Aktualisierte Wissenschaftliche Mitteilung

Therapie funktioneller Erkrankungen des kraniomandibulären Systems

M. Oliver Ahlers
Mehrere Fachgesellschaften haben gemeinsam die wissenschaftliche Mitteilung zur Therapie der funktionellen Erkrankungen des kraniomandibulären Systems aktualisiert. Die Mitteilung beschreibt die Vielzahl der in der Behandlung kraniomandibulärer Dysfunktionen anwendbaren therapeutischen Mittel, was den unterschiedlichen klinischen Verlaufsformen entspricht.

Funktionsstörungen und -erkrankungen des kraniomandibulären Systems können mit den für den menschlichen Bewegungsapparat typischen pathophysiologischen Folgeerscheinungen einhergehen: Diskoordinationen synergistischer und antagonistischer Muskelgruppen, Myalgien, Muskelverspannungen, Myositiden, Myogelosen, Muskelhypertrophien und -hypotrophien sowie primären Kiefergelenkerkrankungen, Diskusverlagerungen und anderen sekundären pathologischen Veränderungen der Kiefergelenke. Hinsichtlich der Ätiologie wird von einem multikausalen Geschehen ausgegangen, das etwa Mikro- und Makrotraumen, konstitutionelle Voraussetzungen, hormonelle Störungen, bio-psycho-soziale Probleme, Habits, orthopädische sowie okklusale Störungen in Statik und Dynamik einbezieht. Die Grundsätze der stufenweisen Diagnostik von Funktionsstörungen wurden daher in anderen Mitteilungen der DGFDT, der DGZMK und der DGPro beschrieben.

Die Ergebnisse der Diagnostik somatischer und bio-psychosozialer Befunde [Manfredini, Ahlberg et al., 2011; Okeson, 2014; Schiffman, Ohrbach et al., 2014] liegen der Therapie zugrunde.

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Grundsätze der Therapie

Eine Therapie ist bei Schmerzsymptomen oder bei Einschränkungen der Funktion indiziert und erfolgt heute durch zahnmedizinische und durch medizinische Verfahren [De Leeuw Klasser, 2013]. Das Grundprinzip besteht darin, die verschiedenen pathophysiologischen Zustände im Rahmen der Funktionsdiagnostik stufenweise zu erfassen, um auf dieser Grundlage geeignete Therapieverfahren auszuwählen. Neoplastische und ähnliche Erkrankungen sind vor Beginn einer zahnärztlichen Therapie differenzialdiagnostisch abzuklären und gegebenenfalls frühzeitig einer fachspezifischen Weiterbehandlung zuzuführen.

Als zahnärztliche Maßnahmen kommen zunächst die Aufklärung in Bezug auf Selbsthilfemaßnahmen sowie die reversible Behandlung mittels konstruierter Okklusionsschienen [Okeson, 2013] in Betracht. Stellen sich diese als wirksam heraus, können darüber hinaus irreversible Maßnahmen, etwa das Einschleifen von Störungen in der Okklusion, kieferorthopädische Korrekturmaßnahmen und/oder die Rekonstruktion von Einzelzähnen, Zahngruppen oder des gesamten Kausystems zur Anwendung kommen [Okeson, 2013].

Invasive chirurgische Maßnahmen am Kiefergelenk sind grundsätzlich dann indiziert, wenn morphologisch fassbare Gründe für Funktionsstörungen oder Schmerzen vorliegen, die durch eine adäquate und konsequente konservative Therapie nicht zu beseitigen sind [Reich, 2000; Neff, 2013] oder falls von vorneherein eine konservative Therapie nicht zielführend ist (zum Beispiel synoviale Chondromatose). Die chirurgische Therapie muss darüber hinaus eine ausreichende Erfolgsaussicht auf Beseitigung der grundlegenden Symptomatik aufweisen [Reich, 2000; Dimitroulis, 2005; Gonzalez Garcia, Rodriguez Campo et al., 2008; Diracoglu, Saral et al., 2009; Neff, 2013; Vos, Huddleston Slater et al., 2013].

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Initiale zahnärztliche Therapie

Okklusionsschienen

[Ottl Lauer, 2002; Freesmeyer, 1993; Freesmeyer, 1995] besitzen aufgrund ihrer in der Regel vorliegenden Reversibilität ein weites Indikationsspektrum und stellen die zahnärztliche Standardmaßnahme in der Primärtherapie dar [Ash, 2006].

