Interview mit BZÄK-Präsident Dr. Peter Engel

Zahnmedizin groß denken!

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pr
Zahnarzt light, große MVZ, Deregulierung – drei Stichworte, drei Tendenzen, die den Zahnärzten Unbehagen bereiten, aber von der Politik massiv gefördert werden. Zahnärztepräsident Dr. Peter Engel macht klar, wie wichtig es jetzt ist, aus dem rein zahnärztlichen Denken herauszutreten und sich Verbündete zu suchen.

zm: Herr Dr. Engel, warum ist der Masterplan Medizinstudium 2020 für die Zahnärzteschaft ein Reizthema geworden?

Dr. Engel:Wir sind mit dem Masterplan vor einigen Wochen konfrontiert worden, als wir einen Termin mit Bundesgesundheitsminister Gröhe wahrgenommen hatten, bei dem es eigentlich um den Stand der Novellierung der zahnärztlichen Approbationsordnung gehen sollte. Der Minister eröffnete uns jedoch im Gespräch, dass das BMG erst den Masterplan 2020 für das Medizinstudium umsetzen wolle, bevor es an die Verabschiedung der Approbationsordnung für die Zahnärzte geht.

Es gibt aus Sicht der Politik gute Gründe, den Masterplan nach vorne zu bringen. Man will unter anderem den Zugang zum Studium nun nicht mehr nur nach den Abiturnoten ausrichten, sondern weitere Zugangsmöglichkeiten eröffnen. Weiterhin soll nun mit dem Masterplan das Medizinstudium strukturmäßig verändert werden. Das heißt, das Physikum greift nicht mehr nach fünf Semestern, sondern nach sechs. Da läuten bei uns Zahnärzten alle Alarmglocken – das entspricht einem dreijährigen Bachelorstudium.

Also Tür auf für die Heilberufler „light“ sowie für die Akademisierung der Heilhilfsberufe?

Ja, das spricht eindeutig für die Akademisierung der Heilhilfsberufe. Aber jetzt mal ehrlich: Was ist denn mit den Ausbildungsinhalten? Welche Fähigkeiten werden in den ersten sechs Semestern vermittelt, um dann mit einem Bachelorabschluss die Leute als Ärzte oder Zahnärzte light mit Patienten in Berührung zu bringen? Sie haben weder eine praktische noch eine klinische Ausbildung, sie haben lediglich etwas über Chemie, Biochemie, Physiologie, Anatomie und ein bisschen Propädeutik gelernt. Ich sehe auch eine mögliche Tendenz, dass viele, die das Studium beginnen, dies nicht mit der Absicht tun, es zu Ende zu bringen, sondern nach sechs Semestern abgehen, ihren Bachelor haben und zum Beispiel Zahnarzt ersetzende Maßnahmen ausüben. Wir bekämen auf diese Weise ein großes Problem hinsichtlich der Kapazitäten bei den Studienplätzen – was ohnehin schon heute ein großes Thema in den Universitäten ist.

Die neue Approbationsordnung für Zahnärzte ist fertig, ruht aber seit Jahren in der Schublade – und wird nun vom BMG erneut verschoben. Stattdessen will man im Zuge des E-Health-Gesetzes das Zahnheilkundegesetz ergänzen und dort in einem neuen Paragrafen die Möglichkeit von Modellstudiengängen für die Zahnheilkunde einräumen. Was hat das für Konsequenzen für die zahnmedizinische Ausbildung an den Universitäten?

Das ist eine Notlösung, die mehr Probleme aufwirft als sie löst. Mangels einer neuen Approbationsordnung und im Hinblick darauf, dass die Universitäten „state of the art“ ausbilden wollen, sind sie im Prinzip gezwungen, die dem derzeitigen Stand der Wissenschaft entsprechende Ausbildung selbst in die Hand zu nehmen. Das heißt, sie kreieren Modellstudiengänge, deren Ergebnisse im Ernstfall für den Studenten keinen rechtlichen Bestand haben. Wir brauchen dringend die Approbationsordnung als rechtliche Grundlage für alle Bundesländer. Von hier aus – das ist ja im Entwurf der neuen Approbationsordnung beschrieben – ist es möglich, in Form von Experimentierklauseln den Universitäten die Möglichkeit zu geben, eigenständige Entwicklungen vorzunehmen.

Gefahren aus Sicht des Berufsstands

Welche Gefahren sehen Sie bei diesen Entwicklungen aus Sicht des Berufsstands?

Wenn die Modellstudiengänge jetzt im Zahnheilkundegesetz verankert werden, ist eine Situation geschaffen, dass jedes Modell bei jeder Universität anders aussehen kann. Im schlimmsten Fall würden wir eine Vielfalt von Ausbildungsmöglichkeiten bekommen, die es verhindert, eine Vergleichbarkeit herzustellen. Hier ist die Vereinigung der Hochschullehrer für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (VHZMK) gefragt, ordnend einzugreifen, um diesen Wildwuchs an unterschiedlichen Ausbildungsgängen zu verhindern. Die BZÄK wird die Entwicklung der Modellstudiengänge zusammen mit der VHZMK und der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) auf jeden Fall im Auge behalten und kritisch begleiten.

