Zentral ist die Anxiolyse
Seit der Zahnarzt Horace Wells 1844 die medizinische Bedeutung von Lachgas als Analgetikum erkannte, hat Lachgas eine wechselhafte Geschichte durchlebt. Im Rahmen des Siegeszugs der Einführung der Äthernarkose in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts fand es weltweit Verbreitung, daran hat sich bis heute nichts geändert.
Das Wirkungs- und Nebenwirkungsprofil von Lachgas (auch: N2O, Distickstoffmonoxid, Stickoxydul) ist daher seit Langem gut bekannt und erforscht. Das farb-, geschmack- und geruchlose Gas wird über die Lungen rasch aufgenommen und auch unverändert wieder abgeatmet. Die maximale Wirkung wird innerhalb weniger Minuten erreicht.
In niedrigeren Dosierungen hat Lachgas vor allem eine angstlösende und beruhigende Wirkung, erst in höheren Dosen bis 50 Prozent (gemischt mit Sauerstoff), beziehungsweise während Narkosen bis 70 Prozent, kommen analgetische Effekte zum Tragen.
Die klinische Anwendung in der Zahnmedizin folgt dem Konzept der „titrierbaren inhalativen Sedierung“: Lachgas wird nach den Bedürfnissen der Patienten individuell titriert (maximal 50 Prozent) über eine Nasenmaske eingeatmet, wobei die Anxiolyse im Vordergrund steht – Ziel ist eine für den Patienten (und den Behandler) entspannte Behandlung.
Zur Schmerzausschaltung wird mit Lokal- oder Leitungsanästhesieverfahren kombiniert. Für den Einsatz in anderen Bereichen – Pädiatrie, Geburtshilfe oder Notfallmedizin – steht ein fixes 50/50-Lachgas-Sauerstoff-Gemisch zur Verfügung. In der Anästhesie wird Lachgas immer mit anderen Anästhetika/Analgetika kombiniert, da die Wirkstärke von Lachgas allein für eine Narkose nicht ausreicht [Sanders et al., 2008].
Große Studien haben die Sicherheit von Lachgas sowohl zur Analgosedierung [Gall et al., 2006; Onody et al., 2006] wie auch während Narkosen [Myles, 2009] bewiesen. An Nebenwirkungen können Übelkeit und Erbrechen sowie Benommenheit und Kribbelparästhesien auftreten. Tiefere Sedierungsstadien, die mit Bewusstseinsverlust und Atemdepression einhergehen können, werden meist nur dann beobachtet, wenn Lachgas mit anderen zentral dämpfenden Medikamenten kombiniert wird (Benzodiazepine oder Opiate) [Gall et al., 2006]. Dies verbietet sich bei der Anwendung durch Nicht-Anästhesisten [Philippi-Höhne et al., 2013].
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Für Zahnärzte nur nach strukturierter Ausbildung
In den 70er-Jahren ergaben Umfragestudien den Verdacht auf einen Zusammenhang zwischen Lachgasexposition am Arbeitsplatz (Anästhesistinnen, Hebammen, Zahnarzthelferinnen) und einem erhöhten Abort- Risiko. Untersuchungen in den Folgejahren, insbesondere seit der Einführung von Narkosegasabsaugungen und unter Beachtung sauberer wissenschaftlicher Methoden, konnten diese Befunde jedoch nicht verifizieren [Sanders et al., 2008]. Ein erhöhtes Abort-Risiko muss unter Beachtung der geltenden Arbeitsplatzgrenzwerte nicht befürchtet zu werden.
Die Interaktion von Lachgas mit Vitamin-B 12 (Kobalamin) ist seit den 1950er-Jahren bekannt. Bei Inhalation von Lachgas über Tage beziehungsweise repetetiv über längere Zeit kommt es zu einer (reversiblen) Hemmung der Methioninsynthetase mit den typischen Symptomen eines Vitamin-B 12-Mangels: diffuse neurologische Ausfälle und eine Anämie. Heute gilt, dass eine Lachgasanwendung auf sechs Stunden begrenzt werden soll, ein nicht-behandelter Vitamin-B 12-Mangel gilt als Kontraindikation [Weimann, 2003].
Auch heute erscheinen jedes Jahr einige Fallberichte von meist jungen Menschen, die (teils irreversible) neurologische Defizite nach Abusus von Lachgas als Partydroge erleiden. Auch Todesfälle werden beschrieben, wobei diese am ehesten durch die Kombination mit anderen Drogen zustande kommen sowie durch einen Sauerstoffmangel, da meist Lachgas aus Luftballons pur ohne Sauerstoffbeimengung inhaliert wird.
Weitere zu beachtende Kontraindikationen ergeben sich aus den physikalischen Eigenschaften von Lachgas. N2O diffundiert in abgeschlossene gasgefüllte Räume: daherstellen Pneumothorax, Mittelohrentzündungen und kürzlich durchgeführte Augen-, Herz- oder Hirnoperationen eine Kontraindikation dar. Eine sogenannte Diffusionshypoxie (Verdünnung des Sauerstoffanteils in den Lungenbläschen beim schnellen Abfluten von Lachgas) tritt bei sachgerechter Anwendung und bei Verwendung von maximal 50 Prozent Lachgas in 50 Prozent Sauerstoff nicht auf.
Insgesamt kann heute die Anwendung von Lachgas in der Kinder- und in der Erwachsenenzahnmedizin als sicher und hilfreich angesehen werden. Dies wurde so auch unter anderem auf europäischer Ebene vom Council of European Dentists (CED) [www.eudental.eu] und der European Society of Anaesthesiology (ESA) [European Society of Anaesthesiology, 2015] beschrieben. Zu beachten ist, dass die Anwendung durch Zahnärzte gebunden ist an eine strukturierte
Ausbildung der Zahnmediziner und deren Assistenzpersonal – und zwar sowohl spezifisch für die Applikation von Lachgas wie auch generell für die Basis der Notfallversorgung [Philippi-Höhne et al., 2013; DGKiZ, 2015].
Prof. Dr. med. Jörg Weimann, D.E.A.A.
Sankt Gertrauden-Krankenhaus Berlin
joerg.weimann@sankt-gertrauden.de