Das Wirkprinzip der Okklusionsschienen [Palla, 1998; Schindler, Hugger et al., 2013; Le Bell, 2014] basiert je nach Gestaltung auf unterschiedlichen neuromuskulären Mechanismen, wobei sie der Harmonisierung der Muskel- und Kiefergelenkfunktionen [Solberg, Clark et al., 1975; Sheikholeslam, Holmgren et al., 1986; Naeije and Hansson, 1991], der Ausschaltung okklusaler Interferenzen und der Reduktion parafunktioneller Aktivitäten [Solberg, Clark et al., 1975; Pierce Gale, 1988; Dube, Rompre et al., 2004] wie Bruxismus [Bernhardt, Imhoff et al., 2014] sowie dem Schutz der Zahnhartsubstanzen [Klasser, Greene et al., 2010] dienen.

Zudem können Okklusionsschienen verwendet werden, um – bei sorgfältig gestellter Indikation – eine Änderung der horizontalen und/oder der vertikalen Kieferrelation zu simulieren.

Hierfür werden vorrangig Stabilisierungsschienen [Ash, 2006; Ottl Lauer, 2002; Ottl Lauer, 2003; Fricton, Look et al., 2010; Yuasa, Kino et al., 2013], die als harte Schienen mit adjustierter Oberfläche ausgeführt sind und alle Zähne des schienentragenden Kiefers überdecken, oder vergleichbar wirkendekieferorthopädische Geräte eingesetzt. Der Behandlung mit Stabilisierungsschienen, meist eingesetzt als Kurzzeitschienen, aber auch als Langzeitschienen bei biopsychosozial bedingten Parafunktionen, wird durch valide Studien ein guter Therapieerfolg bescheinigt [Ottl Lauer, 2002; Ordelheide and Bernhardt, 2009; Okeson, 2013; Schindler, Hugger et al., 2013; Le Bell, 2014; Schindler, Hugger et al., 2014].

Bei Diskusverlagerungen (anterior, mit und ohne Reposition) beziehungsweise Struktur- und Stellungsänderungen in den Kiefergelenken können Positionierungsschienen (anteriore Repositionierungsschienen (Synonym: Protrusivschiene) [Farrar, 1972; Williamson, 2005; Capurso Marini, 2007] beziehungsweise Distraktionsschiene (Synonym: Dekompressionsschiene) [Ottl Lauer, 2002; Freesmeyer, 1995] oder ähnlich wirkende kieferorthopädische Geräte der Wiederherstellung einer zentrischen Kondylenposition und damit einer physiologischen Kondylus-Diskus-Fossa-Relation dienen (anteriore Repositionierungsschienen) oder in Fällen weiter fortgeschrittener Pathologie im Kiefergelenk vorrangig symptomatisch (Reduktion von Schmerzen, Schonung der vorhandenen Strukturen (Distraktionsschiene) [Ottl Lauer, 2002] wirken.

Sie werden als Dauerschienen bis zur endgültigen Rekonstruktion des Gebisszustands eingesetzt. Da im Vergleich zu Stabilisierungsschienen eine höhere Invasivität resultiert, ist eine besonders sorgfältige Diagnostik und Indikationsstellung für diese Therapie erforderlich, da sonst mit therapeutisch bedingten dysfunktionellen Veränderungen gerechnet werden muss [Ottl Lauer, 2002; Le Bell Kirveskari, 1985; Le Bell Kirveskari, 1990; Freesmeyer, 1993; Freesmeyer, 1995; Palla, 1998; Le Bell, 2014].

Die genannten Okklusionsschienen haben sich bei Beachtung der Indikationsstellung klinisch bewährt und sind durch wissenschaftliche Untersuchungen anerkannt [Ordelheide Bernhardt, 2009; Fricton, Look et al., 2010]. Aufgrund der funktionellen Zusammenhänge zwischen Kauorgan und Wirbelsäule werden auch Fernwirkungen in der Behandlung mithilfe von Okklusionsschienen diskutiert [Sletten, Taylor et al., 2015].