Sind denn mit den Modellstudiengängen auch Vorteile verbunden?

Der einzige Vorteil, den ich sehe, ist der, dass die Universitäten in die Lage versetzt werden, ihren innovativen und modernen Ausbildungsverpflichtungen eine rechtliche Grundlage zu geben. Mit der Bachelor-/Master-Thematik steht ja immer wieder der Sinn des deutschen Staatsexamens zur Diskussion.

Aber durch die EU-Berufsanerkennungsrichtlinie sind die Regeln für die zahnärztliche Berufsausübung doch festgeschrieben, oder?

Das sind sie! Von der europäischen Seite ist die Novellierung der Berufsanerkennungsrichtlinie abgeschlossen. Hier ist nunmehr ganz klar europaweit festgesetzt worden, dass die zahnärztliche Ausbildung fünf Jahre mit 5.000 Stunden umfasst. Das entspricht dem Staatsexamen in Deutschland.

Doch es gibt noch einen weiteren Knackpunkt: die Gleichwertigkeitsprüfung. Zahnärzte, die aus dem nichteuropäischen Ausland kommen, müssen nachweisen, dass sie einen bestimmten Ausbildungsstand haben. Auch für diese Gleichwertigkeitsprüfung haben wir keine rechtlichen Rahmenbedingungen.

Für die Heilberufe ist übrigens seit dem 1.1.2014 eine Verordnung in Kraft getreten, die diesen Rechtstatbestand regelt. Allerdings sind hier die Zahnärzte schlicht vergessen worden. Als Fazit gibt es in der zahnärztlichen Gleichwertigkeitsprüfung keinen rechtlichen Rahmen. Zahnärzte, die durch die Prüfung gefallen sind, können sich per Gericht einklagen und zugelassen werden. Das Problem brennt uns unter den Nägeln und das BMG hat versprochen, dies bis zum Sommer 2016 zu regeln. Auch hier wird die BZÄK dran bleiben.

Berufsbild der DH im Fokus

Im Rahmen des EU-Transparenzprozesses steht das Berufsbild der Dentalhygienikerin (DH) im Fokus. Was beabsichtigt die Kommission, und welche Auswirkungen hat das auf Deutschland?

Im Rahmen des Transparenzprozesses ist die EU-Kommission dabei, eine Bewertung regulierter Berufe durchzuführen. Eigenartigerweise ist auch die DH dabei. In Ländern wie Dänemark, den Niederlanden oder Spanien ist das Berufsbild der DH reguliert, in Deutschland hingegen nicht. Insofern ist aus unserer Sicht dieser Evaluierungsprozess fragwürdig, da sich kein repräsentatives europäisches Gesamtbild für den Beruf der DH ergibt.

Wir haben im Unterschied zu anderen europäischen Ländern mit unseren kammereigenen Aufstiegsfortbildungen zur ZFA, ZMP, ZMF und ZMV bis hin zur DH eine sehr gute Ausbildung. Die Ausbildung erfüllt deutsche wie europäische Ausbildungskriterien und deckt alle delegationsfähigen Leistungen ab. Das ist in anderen Ländern, wo es nur das Berufsbild der „ZFA“ gibt, anders. Deswegen ist dort der Fokus auf die DH ein anderer als bei uns.

Mittlerweile bilden private Institute eine sogenannte Bachelor-DH aus. Ist die kammereigene Fortbildung zur DH weiterhin konkurrenzfähig?

Das ist sie auf jeden Fall! Schauen Sie: Bei allen akademisierten Ausbildungen, die wir zurzeit in Deutschland haben, müssen wir generell feststellen, dass die Ausbildung zu theorielastig ist und die Praxis vermissen lässt. Das gilt auch für die Bachelor-DH. Das Angebot des dualen Ausbildungssystems bei den Kammern jedoch ist wesentlich umfangreicher und praxisnäher aufgestellt, als dies jemals ein außenstehendes Institut anbieten kann. Wenn alle Stufen bis zur DH durchlaufen sind, kommen wir auf einen Umfang von bis zu 8.000 Stunden – mit Praxis und Theorie. Hier bietet die Kammerausbildung für die ZFA einen ganz großen Vorteil. Auch die qualitativen Anforderungen sind höher einzustufen als bei den Instituten – wo im Übrigen durch die Bachelor-Ausbildung rein ökonomische Interessen der Betreiber verfolgt werden.

