Kammern sind ein ethisches Regulativ
Krankenkassen-Zuschuss für die Smart-Watch? Gesundheitsdaten-Sammlung über Apps und Wearables? Self-Tracking als zeitgemäße Form des Lifestyle? Die Tendenz zur Digitalisierung und zur Vernetzung von Gesundheitsdaten schreitet stetig voran.
Informations- und Beratungsportale über Krankheiten aller Art gehören zu den meist genutzten Webseiten überhaupt. Sehr beliebt sind die unzähligen Foren, in denen sich Betroffene über Beschwerden, Therapien oder Erfahrungen mit Ärzten, Zahnärzten und Krankenhäusern schlau machen und untereinander austauschen.
Das klingt nach tollen attraktiven Möglichkeiten in einer vermeintlich schönen neuen Welt. Zugespitzt betrachtet heißt das, dass der Patient in Zukunft nicht mehr zum Arzt geht, wenn ihm etwas weh tut, weil er seine Erkrankung bereits vor Entstehung oder Ausbruch erkannt hat – über die Daten, die er mit App oder Wearable gesammelt hat. Ärzte müssen dann Daten nicht mehr selbst erheben, sondern werten nur noch die vom Patienten gelieferten Informationen aus.
Eines ist klar: Bei einem solchen Konstrukt ist der Kommerz nicht weit. Und wer Daten sammelt oder den Zugriff auf sie hat, wird sie in den seltensten Fällen löschen oder „ungenützt lassen“. Es ergeben sich viele offene Fragen: Wie werden die Daten zusammengetragen, wie werden sie verarbeitet, wozu werden sie genutzt – und wo bleibt der Datenschutz? Und welche Rolle spielen die Krankenkassen und die private Krankenversicherung dabei? Besonders der Gesundheitsbereich, in dem viele hoch- sensible Daten zusammenkommen, ist in letzter Zeit stark in den Fokus der Öffentlichkeit geraten. Es ist ganz entscheidend, wer diese Daten nutzt, wer sie schützt und ob sie zum Wohl der Patienten eingesetzt werden. Wichtig ist, seine Gesundheitsdaten nicht freigiebig oder unreflektiert weiterzugeben oder leichtfertig kommerziell orientierten Zwecken zu überlassen.
Für Ärzte und Zahnärzte sind und bleiben die ärztliche Schweigepflicht und das Vertrauensverhältnis hohe Güter. Zum Schutz des auf Vertrauen basierenden Zahnarzt- Patienten-Verhältnisses müssen wir als Standesorganisationen auf die Gefahren von Digitalisierungstendenzen im Gesundheitsweisen hinweisen. Denn die technische Entwicklung ist nicht aufzuhalten. Die Frage ist nur, wie wir mit ihr umgehen. Daher betrachten wir die aktuellen Entwicklungen bei den Krankenkassen skeptisch. Wir müssen kritisch hinterfragen, auf welche Weise die Kassen und private Anbieter mit den Datensammlungen umgehen.
Deshalb fordert die Bundeszahnärztekammer, die im analogen Alltag gebräuchlichen ethischen und rechtlichen Standards auch im Umgang mit den digitalen Daten anzuwenden. Wir sehen es als unsere Pflicht, auf eine gefährliche Entwicklung hinzuweisen.
Aus unserer Gemeinwohlverpflichtung heraus haben wir die Verantwortung, Patienten aufzuklären und als Filter von der Datenerhebung bis zur Weitergabe zu agieren. Kein Patient darf wegen gesundheitlicher Beschwerden benachteiligt werden – sei es durch teurere Versicherungsbeiträge oder durch Nachteile im Berufsleben.
Als ersten Schritt dazu werden die Kammern Standards für die Politik und die Industrie entwickeln und diesen praktische Anregungen und Hilfestellungen bieten. In einem zweiten Schritt werden wir weitere Fachrichtungen aufrufen, gemeinsam mit uns Standards für den Umgang mit Gesundheitsdaten zu erarbeiten und diese dann der Politik zur Verfügung stellen.
Zum Auftakt dieses Prozesses hat der BZÄK-Vorstand auf seiner Klausurtagung im Juni beschlossen, die Kammern zukunftsgerichtet aufzustellen. Kammern müssen als ein glaubwürdiges, ethisches Regulativ in der Gesellschaft wirken – mit klaren Positionen und mit Blick auf den Versorgungsalltag. Sei es in der analogen oder in der digitalen Welt.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Peter Engel
Präsident der Bundeszahnärztekammer