Andere Okklusionsschienen wie der Interzeptor, konfektionierte Schienen und weichbleibende Schienen [Ordelheide Bernhardt, 2009] können für wenige Tage zur tonusmindernden Therapie der Kaumuskulatur und zur Entkoppelung der Zahnreihen eingesetzt werden. Weil sie nicht individuell angepasst werden, ermöglichen sie nur im akuten Stadium eine unmittelbare Einflussnahme [Freesmeyer, 1993].

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Initiale minimal-invasive chirurgische Maßnahmen

Durch Punktion und Lavage des Gelenkspalts mittels isotonischer Ringer- oder Kochsalzlösung (Arthrozentese) werden Entzündungsmediatoren, proteolytische Enzyme sowie Knorpelabbauprodukte im Bereich des Gelenkspalts, der Gelenkkapsel und des Gelenkknorpels reduziert beziehungsweise beseitigt [Oliveras-Moreno, Hernandez-Pacheco et al., 2008; Vos, Huddleston Slater et al., 2013]. Bei Patienten mit entzündlichen und degenerativen Erkrankungen der Kiefergelenke kann durch die Arthrozentese (gegebenenfalls in Kombination mit einer diagnostischen Arthroskopie) eine wirkungsvolle Reduktion von Schmerzen und eine Verbesserung der Funktion erzielt werden [Alpaslan, Kahraman et al., 2008; Diracoglu, Saral et al., 2009; Long, Chen et al., 2009; Leonardi, Almeida et al., 2010; Caltabiano, Leonardi et al., 2013; Vos, Huddleston Slater et al., 2013].

Die Arthrozentese ist insbesondere in frühen Stadien arthrogener Funktionsstörungen beziehungsweise degenerativer Erkrankungen wirksam und sollte daher frühzeitig bei Patienten erwogen werden, bei denen mit den initialen zahnärztlichen und begleitenden Maßnahmen nicht der gewünschte Erfolg hinsichtlich Schmerzreduktion und Funktionsverbesserung erzielt werden kann [Sato, Goto et al., 2001; Dimitroulis, 2005, Gonzalez Garcia, Rodriguez Campo et al., 2008; Sembronio, Albiero et al., 2008; Haketa, Kino et al., 2010]. Der frühzeitige Einsatz adjuvanter minimal-invasiver chirurgischer Maßnahmen kann somit sowohl unter dem Gesichtspunkt der Prävention einer Schmerzchronifizierung als auch unter dem Gesichtspunkt der Kosten/Wirksamkeitsrelation empfohlen werden [Stegenga Vos, 2015].

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Begleitende medizinische Maßnahmen im Rahmen der multidisziplinären Therapie

Parafunktionen und Fehlhaltungen sind dem Patienten bewusst zu machen, zum Beispiel durch Aufklärung und Anleitung zur Selbstbeobachtung.

Der Verdacht auf psychoreaktive („stressbedingte“) Teilursachen einer chronischen Funktions- beziehungsweise Schmerzstörung sollte mit dem Patienten besprochen werden [Riley, Myers et al., 2007; Manfredini Lobbezoo, 2009; Schmitter, Keller et al., 2010; Rashid, Matthews et al., 2013]. Gerade in der Phase der diagnostischen Abklärung sollte die Zusammenarbeit mit einem psychosomatisch beziehungsweise speziell-psychologisch qualifizierten Kollegen erfolgen. Additive Behandlungen wie Physiotherapie [Rashid, Matthews et al., 2013], Osteopathie [Cuccia, Caradonna et al., 2010], Biofeedback [Needham Davies, 2013] oder Entspannungskurse [Wahlund, Nilsson et al., 2015] können ergänzend, aber auch kausal eingesetzt werden, um funktionelle Symptome an den Zähnen, der Muskulatur und den Kiefergelenken zu behandeln [Böckmann Doering, 2012; de Freitas, Ferreira et al., 2013; Okeson, 2013].

Physikalisch-medizinische Methoden haben sowohl im Rahmen einer symptomatischen als auch im Rahmen einer kausalen Therapie eine große Bedeutung [von Piekartz, 2005; Orlando, Manfredini et al., 2006; Stelzenmüller, 2010; Ahlers Jakstat, 2011; Okeson, 2013; Shaffer, Brismee et al., 2014]. Die Prinzipien der Behandlung des Bewegungsapparats sind auch für den mandibulo- maxillären Bereich gültig [Bumann Lotzmann, 2000; La Touche, Fernandez-de-las-Penas et al., 2009; Cooper, 2011].

