Die Politik stellt sich taub
Gesundheitspolitik ist in dieser Legislaturperiode - so die Praxis der vergangenen Monate - kein politisches Kampfthema. Eher verfestigte sich der Eindruck, dass die Vereinbarungen des Koalitionsvertrags 1:1 abgearbeitet werden sollen. Dabei hatte Minister Gröhe durchaus ein glückliches Händchen, auch wenn ihm von Kritikern Farblosigkeit und mangelnde Perspektive vorgeworfen werden. 2015 könnte für den Minister allerdings wesentlich turbulenter werden.
Nachdem das Gesetz, das die Kassenfinanzen regelt, zum 1.1.2105 in Kraft ist, müssen mindestens zwei weitere Gesetzesvorhaben in diesem Frühjahr durchs Parlament gebracht werden: das Versorgungsstärkungsgesetz (VSG), das Strukturen der ärztlichen Tätigkeit neu definieren wird, und das Präventionsgesetz. Gröhe kann sich dabei - durchaus nicht selbstverständlich - auf den Koalitionsfrieden verlassen, mit dem er 2014 seine Vorhaben abarbeiten konnte.
Eine rebellierende Ärzteschaft, die sich gegen ihr unangenehme Regelungen wehrt, ist ein starker politischer Faktor. Aber auch eine Verschiebung von Macht und Einfluss innerhalb der Institutionen der Selbstverwaltung brächte reichlich Zündstoff für politische Diskussionen. Unverkennbar ist, dass die Entscheidungsmechanismen auch in der Gesundheitspolitik immer stärker institutionalisiert werden.
Der Ausbau des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) als untergesetzlicher Normgeber des Gesundheitswesens dürfte noch verstärkt werden durch das ihm untergeordnete Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTiG) und durch die Rolle, die der G-BA als „Schiedsrichter“ für den Innovationsfonds wahrnimmt.
Bekanntlich sind die gesetzlichen Krankenkassen auf den G-BA-Bänken in einer Stärke vertreten, die oft Entscheidungswege auf Augenhöhe der Träger fraglich erscheinen lässt. Erst recht tritt das zutage, wo Leistungsanbieter oder Expertengruppen gar nicht vertreten sind oder wo Patientenvertreter nur Anhörungs-, aber kein Stimmrecht haben. Die mehr und mehr zu beobachtende Verschiebung der Entscheidungen auf zentralistische Institutionsstrukturen ist also keineswegs unproblematisch für die Akzeptanz einer zukunftsorientierten Gesundheitspolitik.
Der mündige Patient ist gefragt
Zunehmend verstärkt sich der Trend, dass sich die Politik von Rat und Beratung durch die Körperschaften und Kammern, die den Erfolg unseres Gesundheitswesens über Jahrzehnte erfolgreich gestalteten, entfernt. Deren Rolle als Normgeber kraft fachlicher Kompetenz wird nur allzu oft ignoriert oder unterbewertet. Auch wenn in Grußworten und Festreden regelmäßig das Gegenteil behauptet wird.
Ärzte und Zahnärzte sind deshalb gut beraten, wenn sie ihre normtragende Rolle in der Gestaltung der Versorgung 2015 noch deutlicher artikulieren und einfordern. Etwa indem man darstellt, welch tragende Rolle sie - und überwiegend sie - bei Gestaltung und Umsetzung der Qualität in der Gesundheitsversorgung wahrnehmen.
Aber auch, indem man sich nicht bestimmten und einseitig formulierten Argumentationsketten anschließt und am Ende ebenfalls mehr über Wettbewerb und Sparmechanismen redet als über Chancen und Fortschritte in der Versorgung durch die Erkenntnisse der medizinisch-technischen Entwicklungen. Deren Finanzierung ist sicherlich eine bedeutende Frage.
Es darf dabei aber nicht um das „Ob“ gehen, sondern allenfalls um das „Wie“. Dass hierbei zunehmend auch der mündige Patient gefragt ist, der mehr Eigenverantwortung und Eigenleistung übernehmen muss, liegt auf der Hand. Wie aber soll der sich am Ende positionieren können, wenn nicht im Schulterschluss mit den Medizinern seines Vertrauens? Sollte Minister Gröhe 2015 hierauf größeres Augenmerk haben, könnte ihm das helfen, seine durchaus erfolgreiche Gesundheitspolitik des Vorjahrs fortzusetzen - wenn auch nicht absolut reibungslos.
Politischer Mut zahlt sich hier jedoch aus, denn Patienten und Ärzte stellen schließlich weit mehr Wähler als eine Funktionärsklientel aus Kassen oder Institutionen.
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