USA: das große Aua
Wie verzweifelt die zahngesundheitliche Situation für viele amerikanische Landsleute ist, zeigt sich, wenn gemeinnützige Organisationen wie „Mission of Mercy” kostenfreie Behandlungen anbieten: Tausende US-Bürger stehen dann viele Stunden Schlange, um in den Genuss einer dringend notwendigen Zahnreparatur oder -extraktion zu kommen (siehe zm-online vom 15.10.2014). Da solche Kliniken aber nur sporadisch in ausgewählten Großstädten angeboten werden, gehen viele leer aus und landen mit ihren Zahnschmerzen in der Notaufnahme, wo man ihnen in aller Regel nur kurzfristig mit schmerz- und entzündungshemmenden Medikamenten Erleichterung verschafft.
Die Präsidentin der ADA, Maxine Feinberg, drückte es Healthline News gegenüber vor Kurzem so aus: „Das Versäumnis, der Zahngesundheit Wert beizumessen und zu verstehen, dass sie das Eingangstor zur Allgemeingesundheit ist, verbaut Landsleuten seit vielen Jahren die Gelegenheit, rundum gesund zu sein.”
Weiterhin sagte sie: „Dieses Versagen kann sich prinzipiell auf jeden negativ auswirken. Besonders hart trifft es aber diejenigen mit niedrigen Einkommen, die keine Zahnversicherung haben oder aus anderen Gründen keine regelmäßige Dentalversorgung in Anspruch nehmen.”
Es gibt allerdings hier und da Lichtblicke: Einige Bundesstaaten haben die Wichtigkeit einer adäquaten Zahnversorgung erkannt und die Initiative ergriffen. Sie bieten finanzschwachen Erwachsenen freiwillig eine Dentalversorgung an (die Versorgung armer Kinder ist gesetzlich verankert). Da die Gesundheitsreform großzügig Mittel für eine Erweiterung der Armenversicherung Medicaid bereitstellt, haben bislang gut die Hälfte der Bundesstaaten den Zugang entsprechend expandiert.
In den Staaten, deren Medicaid-Programme Zahnbehandlungen einschließen, kommt so neuerdings eine nicht unbedeutende Anzahl von Menschen in den Genuss einer Dentalversogung.
Armenversicherung dank Medicaid
Dank einer aktuellen Studie der ADA gibt es konkrete Zahlen: Demnach erhalten in den 26 Bundesstaaten, die sich für eine Ausweitung ihrer Armenversicherung entschieden haben, 9,1 Millionen Erwachsene mehr Zugang zu einer allgemeinen Gesundheitsversorgung. Da von diesen 26 Staaten neun eine umfassende und elf zumindest eine begrenzte Zahnversorgung anbieten, gewinnen dort rund 7,6 Millionen neu Zugang zum Zahnarzt. Das ist zwar weit entfernt von einer flächendeckenden Versorgung, aber keineswegs eine unbedeutende Verbesserung.
Colorado ist einer der Bundesstaaten, die im vergangenen Jahr zum ersten Mal eine dentale Grundversorgung für ihre erwachsenen Medicaid-Empfänger anboten. Seit Juli 2014 zahlt Medicaid in Colorado für dentale Vorsorgemaßnahmen wie Zahn- reinigung, Füllungen und Röntgenaufnahmen, aber auch für kompliziertere Behandlungen wie Kronen und Wurzelbehandlungen – allerdings nur bis zu einem Wert von jährlich Eintausend Dollar. Gouverneur John Hickenlooper hofft, dass der verbesserte Zugang zu Dentalleistungen die Notaufnahmen in seinem Bundesstaat entlastet. 39.000 Menschen waren allein im vergangenen Jahr in Colorado wegen Zahnschmerzen beim Notarzt.
Washington, Kalifornien und Massachusetts haben im vergangenen Jahr ebenfalls die Gelegenheit genutzt, Dentalleistungen in ihren Medicaid-Katalog aufzunehmen. Für sie ist es allerdings nicht das erste Mal. Washington hatte sich zum Beispiel wegen Überschuldung im Jahr 2011 gezwungen gesehen, seine zahnärztliche Versorgung für erwachsene Medicaid-Versicherte einzustellen.
Seit Januar bietet der Bundesstaat nun erneut umfassende Leistungen an - dank der Mittel, die der Bund im Rahmen der Reform zur Verfügung stellt. Nathan Johnson, leitender Angestellter der Gesundheitsbehörde in Washington, gab der Zeitschrift Modern Healthcare gegenüber zu, dass die vergangenen drei Jahre eine kostspielige Lehre waren: „Wir haben letztendlich für Zahnversorgung in der teuersten Art und Weise bezahlt”. Im Klartext: Nachdem die Medicaid-Empfänger keinen Zugang zum Zahnarzt mehr hatten, gingen sie bei Zahnschmerzen in die Notfallstation.
Dentale Angebote rechnen sich
Selbst unter den Bundesstaaten, die sich nicht auf eine Medicaid-Erweiterung einlassen wollen, sehen manche ein, dass es nicht nur unter humanitären Gesichtspunkten Sinn macht, eine Dentalversorgung anzubieten, sondern dass sich diese eventuell auch rechnet. Medicaid-Versicherte im konservativen Bundesstaat South Carolina erhalten zum Beispiel seit dem ersten Dezember zumindest dentale Vorsorge- leistungen und Extraktionen, mit einem jährlichen Limit von 750 Dollar.
Die Einsicht der Bundesstaaten, in die Zahngesundheit ihrer Bürger zu investieren, gibt Hoffnung. Sie ist aber nur ein Anfang. Zu vielen amerikanischen Landsleuten fehlt nach wie vor der Zugang zum Zahnarzt, weil sie im falschen Bundesstaat leben: Laut ADA werden in immerhin 19 Bundesstaaten keine oder nur notfallbedingte Zahnbehandlungen angeboten. Ebenfalls leer gehen die aus, deren Einkommen zu hoch ist, um sich für Medicaid zu qualifizieren, aber zu niedrig, eine Zahnversicherung abzuschließen und die üblichen Selbstbehalte für Behandlungen zu zahlen.
Negativ ist auch, dass das Angebot von Dentalleistungen für finanzschwache Erwachsene völlig im Ermessen der einzelnen Bundesstaaten liegt. Wie man an den Beispielen von Washington und Idaho sieht, neigen Gesetzgeber bei Haushaltsproblemen dazu, Leistungen in den Wohlfahrtsprogrammen zu streichen, auch wenn sich das langfristig als problematisch erweist.
Es bleibt zu hoffen, dass die Erfahrungen der Bundesstaaten, die den Sinn eines verbesserten zahnärztlichen Zugangs erkannt haben, andere Staaten im Bund inspirieren, es ihnen gleich zu tun.
Claudia Pieper
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