Zu den physikalisch-medizinischen Methoden gehören die Thermo- beziehungsweise Kryotherapie in Form der konventionellen Anwendung von Wärme oder Kälte, aber auch von Rotlicht oder Mikrowelle sowie Ultraschall und die Transkutane elektronische Nervstimulation (TENS) [von Piekartz, 2005; Chipaila, Sgolastra et al., 2014]. Hinzu kommen Massagen und andere physiotherapeutische Maßnahmen (wie etwa Manualtherapie [Calixtre, Moreira et al., 2015]) mit Wirkung auf die Muskulatur sowie die Kiefergelenke, einschließlich osteopa-thischer Techniken [Cuccia, Caradonna et al., 2010] und isometrischer Spannungs- und isotonischer Bewegungsübungen [Nicolakis Fialka-Moser, 2010].

In Form eines häuslichen Übungsprogramms ermöglichen diese Übungen die Fortführung der Therapie über die einzelnen Behandlungstermine hinaus [Michelotti, de Wijer et al., 2005]. Da physikalisch-medizinische Maßnahmen in der Regel symptomatisch wirken und damit auch der raschen Schmerzbeseitigung dienen, sollte deren Einsatz besonders in der Initialtherapie, aber auch bei chronifizierten Verläufen in Erwägung gezogen werden [Cooper, 2011; Guarda-Nardini, Stecco et al., 2012; Calixtre, Moreira et al., 2015].

Bei Befunden wie Parafunktionen, Habits oder Kompression eines oder beider Kiefergelenke [Bumann Groot-Landeweer, 1990; Bumann Lotzmann, 2000; von Piekartz, 2005; Stelzenmüller, 2010] dienen diese Maßnahmen auch zur Vorbehandlung des orofazialen Systems vor kieferorthopädischer Behandlung, der okklusalen Restauration oder einer Rehabilitation mittels Zahnersatz [Cooper, 2011]. Voraussetzungen hierfür sind eine genaue Indikationsstellung, eine sachgerechte Instruktion und eine sorgfältige Durchführung am Patienten sowie die inhaltliche Abstimmung mit dem behandelnden Zahnarzt.

Eine medikamentöse Therapie kann einen wesentlichen Bestandteil der Therapie darstellen [Dionne, 1997; Sommer, 2002; List, Axelsson et al., 2003; Cardelli, Lattari et al., 2005; Okeson, 2014], ist in den meisten Fällen aber nur Teil eines Therapie-Gesamtkonzepts [List, Axelsson et al., 2003; Lobbezoo, Ahlberg et al., 2013]. Da eine Behandlung mit Medikamenten nicht ohne Risiko ist, sollte der verordnende Therapeut über ein profundes Wissen hinsichtlich des/der entsprechenden Wirkstoffe/s verfügen, bevor ein Medikament verordnet wird [BZÄK/KZBV, 2015].

Indikationsgebiete sind Arthropathien [Mejersjo Wenneberg, 2008], Myopathien, Neuropathien [List, Axelsson et al., 2003; Lobbezoo, Ahlberg et al., 2013], Entzündungen, chronische Schmerzen [BZÄK/KZBV, 2015] und damit sehr häufig verbundene Schlafstörungen [Dionne, 1997; Lavigne, Cistulli et al., 2009]. Nach Wirkprinzip unterschieden, können Analgetika [Becker, 2010; Mujakperuo, Watson et al., 2010; Rizatti-Barbosa Ribeiro-Dasilva, 2010], nonsteroidale Antirheumatika (systemisch [Emery, Zeidler et al., 1999] und topisch [Hugger, Schindler et al., 2013] zum Beispiel Ibuprofen, Diclofenac), Muskelrelaxantien [Wiesner, 2010; Pal, Kumar et al., 2014; Zhou Wang, 2014], in besonderen Fällen trizyklische Antidepressiva [Ivkovic, Mladenovic et al., 2008], bestimmte Antikonvulsiva [Health, 2014], Corticoide [Rizatti-Barbosa Ribeiro-Dasilva, 2010], schlaffördernde Medikamente und Benzodiazepine [Niesters, Martini et al., 2014] möglichst gezielt nach Erkrankungssymptomen zum Einsatz kommen. Aus wissenschaftlichen und ethischen Gründen sollten, wann immer möglich, Medikamente verwendet werden, deren Wirkprinzip bekannt und deren Wirkung wissenschaftlich nachgewiesen sind.