Außerdem glaube ich nicht, dass wir bei dem, was wir an Prophylaxe in unseren Praxen anbieten ausschließlich auf das Berufsbild der DH angewiesen sind. Unsere ZFA-Ausbildung bietet ein gutes Fundament, das den Bedarf in den Praxen gut abdeckt. Dazu ein paar Zahlen aus dem Statistischen Jahrbuch der BZÄK: Wir haben 211.000 ZFAs und Azubis, 15.000 ZMPs – und nur 870 DHs. Daraus können Sie schon von der Relation her ablesen, dass wir nicht so von der DH abhängig sind wie beispielsweise die Niederlande oder Dänemark.

Vorschub für das Konstrukt MVZ

Leisten der Bachelor bei den Medizinalfachberufen und die akademisierte DH nicht Vorschub für das Konstrukt MVZ, weil sie dort als Angestellte zunehmend ihr Betätigungsfeld finden werden?

Die Gefahr ist durchaus gegeben. Die sogenannte „Bachelorisierung“ könnte diese Möglichkeit beschleunigen. Diese Entwicklung halte ich für sehr brisant, weil diese Tendenzen auch von der Politik und den Kassen unterstützt werden, und weil hier der ökonomische Aspekt im Vordergrund steht. Fremdkapital hat nun mal andere Renditekriterien und -erwartungen. Hinzu kommt die Tendenz der Politik, alles zu zentralisieren und mit Normvorgaben und Regelungen zu versehen und den Praxen überzustülpen. Abweichungen werden nicht gestattet, Preise werden festgesetzt – und der Patient wie auch der Behandler, die es in erster Linie betrifft, kommen dabei gar nicht mehr vor!

Ist hier die Freiberuflichkeit in Gefahr?

Ja natürlich! Das ist ein Angriff auf die Freiberuflichkeit, die Eigenverantwortung und die Selbstverwaltung. Das was heute den freiberuflich tätigen Zahnarzt ausmacht – niedergelassen, in Einzelpraxis oder Berufsausübungsgemeinschaft – wird sich durch solche Entwicklungen völlig verzerren.

Letztlich geht der Angriff gegen die Selbstverwaltung, und das hat eine europäische Dimension. Hier sind die Kammern im Schussfeld, weil im Rahmen der Deregulierungsmaßnahmen behauptet wird, dass Kammern ein Wettbewerbshindernis sind. Dass aber die Selbstverwaltungsstrukturen kein Hindernis für den Wettbewerb sind, sondern im Gegenteil eine Schutzfunktion gerade auch für die Patienten darstellen, wird in Europa leider immer noch nicht wahrgenommen. Doch die Deregulierungsmaßnahmen, die von der EU kommen, werden von unserer Regierung sehr gerne aufgenommen. Dabei wird immer mehr Verantwortung auf den Staat übertragen – mit Normierung, Regulierung und Kontrolle, siehe G-BA und Versozialrechtlichung.

Die Kompetenzen der Selbstverwaltung werden immer stärker reglementiert und beschnitten. Damit wird meines Erachtens der Staat nicht mehr seiner Rolle gerecht, nur die Rechtsaufsicht zu führen. Diese Situation sieht die BZÄK sehr kritisch: Sie untergräbt unsere Prinzipien von Eigenverantwortung und Selbstverpflichtung.

Konsequenzen für Berufsstand und Gesellschaft

Welche Konsequenzen ergeben sich daraus für den Berufsstand und die Gesellschaft?

Dies wird eine Situation heraufbeschwören, in der die Freien Berufe als Stabilitätsfaktor sowohl wirtschaftlich als auch politisch in eine immer schwächere Position geraten. Der Mittelstand unserer Gesellschaft bricht weg – das ist die Konsequenz! Wir dürfen nicht vergessen, dass die Freien Berufe den Mittelstand maßgeblich tragen. Dann haben wir nur noch zwei Antipoden: auf der einen Seite die Politik, auf der anderen Seite die Konzerne. Das ist nach meiner Auffassung eine Gewichtung, die der prosperierenden Entwicklung eines Landes nicht gut tut.

Politik und Konzerne ...

... ja, sicher. Man kann die Welt heute nicht mehr aus einem engen zahnärztlichen Fokus heraus betrachten. Man muss darüber hinausschauen. Wir arbeiten im Berufsstand hart daran, die Werte und die Stellung der Freien Berufe überhaupt herauszustreichen. Das ist eine Situation, in der Sie Verbündete brauchen, um die Politik der Europäischen Kommission zu beeinflussen!

Was kann die BZÄK, was können die Kammern tun, um solchen Entwicklungen entgegenzuwirken?

Als einzelner Beruf, als einzelne Organisation haben Sie kaum Chancen, hier wirksam tätig zu werden. Das heißt, Sie müssen Verbündete suchen. Hier ist der Bundesverband der Freien Berufe (BFB) gefragt. Ich glaube, dass der BFB nach der jahrelangen Beschäftigung mit sich selbst so zusammengefunden hat, dass er die Alarmglocken hört und sich entsprechend positioniert. Die BZÄK wird alles dafür tun, um ihn dabei zu unterstützen.

Diese Version des Interviews ist gekürzt. Die Fragen stellte Gabriele Prchala.

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