Kurz bevor die Erde bebte
Im für Nepal günstigen Reisemonat März flogen Kollege Emmo Martin aus Neckarelz und ich über Delhi nach Kathmandu. Ausgestattet mit Materialspenden aus zwei Praxisauflösungen, untergebracht in in zwei 30 Kilo schweren Koffern, ging es los. Unser persönliches Gepäck musste sich im Wesentlichen auf zwei Rucksäcke beschränken. Unser Ziel: Im Auftrag der einheimischen Organisation „Women’s Foundation“ (W.F.) sollten wir an drei unterschiedlichen Einsatzorten ein sogenanntes „Dental camp“ durchführen.
Erste Station Kathmandu: In der Hauptstadt Nepals richteten wir in einem ehemaligen Büroraum der W.F. unsere Praxis ein. Trotz des üblichen Stromausfalls konnten wir hier, dank eines Dieselgenerators, durchgehend Füllungen legen. Durch gute Organisation und mit Hilfe von zwei Assistentinnen, die uns auch dolmetschten sowie mit Taschenlampen in die Münder leuchteten, konnten wir in knapp fünf Tagen nahezu 200 Patienten beraten und behandeln. Zum Schluss erfreuten uns die Kinder und Jugendlichen des Kinderheims „Shelter“ bei den Untersuchungen mit ihren relativ gesunden Gebissen. Das Heim wird von W.F. geleitet und ein Gemüsegarten wird dort biologisch bewirtschaftet. Die gesunde Ernährung zusammen mit der Mundhygiene führte zu diesem positiven Ergebnis.
Zweite Station Banjakatheri: Anschließend folgten wir einer Einladung zu einer feierlichen Eröffnung eines so genannten „Health point“ - eines Gesundheitszentrums. Hierfür ging es mit Flugzeug, Bus und Jeep innerhalb von zwei Tagen ins Bergdorf Banjakatheri in der Provinz Gulmi. Für die letzten 35 Kilometer auf ungeteerten Wegen benötigten wir nahezu vier Stunden inklusive eines Reifenwechsels. Dafür entschädigte der Blick auf den weitentfernten über 8 000 Meter hohen, schneebedeckten Dhaulagiri.
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Zur Eröffnugsfeier kamen 1 000 Menschen
Mit dem Health Point wurde hier Vorbildliches erschaffen um die medizinische Versorgung des abgelegenen Dorfes zu verbessern. Das beeindruckende Projekt wurde von der deutschen Organisation „Brepal“ in Zusammenarbeit mit der nepalesischen Organisation „Nepal Help“ verwirklicht. In Zukunft soll auch hier zweimal im Jahr ein Dental Camp stattfinden. Deshalb wurden unsere Instrumente, Desinfektionsmittel und eine Behandlungsleuchte dankbar angenommen. Bei der Besichtigung von außen fielen uns Fotovoltaik-, Solarthermie-, Biogas- und Müllverbrennungsanlage auf. Zur Eröffnungsfeier versammeln sich über 1 000 Menschen aus dem Dorf und seiner Umgebung, Schüler in Uniform, buntbekleidete Frauen und Männer.
Ortswechsel: Wieder nach Kathmandu zurückgekehrt bereiteten wir unseren nächsten Einsatz vor. Mit drei Koffern voller Instrumente, Material, Geräte und zwei „Behandlungsstühlen“, insgesamt 75 Kilo, fuhren wir mit den beiden Assistentinnen Sarada und Sabita zum Flughafen. In einer Flugstunde und ebenso langer Taxifahrt erreichten wir das Dorf Chaittubari in der südöstlichsten Provinz Jhapa, die an Indien grenzt. Wie vor zwei Jahren richteten wir uns einen Raum in einer Kindertagesstätte als Praxis ein. Hier befindet sich auch ein Zweigbüro der W.F. Innerhalb von vier Tagen behandelten wir etwa 150 Patienten überwiegend durch Extraktionen. Bei 30 Grad Celsius brachten uns die zahlreichen Wurzelreste und zerstörten Zähne ins Schwitzen. Im Allgemeinen fanden wir harten Knochen und grazile, aber meist gerade Wurzeln vor. Die Frakturgefahr war dadurch erhöht und eine Aufklappung bei häufigem Stromausfall und ohne Absaugung nicht ratsam. Da bewährte sich Kollege Martins Erfahrung in zahlreichen Nepaleinsätzen und seine Ausbildung bei einem Kollegen, der im zweiten Weltkrieg als Zahnarzt an der Front eingesetzt war: Den Hebel an der richtigen Stelle mit starker Kraft aber sicherer Abstützung ansetzen und Luxation mit viel Gefühl. Zahlreiche Wurzelspitzen waren mit Granulomen behaftet. Viele Patienten schienen deren ungünstigen Auswirkungen zu fühlen. Sie wünschten auch die Zahnentfernung, obwohl sie keine Beschwerden hatten. Es erstaunte uns bei allen Leitungsanästhesien keinerlei Anästhesieversager und einen schnellen Wirkungseintritt zu beobachten.
Unser letzter Einsatzort befand sich einige Kilometer weiter, wo wir uns in einem Raum eines weiteren Zweigbüros der W.F. einrichteten. In drei Tagen versorgten wir 165 Patienten. Davon allein am letzten Tag 62 in neun Stunden um möglichst alle Wartenden zufrieden zu stellen. Wegen zahlreicher kariöser Milch- und Wechselgebisse und dadurch verursachtem Platzmangel versuchten wir besonders Kindern und Jugendlichen die richtige Mundhygiene zu vermitteln. Auch auf dem Lande gibt es leider viele Süßigkeiten und Limonaden zu kaufen. Auffällig sind bei einigen Älteren sehr starke Abrassionen und Zahnhalsdefekte, was zu Dentinhypersensibilität führte. Wir konnten nur mit Desensibilisierungsmaterialien und Hinweisen zur Bürste und Putztechnik etwas Linderung verschaffen. Auch hier verfügten wir nur über drei bis vier Stunden Strom pro Behandlungstag. Geduld ist erforderlich, wenn zum Beispiel beim Ausarbeiten und Einschleifen einer Füllung der Mikromotor stehen blieb. Das bedeutete für den Patienten warten oder nach Hause gehen und wiederkommen, sobald bei ihm das Licht anging. Beim Aushärten ließ sich der Strommangel ausgleichen, indem wir mit der LED-Taschenlampe länger das Füllungsmaterial bestrahlten. Allerdings wussten wir nicht, bis zu welcher Schichtdicke dies ausreichte. Um pro Tag an die 50 Patienten behandeln zu können, mussten wir auch in der Mittagspause sterilisieren. Da kochten dann die Instrumente mit dem Reis um die Wette.
Nach zahlreichen Einsätzen innerhalb von 15 Jahren möchte Kollege Emmo Martin mit 82 Jahren nun Abschied von Nepal nehmen. Ich hoffe deshalb einige Mitstreiter für einen erlebnisreichen Hilfseinsatz begeistert zu haben. Er wird die Sicht der Dinge und der Prioritäten im Leben sehr bereichern. Als ich die Fotos für diesen Artikel auswählte, erfuhr ich von dem schrecklichen Erdbeben, das sich gerade einen Monat nach unserer Rückkehr ereignete. Auf meine sofortige Nachfrage erhielt ich die etwas beruhigende Antwort, dass sowohl im Bergdorf als auch bei W.F. in Kathmandu bisher niemand verletzt wurde und keine Schäden entstanden. Lediglich in Bhaktapur wurde auf einer Fläche für organischen Anbau ein Bauernhaus der W.F. zerstört.
Dr. Edgar Lausere.laus@t-online.de
Zukunftsstiftung Entwicklung, IBAN: DE05430609670012330010, Zweck: Womens Foundation, Nepal