Das Vorliegen einer psychischen Komorbidität (zum Beispiel Depression, somatoforme Schmerzstörung, Persönlichkeitsstörung), beziehungsweise einer akuten oder einer chronischen psychosozialen Belastungssituation zum Zeitpunkt der Erstmanifestation der Beschwerden beziehungsweise Exazerbation sollte besonders bei Patienten mit chronischen und langen, therapieresistenten Verläufen abgeklärt werden. Ein breites Spektrum an psychotherapeutischen Maßnahmen (psychodynamische oder Verhaltenstherapie, Biofeedback, progressive Muskelrelaxation, Yoga, autogenes Training und Ähnliches), die diagnosespezifisch indiziert sind [Manfredini, Winocur et al., 2010; Lorduy, Liegey-Dougall et al., 2013; Kotiranta, Suvinen et al., 2014], sollte in der Kooperation mit einem Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie beziehungsweise Psychiatrie und Psychotherapie oder einem einschlägig erfahrenen Psychologen vermittelt werden können.

Auch andere Therapieverfahren wie Akupunktur [Cho Whang, 2010] oder Akupressur oder die Transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS) [von Piekartz, 2005] können gegebenenfalls herangezogen werden, um Erfolge in der Normalisierung der Muskelfunktion beziehungsweise der Reduktion myogen verursachter Schmerzen zu erreichen [Gatchel, Stowell et al., 2006; Manfredini, Winocur et al., 2010; Lorduy, Liegey-Dougall et al., 2013].

Der interdisziplinäre Einsatz von zahnmedizinischen und medizinischen Maßnahmen zur Behandlung von Funktionsstörungen und -erkrankungen des kraniomandibulären Systems ist heute unumstritten. Sowohl okklusale als auch physikalisch-medizinische Maßnahmen sind damit fester Bestandteil der Funktionstherapie, deren erfolgreicher Einsatz in zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen nachgewiesen wurde.

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Weiterführende zahnärztliche Maßnahmen

Irreversible subtraktive Maßnahmen (systematisches Einschleifen der natürlichen Zähne) sind in der Regel nur indiziert, wenn durch eine vorangehende Funktionsanalyse und eine darauf beruhende reversible Initialtherapie mittels Okklusionsschienen im Sinne einer Diagnosis ex juvantibus nachgewiesen ist, dass die Okklusion als ätiologischer Faktor wirkt und ein Okklusionsausgleich zur Besserung des Beschwerdebildes beziehungsweise der Befundlage beiträgt [Kirveskari, Le Bell et al., 1989; De Boever, Carlsson et al., 2000; Imhoff, 2013; Okeson, 2013].

Das Gleiche gilt für irreversible kieferorthopädische und rekonstruktive Maßnahmen, insbesondere wenn deren Indikation ausschließlich unter funktionstherapeutischen Aspekten gestellt wird [Forssell, Kalso et al., 1999; Mohlin, Axelsson et al., 2007; Macfarlane, Kenealy et al., 2009; Luther, Layton et al., 2010; Michelotti and Iodice, 2010; Imhoff, 2013; Iodice, Danzi et al., 2013; Le Bell, 2014]. Hierzu zählen festsitzende Rekonstruktionen der Okklusion (insbesondere Teilkronen und Kronen sowie Brücken) sowie herausnehmbare Rekonstruktionen der Okklusion (Langzeitschiene auf Modellgussbasis oder Ähnliches). Als weitere Alternative bietet sich das adhäsive Befestigen okklusaler Restaurationen auf bestehenden Restaurationen oder natürlichen Zähnen an [Ahlers, Vahle-Hinz et al., 2011].

Jeder definitiven Rekonstruktion sollte dabei eine ausreichende Phase der okklusalen Erprobung und Feinjustierung vorgeschaltet sein, die in der Regel durch Langzeitprovisorien zu erzielen ist. Vor Beginn einer definitiven Therapie sollte ein beschwerdefreies Intervall von etwa einem halben Jahr beziehungsweise eine deutliche Besserung des Beschwerdebildes vorliegen [Wright, 2010].

