Fortbildung im Freundeskreis
Nach dem Kriegsende und den dann folgenden Jahren des Wiederaufbaus war in der Bundesrepublik Deutschland fachliche Fortbildung auf dem Gebiet der Zahnheilkunde schwierig: Die bis weit in die 30er Jahre reichende führende Position der deutschen Zahnheilkunde war verloren gegangen. Prägende Persönlichkeiten der zahnärztlichen Wissenschaft hatten das Land verlassen oder waren im Krieg gefallen.
Die lähmende Atmosphäre nach dem Krieg
Noch Anfang der 60er Jahre wurde den angehenden Zahnärzten an den Hochschulen ein Wissen vermittelt, das in weiten Bereichen dem neueren Erkenntnisstand im internationalen Vergleich nicht entsprach. Das Fach Parodontologie etwa wurde nebenher in der konservierenden Zahnheilkunde „abgehandelt“. In der zahnärztlichen Chirurgie hörte man etwas über die Gingivektomie, in der Prothetik über okklusale Störungen, eventuell gar über das Kiefergelenk und in der Zahnerhaltung etwas über Zahnsteinentfernung. Bei dem Studenten entstand vielfach der Eindruck: „Das lass ich mal besser, das bringt nichts.“
Der Kontakt innerhalb der niedergelassenen Kollegenschaft war reserviert, gegenseitige Hospitationen in der Praxis eine absolute Ausnahme. Wenn sich der Assistent niederließ, wurde nachts die Distanz zur Praxis abgeschritten, um zu prüfen, ob die vertraglich fixierte „Bannmeile“ auch eingehalten wurde. Zu wach war die Erinnerung an den schwierigen Wiederaufbau und zu entbehrungsreich die eigene Existenzgründung.
In vielen Bereichen der Zahnheilkunde machte sich eine Atmosphäre breit, die von Stillstand gekennzeichnet war. Oftmals fehlte die Bereitschaft, sich neuen Entwicklungen zu öffnen. Andererseits berichteten junge Kollegen, die in der Schweiz oder gar in den Vereinigten Staaten ihre Assistenzzeit verbracht hatten, von zukunftsweisenden Forschungsvorhaben, neuen Therapieverfahren und systematisierten Behandlungskonzepten, die weit über das Bekannte hinausgingen.
Neue Impulse aus dem Westen
Dieser Umstand veranlasste Dr. Günther Wunderling aus Bad Pyrmont, einen Kreis von Praktikern, Hochschullehrern und Wissenschaftlern ins Leben zu rufen, in dem fachliche Informationen gründlicher erarbeitet, ausgetauscht und in der klinischen Anwendung umgesetzt werden sollten. Am 29. April 1966 konstituierte sich im Hotel Intercontinental in Frankfurt am Main die „Neue Gruppe – Wissenschaftliche Vereinigung von Zahnärzten“ als wissenschaftliche Vereinigung von Zahnärzten innerhalb der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde.
Es war ein Glück für Wunderling und die Neue Gruppe, dass mit Dr. Charlie Przetak aus Düsseldorf von Anfang an ein äußerst engagierter Kollege dabei war. Er verfügte über beste Kontakte zu zahnärztlichen Schulen in den USA und zu angesehenen Zahnarztpersönlichkeiten. Ihm ist es zu verdanken, dass Ende der 60er Jahre hervorragende Vertreter der amerikanischen Zahnheilkunde nach Deutschland kamen, Seminare und klinische Arbeitskurse anboten und Vorträge hielten.
Das Ziel der Neue Gruppe war und ist, zum Wohle der Patienten über wissenschaftliche Kongresse, Seminare und Kurse den deutschen Zahnärzten die international besten Methoden zahnärztlicher Behandlungen zugänglich zu machen. Nach Überzeugung der Gründer sind hier vor allem kleine Gruppen besonders geeignet und effektiv.
