Die Sanktionen treffen die Falschen
Die zahnärztlichen Organisationen – Bundeszahnärztekammer (BZÄK) und Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) – begrüßen die Telematikinfrastruktur, weil ein sicheres Transportmedium für Sozialdaten gebraucht wird. Hingegen stoßen die im Gesetzentwurf enthaltenen Fristen und die damit verknüpften Sanktionsregelungen bei deren Überschreitung auf strikte Ablehnung. Dies machten in der öffentlichen Anhörung am 4.11. 2015 im Gesundheitsausschuss des Bundestages der stellvertretende Vorsitzende der KZBV, Dr. Günther E. Buchholz, und Dipl.-Stom. Jürgen Herbert vom Vorstand der BZÄK klar.
Zur Erläuterung: Der Gesellschaft für Telematik, kurz gematik, werden in diesem Gesetz verbindliche Termine für die zur Sicherstellung der Nutzung des Versichertenstammdatendienstes und der Notfalldatensätze gesetzt. Bis zum 30.6.2016 hat die gematik laut Gesetzgeber Zeit, die erforderlichen Maßnahmen durchzuführen. Passiert dieses nicht, werden die Ausgaben der Körperschaften ab 2017 pauschal um ein Prozent gekürzt.
Wohlgemerkt: Diese Kürzung erfolgt auf Basis der 2014er Haushalte! Zusätzlich wird ein Sanktionsmechanismus auf der Ebene der an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzte und Zahnärzte eingeführt. Sollten diese die seitens des Gesetzgebers geforderten Prüfungen (u. a. Versichertenstammdaten) bis zum 30.6.2018 nicht leisten, erfolgt eine pauschale Honorarkürzung um ein Prozent. Die Kürzungen bleiben solange in Kraft, bis die vom Gesetzgeber geforderten Maßnahmen umgesetzt sind.
Abhängig von externen Dienstleistern
In der Anhörung verwies Buchholz darauf, dass die Ausstattung der Praxen mit den zwingend notwendigen Komponenten für die Onlineanbindung von externen Technikdienstleistern abhängig sei. Die Praxen hätten auf die beteiligten Unternehmen und deren Arbeitsabläufe aber nicht den geringsten Einfluss. Es sei nicht akzeptabel, dass Zahnarztpraxen mit Sanktionen für die Nicht-Einhaltung einer Frist belegt werden, auf deren Einhaltung sie keinen Einfluss hätten.
Buchholz kritisierte bei der Anhörung auch die mit Überschreitung der Frist verknüpfte Kürzung der Haushalte der Körperschaften im Jahr 2017 auf Basis des Jahres 2014 um ein Prozent. Die Verantwortung einer möglichen Verzögerung werde an völlig falscher Stelle verortet, so Buchholz. „Wenn die Industrie die notwendigen Komponenten nicht fristgerecht liefern kann, kann es nicht sein, dass dieser Streit auf dem Rücken der Zahnärzte ausgetragen wird.“ Die Sanktionierung mittels Ausgabenkürzungen treffe schlichtweg die Falschen. Angesichts der Zahl der zahnärztlichen und ärztlichen Praxen und der im Hinblick auf die Fristen sehr knappen Zeit sei es fraglich, ob die Industrie überhaupt in der Lage sei, die notwendigen technischen Strukturen fristgerecht und flächendeckend zu installieren.
Vor diesem Hintergrund stellten die geplanten Strafmaßnahmen einen erheblichen Eingriff in die Berufsfreiheit dar, sorgten aber nicht dafür, die notwendigen Vorgänge zu beschleunigen und die Akzeptanz für ein so zentrales gesundheitspolitisches Projekt zu erhöhen.
Erprobungsphase nicht fristgerecht möglich
Die vorgesehene Fristsetzung für den Abschluss der erforderlichen Maßnahmen zur Einführung des Versichertenstammdatenmanagements durch die gematik bis zum 30. Juni 2016 und die mit Überschreitung der Frist verknüpfte Kürzung der Ausgaben der Körperschaften im Jahr 2017 sei weder realistisch noch geeignet, eine Beschleunigung des Projekts zu bewirken. Man müsse sogar davon ausgehen, dass selbst die Erprobungsphase bis zum 30. Juni 2016 nicht starten kann und erst recht keine signifikanten Erprobungsergebnisse zum Versichertenstammdatenmanagement vorliegen werden. Hierbei erhielt Buchholz in der Anhörung zum Gesetzentwurf auch Unterstützung vom Geschäftsführer der gematik, Alexander Beyer, der dies bestätigte. Der KZBV – als bloße Minderheitsgesellschafterin der gematik – sei es zudem gar nicht möglich, für eine Einhaltung der vorgesehenen Frist zu sorgen, so Buchholz.
Überzogener Datenschutz wirkt als Bremse
Auch BZÄK-Vorstandsmitglied Herbert begrüßt die Absicht des Gesetzgebers, die Telematikinfrastruktur rasch aufzubauen und damit die Grundlage für eine sichere elektronische Verbindung im Gesundheitswesen zu schaffen. „Das ist die Voraussetzung, um überhaupt (tele)medizinische Anwendungen einführen zu können, die elektronische Kommunikationswege nutzen“, stellt Herbert klar. Aus Sicht der BZÄK funktioniere dies allerdings nur zum Teil. Neben einer funktionsgerechten und zertifizierten Technik seien die extrem hohen Anforderungen an den Datenschutz und die Sicherheit von Sozialdaten, die die sinnvolle Anwendung der Daten im Sinne der Patienten stark verkomplizierten, ursächlich.
Gleich wohl habe sich der Gesetzgeber entschieden und wolle diese Infrastruktur jetzt nach dem Motto „Augen zu und durch“. Die Tendenz zur weiteren Digitalisierung und Vernetzung von Gesundheitsdaten jenseits des E-Health-Gesetzes werde aber weitergehen. Hier seien nicht nur die Zahnärzte in den Praxen zum Schutz ihrer Patienten, sondern auch die Körperschaften aufgrund ihrer Gemeinwohlverpflichtung ganz besonders gefragt.
Zweifelhafter Eingriff in die Selbstverwaltung
Vor der Anhörung positionierten sich BZÄK und KZBV zum geplanten E-Health-Gesetz in einer gemeinsamen schriftlichen Stellungnahme: Auch dort wird der durch die Fristsetzung hervorgerufene Eingriff ins Selbstverwaltungsrecht kritisiert. „Derartige Eingriffe ins Selbstverwaltungsrecht der betroffenen Körperschaften sind nur solange rechtmäßig, als sie den allgemeinen Anforderungen einer hinreichenden Bestimmtheit sowie einer Geeignetheit zur Erreichung der gesetzgeberischen Ziele entsprechen und verhältnismäßig sind. Die vorgesehenen Regelungen werden diesen Anforderungen nicht gerecht.“
Die Intention des Gesetzgebers, durch den raschen Aufbau der Telematikinfrastruktur, die Voraussetzung für eine sichere elektronische Kommunikation im Gesundheitswesen zu schaffen und die Einführung medizinischer Anwendungen unter Nutzung der elektronischen Kommunikationsmöglichkeit zu beschleunigen, wird dagegen begrüßt.