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Weiterführende chirurgische Maßnahmen

Die Aussicht auf Beseitigung funktionsabhängiger arthrogener Beschwerden ist für chirurgische Eingriffe am Kiefergelenk umso besser, je klarer die Symptomatik auf das Gelenk lokalisiert ist. Überlagernde muskulär-funktionelle Komponenten des Beschwerdebildes müssen daher vor chirurgischen Eingriffen soweit wie möglich ausgeschaltet werden [Reich, 2000]. Anderenfalls sinkt die Erfolgschance invasiver Maßnahmen. Eine Indikation zur chirurgischen Therapie kann gegeben sein, beispielsweise bei Osteoarthritis sowie bei Form- und Lageveränderungen des Discus articularis (ab Wilkes-Stadium 3) [Hall, Indresano et al., 2005; Abramowicz Dolwick, 2010; Miloro Henriksen, 2010; Goizueta Adame Munoz-Guerra, 2012] und Hypermobilitätsstörungen (Alternative: EMG-gesteuerte Injektion von Botulinumtoxin in den M. pterygoideus lateralis) [Fu, Chen et al., 2010].

Primär chirurgische Maßnahmen sind in der Regel angezeigt bei Ankylose [Baykul, Aydin et al., 2012], Mitbeteiligung des Gelenks bei chronisch rheumatischer Arthritis, Psoriasis arthropathica und Spondylarthritis ankylopoetica [Felstead Revington, 2011], Entwicklungsstörungen (etwa kondyläre Hyperplasie, Agenesie), Tumoren und seltenen Erkrankungen (wie beispielsweise synoviale Chondromatose [Reich, 2000; Neff, 2013]).

Das chirurgische Spektrum der Gelenkchirurgie reicht dabei von minimal invasiven Eingriffen wie der Arthrozentese [Alpaslan, Kahraman et al., 2008; Sembronio, Albiero et al., 2008; Diracoglu, Saral et al., 2009; Vos, Huddleston Slater et al., 2013; Stegenga Vos, 2015] und Arthroskopie [Dimitroulis, 2005; Gonzalez Garcia, Rodriguez Campo et al., 2008; Goizueta Adame Munoz-Guerra, 2012] bis hin zur Arthrotomie [Miloro Henriksen, 2010; Reich Teschke, 2012; Neff 2013] und zum autologen oder alloplastischen Kiefergelenkersatz [Reich Teschke, 2012; Kleinheinz Jung, 2015], wobei sich bei den funktionellen Erkrankungen eine Stufenleiter der Therapie bewährt hat. Eine Arthrotomie wird bei entsprechender Indikation demnach in der Regel erst nach adäquater Verlaufskontrolle (je nach Indikation zwischen drei und 18 Monaten) nach erfolgloser minimal invasiver Therapie durchgeführt werden [Reich, 2000; Neff, 2013].

Mit Ausnahme restriktiver Verfahren und Interpositionsplastiken ist eine intensive frühfunktionelle postoperative Übungstherapie nach funktionellen Eingriffen am Gelenk obligat. Die aktive und passive Übungstherapie beugt narbigen Limitationen der Unterkiefermobilität vor und ist somit wesentlicher Faktor für den Therapieerfolg [Reich, 2000; Neff, 2013].

Die Vielzahl der in der Behandlung kraniomandibulärer Dysfunktionen anwendbaren therapeutischen Mittel entspricht dabei der Vielgestalt der klinischen Verlaufsformen. Dies ermöglicht eine individuelle Auswahl der jeweils geeigneten therapeutischen Maßnahmen.

M. Oliver Ahlers, Markus Fussnegger, Gernot R Göz, Bruno Imhoff, Holger A. Jakstat, Christian Mentler, Andreas Neff, E. Nippel, Peter Ottl, Ingrid Peroz, PD Dr. M. Oliver Ahlers, GeneralsekretärDeutsche Gesellschaft für Funktionsdiagnostik und -therapie (DGFDT) CMD-Centrum Hamburg-EppendorfFalkenried 88, 20251 Hamburg

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