Häufig wurden Kurse im Ausland organisiert. Was man in der Welt an zahnärztlichem Fachwissen aufgenommen hatte, wurde dann in kleinen Gruppen weitergegeben. So nahm die Neue Gruppe zunächst Einfluss auf die Weiterentwicklung der Parodontologie, später der Gnathologie und der Zahnmedizin insgesamt in Deutschland. Ihre Protagonisten gaben Orientierung und hatten Vorbildfunktion für viele Zahnärzte.
Es blieb nicht aus, dass viele der Mitglieder ganz im Sinne der Gründerväter zu Lehrenden wurden und die kommunikative Lücke zwischen Hochschulen mit Lehre und Forschung, den ausländischen wissenschaftlichen Gruppen und dem heimischen Alltag zu schließen suchten.
Neben Dr. Wunderling und dem allzu früh verstorbenen Dr. Przetak sind hier noch weitere Mitglieder als herausragende Persönlichkeiten der deutschen Zahnheilkunde zu nennen: Prof. Dr. Ralf Mutschelknauss, Dr. Dr. Heinz Erpenstein und Prof. Dr. Lavin Flores de Jacoby setzten nachhaltig innovative Impulse im Bereich der Parodontologie. Prof. Dr. Dr. Ernst-Helmut Pruin, Prof. Dr. Dr. Hubertus Spiekermann und Dr. Dr. Knut Schuppan trugen durch ihre wissenschaftliche Arbeit, ihre Publikationen, ihre internationale Vortragstätigkeit und ihre klinische Kompetenz wesentlich dazu bei, die Implantologie als fundiertes Therapiekonzept zu verankern. Dr. Joachim Schulz-Bongert initiierte als langjähriger Präsident der Zahnärztekammer Nordrhein und als dominierender Vertreter der restaurativen Zahnheilkunde unter anderem den Aufbau des Fortbildungszentrums der Zahnärztekammer Nordrhein, das heutige Karl Häupl Institut, und gestaltete es zu einem bundesweiten Vorbild für die Fortbildung von Zahnärzten. Prof. Dr. Dr. Oskar Bock, Prof. Dr. Alex Motsch, Prof. Dr. Axel Gutowski und Dr. Axel Bauer, sowie Prof. Dr. J. Peter Engelhardt schufen vorausschauend wichtige Grundlagen, um die heute selbstverständliche Funktions-und Artikulationslehre in der Deutschen Zahnheilkunde zu etablieren. Dr. Hans-Henning Ohlrogge, Dr. Dr. Rolf Klett und Heinz Mack unterstützten diese Entwicklung mit innovativen technischen Konzepten. Diese Liste kann durch die Namen der Mitglieder ergänzt werden, die heute federführend im Hochschul- oder im Fortbildungsbereich tätig sind.
Im Laufe der Jahre bezog die Neue Gruppe zu berufspolitischen Fragen Stellung und kämpfte gegen staatliche Reglementierungen und unqualifizierte, öffentliche Polemik, die die wissenschaftliche Fortentwicklung in der Zahnheilkunde behindern. Einige Mitglieder prägten die Standespolitik in den Zahnärztekammern oder wissenschaftlichen Fachgesellschaften. Zeitweise bestanden die Vorstände etlicher Gesellschaften, wie der DGZMK, der DGP oder der PZVD überwiegend aus Mitgliedern der Neuen Gruppe. Auch die Gründung der APW 1973 geht weitestgehend auf ihre Initiative zurück.
Vor allem die wissenschaftlichen Herbst- tagungen der Neuen Gruppe waren und sind Höhepunkte im Fortbildungsangebot auf dem deutschen Markt. Rückblickend kann man anhand der Themen die Bedeutung erkennen, welche die Neue Gruppe bei der Einführung neuer Behandlungs- methoden hatte und wie rasante sich der Fortschritt in den unterschiedlichen Fachgebieten vollzog. Waren es in der Anfangsphase der 60er und 70er Jahre gnathologische Themen und neue Verfahren zur Behandlung der Parondontopathien, lagen die Schwerpunkte der 80er und 90er Jahren auf der Implantologie, der Endodontie und den adhäsiven Restaurationstechniken, in der jüngeren Vergangenheit abgelöst durch Themen aus der digitalen Zahnmedizin.
