Beteiligte befragen
Die Fragen werden am einfachsten mithilfe der Angehörigen, des Pflegepersonals und gegebenenfalls auch der Therapeuten beantwortet. Ideal wäre also ein vorheriges gemeinsames Treffen – aus Zeitgründen können viele Informationen auch durch Fragebögen eingeholt werden. Darin kann etwa nach vorliegenden Erkrankungen, nach körperlichen Problemen, nach den Erfahrungen mit vorherigen Zahnärzten oder nach den Fähigkeiten des Patienten hinsichtlich der Mundöffnung oder der Schluckfähigkeit gefragt werden. Informationen, die nicht über Fragebögen eingeholt werden können oder sollten, betreffen auf der einen Seite die Einstellungen der Angehörigen: Falls diese eine negative Meinung über das Heim und/oder den Zahnarztbesuch haben, sollte dies lediglich in Gesprächen (mit dem Pflegepersonal oder der Pflegedienstleitung) besprochen werden. Auf der anderen Seite können auch Stimmungen und Beziehungen besser in persönlichen Gesprächen herausgefunden werden. Durch eine geschickte Gesprächsführung und eine gute Terminplanung kann so erreicht werden, dass beim Besuch wahrscheinlich ein recht angenehmes Arbeits- klima herrscht. Wenn ein Fragebogen von mehreren Personen aus dem Umfeld des Patienten ausgefüllt wird (Angehörige, Pfleger, Therapeuten), entsteht für die Vorbereitung ein differenziertes Bild des Patienten. Ebenso können mögliche grundsätzliche Probleme schon im Vorfeld erkannt werden (Vorerkrankung, Termindruck, Traumata).
Termine koordinieren
Ein weiterer Vorteil eines an mehrere verteilten Fragebogens stellt die Terminsicherheit dar. Meist weiß jeder Therapeut nur selber über seine Termine Bescheid, ebenso kennt nur die Pflege die Tagesabläufe und die Angehörigen wissen von möglichen außerplanmäßigen Aktivitäten. Überschneidungen können vermieden werden. Sind durch den Fragebogen außerdem spezielle Fähigkeiten oder Probleme schon im Vorfeld deutlich geworden, kann der Zahnarzt durch gute Planung Unterstützung bei seinem Besuch erhalten. Hierzu sollten dann die Experten in den jeweiligen Gebieten zu den Terminen eingeladen oder um eine gute Vorbereitung des Termins gebeten werden (gute Lagerung, Mundöffnung möglich, Trachealkanüle versorgt oder dergleichen). Durch die oben angedeuteten Gespräche im Vorfeld kann auch die soziale Komponente in Erfahrung gebracht werden: Manche Pfleger oder Therapeuten haben ein besseres Vertrauensverhältnis zum Patienten aufgebaut als andere, so dass eine Untersuchung in Gegenwart dieser Personen erleichtert werden könnte.
###more### ###title### Abbau persönlicher und emotionaler Belastungen ###title### ###more###
Abbau persönlicher und emotionaler Belastungen
Im Pflegeheim trifft das zahnärztliche Team auf Menschen in schwierigen Lebenssituationen. Dies stellt eine Herausforderung für die Untersuchung dar, vor allem kann der Besuch in einem Pflegeheim aber auch emotional belastend sein. Hier stellen die Psychoedukation und die Psychohygiene zwei elementare Bausteine für einen guten Gesundheitsschutz am eigenen Arbeitsplatz dar.
Psychoedukation
Zahnärzte sind Fachärzte, keiner erwartet von ihnen, dass sie sich in Details aus anderen Fachbereichen auskennen. Gleiches gilt für die ZFAs. Die Patienten, auf die sie im Pflegeheim treffen, haben oftmals neben den „normalen Alterserscheinungen“ auch neurologische Schädigungen in unterschiedlichem Ausmaß. Dass diese Auswirkungen auf einzelne Fähigkeiten der Patienten haben, ist zwar noch relativ einfach zu verstehen – Verhaltensprobleme sind aber häufig die größere Belastung. Das zahnärztliche Team sollte die medizinische Vorgeschichte der Patienten so weit kennen, dass sich alle auf einige erwartbare Verhaltensweisen (etwa Verlust von Schamgefühl, Aggressivität) einstellen können. Gemeinsam können Strategien für den Besuch geplant und dieser stressfreier gestaltet werden.Beispiel: Aus dem Fragebogen ist hervorgegangen, dass M. oftmals aggressiv auf unerwartete Ereignisse, die ihn erschrecken, reagiert. Am Tag des Zahnarztbesuchs wird M. also bereits so am Tisch positioniert, dass er das ankommende Team sehen kann. Dieses erklärt zunächst ganz in Ruhe, was jetzt gemacht wird, um dann mit der Untersuchung zu beginnen. Jeder Arbeitsschritt wird angekündigt – und gegebenenfalls sogar „dramatisiert“, damit die tatsächliche Auswirkung noch harmloser erscheint („Jetztbrummt es mal ganz laut!“). Letzteres ist natürlich bei einem Patienten mit Erwartungsängsten nicht angebracht.
Psychohygiene
Der Kontakt mit Menschen in schwierigen Lebenssituationen kann auch belasten, weil schnell eigene Erinnerungen, Ängste oder sogar Traumata aktiviert werden können. Das Schicksal eigener Verwandter und/oder Freunde, die eigene Angst vor einer Demenz oder vor einem Schädel-Hirn-Trauma oder die eigene Sensibilität für die Sorgen anderer machen die Arbeit im Pflegeheim möglicherweise schwer. Wichtig ist es, Strategien zu entwickeln, dass die relativ kurzen belastenden Begegnungen nicht zu einer dauerhaften psychischen Belastung werden. Man kann bestimmte Rituale anwenden (etwa das Ablegen der Arbeitskleidung als gleichzeitig symbolisches Ablegen der emotionalen Belastung). Ebenso ist eine positive Fokussierung des eigenen Lebens sinnvoll: Hobbys, Spaziergänge in der Natur, Treffen mit Freunden und das positive Erleben in und mit der Familie können Arbeitsbelastungen abbauen. Da jeder Mensch anders auf Belastungen reagiert, können innerhalb einer Zahnarztpraxis keine Verhaltensweisen „verordnet“ werden, etwa Gespräche über das Erlebte. Dadurch können aber die Erlebnisse oft leichter verarbeitet und empfundene Probleme können relativiert werden, eine externe Beratung (etwa Supervision) kann zusätzlich helfen.
Jörn DöhnertSonderpädagoge (dipl.) und Sprachtherapeutpost@philanimo.de