Die Liste der Referenten der letzten 50 Jahre liest sich wie das Who’s Who der Zahnheilkunde. Alle waren da! Die Parodontologen: Richard Petralis, Cliff Ochsenbein, Robert Schallhorn, Gerald M. Kramer, Myron Nevins, Jan Lindhe, Store Nyman, Raul G. Caffesse, Edward P. Allen, Gianfranco Carnevale, Sandro Cortellini und Maurizio Tonetti. Die Endodontologen: Franklin S. Weine und Clifford J. Ruddle. Die Perioprothetiker: Ralph A. Youdelis, Morton Amsterdam und John C. Kois, die Legenden aus Funktionslehre und Gnathologie: Willy Krogh-Poulsen, Peter K. Thomas, Charles Stuart, Arne G. Lauritzen, Harry Lundeen, Robert L. Lee, Rudolf Slavicek und last but not least aus der Schweiz: Hubert E. Schröder, Peter Schärer, Klaus H. Rateitschak, Werner H. Mörmann, Carlo P. Marinello, Urs Belser, Daniel Buser und Niklaus P. Lang.
Von Zeit zu Zeit ist es notwendig, die fachbezogenen Fortbildungs
projekte durch andere, lebensrelevante Weiterbildungsmaßnahmen zu ergänzen. Seit 1988 trifft sich daher im Frühjahr ein kleiner Kreis von Mitgliedern und Freunden der Neue Gruppe zur traditionellen Klausurtagung im elsässischen Lembach. Bisher ging es um Themen wie „Zeitorganisation“, „Konflikt und Sprache“, „Praxis- und Lebensführung“, „Digitalfotografie“, „Finanzplanung“ oder „Menschenkenntnis und Entscheidungsfindung“. Initiator dieser Lembach-Tagungen war Gründungsmitglied Dr. Peter Beyer.
Schon vor vielen Jahren schuf die Neue Gruppe ein Wissenschaftsfonds mit dem Ziel, wissenschaftliche Vorhaben im Bereich der gesamten Zahnheilkunde und ihrer benachbarten Disziplinen finanziell zu unterstützten. Mit diesem Geld wurden schon zahlreiche Anschubfinanzierungen für Forschungsprojekte, Forschungsaufenthalte im Ausland und Kongressreisen zur Präsentation deutscher Forschungsergebnisse im Ausland maßgeblich gefördert.
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Die Neue Gruppe versteht sich nach wie vor als ein Freundeskreis. Neben ihrem wissenschaftlichen Anspruch ist es vor allem ihr freundschaftlicher und familiärer Charakter, der sich insbesondere bei den jährlichen Frühjahrstagungen zeigt. Für die Aufnahme als Mitglied in der Neuen Gruppe wurden fachliche, ethische und menschliche Kriterien entwickelt, um das anspruchsvolle Niveau der Mitgliedschaft zu gewährleisten. Nach strenger Prüfung durch zwei Bürgen können sich interessierte Kollegen und Kolleginnen als Kandidaten den Mitgliedern durch Vortrag, Praxistag und Teilnahme an Kursen bekannt machen. Entscheidend zur Aufnahme als neues Mitglied ist aber die fachliche und ethische Integrität.
Die Neue Gruppe wird sich zukünftig neuen Herausforderungen stellen müssen und sich weiter verändern. Die Kompetenz, der gute Geist und die Freundschaften aber bleiben. Derzeit hat sie 141 Mitglieder. Die Mehrzahl stammt aus Deutschland. Aber auch Mitglieder aus der Schweiz, Österreich, den Niederlanden, Italien und den Vereinigten Staaten haben zu uns gefunden.
Dr. Gerhard Müther, Chronist der „Neuen Gruppe“ E-mail: