150 Jahre Kofferdam

Die Isolierung des Arbeitsfeldes

Viele feuchtigkeitssensible Restaurationswerkstoffe erfordern beim Einbringen die absolute Trockenlegung des Arbeitsfeldes. Hierfür hat sich seit einigen Jahren der Kofferdam bewährt. Es gab ihn aber schon vor über 150 Jahren, wenn auch in etwas anderer Form. Der Blick auf die Genese der „Speichelbremse“ zeigt, dass die Technik im Prinzip dieselbe geblieben ist, wenn auch mit Modifikationen.

Vor 150 Jahren, im Jahr 1864, stellte der Zahnarzt Dr. Joseph Clowes die Technik der Kofferdam-Isolierung der New York Dental Society vor. Er tat dies in Vertretung seines Neffen Sanford Christie Barnum, der diese Methode in der Zeit zwischen 1862 und 1864 entwickelte.

Dabei stanzte er ein Loch in die zu der Zeit üblichen Schutzservietten aus Gummi und stülpte dieses über den zu behandelnden Zahn. Prinzipiell hat sich an der Technik in den vergangenen 150 Jahren nichts geändert. Verbesserungen ergaben sich durch die Qualität der verwendeten Tücher, auch haben Hilfsmittel und Modifikationen der Technik Einzug in die Zahnheilkunde gehalten – oder sind wieder in Vergessenheit geraten.

Aus der Anfangszeit der Zahnheilkunde sind kaum Beschreibungen über Maßnahmen zur Trockenlegung des Arbeitsgebiets bekannt. Erste Angaben zu einer systematischen Trockenlegung datieren aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und umfassen beispielsweise das Einbringen von Stoffservietten, Baumwollstreifen, getrocknetem Flachs, Leinenfetzen, Seidenpapier oder kleinen Schwämmchen.

Eine Goldfolie um den Zahnäquator

Auf Rich ist eine für die Kofferdam-Isolierung wegweisende, 1836 beschriebene Methode zurückzuführen, bei der der zu behandelnde Einzelzahn – ähnlich heutigen Matrizen – durch eine dicht um den Zahnäquator gezurrte Goldfolie isoliert wurde. Für dieses und ähnliche Hilfsmittel wurde der Name „coffer dam“ gebraucht. Analog dieser Methode kamen Einzelzahnisolierungen aus Wachs [Swinell, 1850] oder Gips [Mills, 1862} in und wieder aus der Mode.

Während diese Techniken auf die Einzelzahnisolierung abzielten, wurden auch Versuche unternommen, durch Abklemmen der Speicheldrüsen (Parotisklemmen) oder durch manuelle Pumpen, wie die von Dibble (1866), die gesamte Mundhöhle während des zahnärztlichen Eingriffs trocken zu halten. Denn insbesondere das damals weiter verbreitete Stopfgold, aber auch die zu der Zeit gebräuchlichen Spezifikationen des Amalgams, das sich ab 1833 durch das Wirken der Brüder Cawcour in den USA etablierte, waren sehr feuchtigkeitsempfindlich.

Bis Mitte des vergangenen Jahrhunderts wurde Kofferdamtuch dadurch hergestellt, dass Rohgummi zwischen Stahlwalzen („calender“) auf die gewünschte Dicke gepresst wurde. Diese Materialien wiesen eine geringe Reißfestigkeit auf und waren zudem von begrenzter Lagerfähigkeit. Erst ab 1943 wurden diese Mängel durch neuere Methoden der Vulkanisierung behoben. Dadurch konnten auch die Tuchstärken auf handlichere Durchmesser reduziert werden.

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Von der Stahlwalze zur Lochzange

Ursprünglich wurde die Stanzung des Gummituchs mit einem Locheisen durchgeführt. Wegen der Inhomogenität der damals verfügbaren Kofferdamtücher und der schnellen Stumpfung der Locheisen setzte sich dann die „heiße Stanzung“ mittels eines Exkavators durch, bei der sich auch eine bessere Reißfestigkeit und Adaption durch das im Randbereich aufgeschmolzene und damit verdickte Gummituch ergab [Calder, 1874].

Wurde zunächst die Lochgröße individuell bestimmt und entsprach keinerlei Normung, so stellte Babcock (1874) – die inverse Beziehung von Lochgröße und Anlagerungsspannung des Gummituchs am Zahn berücksichtigend – eine erste Lochzange mit unterschiedlichen Größen für die Stanzung vor. Die heutigen Stanzenformen lassen sich auf die von White (1882) angegebene Konstruktion zurückführen, die bereits mit einem Drehteller für die verschiedenen Lochungsgrößen an der einen Branche und einem konisch zulaufenden Stempel an der anderen Branche ausgestattet war.

Die Fixierung des Kofferdamtuchs am Zahn erfolgte zunächst mit Zement, mit Keilen, mit Silberdraht oder mit Faden-Ligaturen. Auch Kofferdam-Streifen als interdentale Verblockung wurden angegeben. Diese Techniken sind teilweise heute noch gebräuchlich, treten aber hinter die Verwendung von Kofferdam-Klammern zurück.

Latimer gab 1870 eine Technik der Tuchfixierung an, die schnell weite Verbreitung fand. Der Patient musste selbst an einer Schlinge ziehen, die das Tuch durch einen approximal geführten Faden nach apikal zog. Dadurch wurde die eigentliche Behandlung – damals nicht erklärbar – erheblich schmerz-

reduziert. Der Erfolg dieser Technik erklärt sich erst mit dem heutigen Wissen der Gate-Control-Theorie der Schmerzperzeption. Durch die Kompression des gingivalen Gewebes mit kontrollierten Kräften kam es zu einer selektiven Aktivierung der dickeren A-alpha- und A-beta-Fasern. Durch kollaterale Inhibition der dünnen A-delta- und C-Fasern wurde der durch die zahnärztliche Instrumentation hervorgerufene Schmerzreiz herabgesetzt.

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Vom Nackenband zum Young-Frame

Ursprünglich wurde das Gummituch extra-oral nur mittels sogenannter Nackenbänder gesichert. Der Kofferdam-Rahmen als extraorale Sicherung hat sich erst in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts durchsetzen können. Erste Rahmen, wie der Woodbury-True und der Wizzard-Rahmen, waren eher unhandlich. Der Durchbruch erfolgte mit dem Young-Frame, der aber auch noch seitliche Halterungen für die zusätzliche Fixierung mit einem Nackenband aufwies.

Dieses Bauelement findet sich verwirrender Weise bisweilen auch noch an heutigen Konstruktionen. Die Enden des U-förmigen Young-Frame waren zu Kugeln verdickt und seitlich abgebogen, um Augenverletzungen bei den Patienten auszuschließen, ein Konstruktionsmerkmal, das heute an manchen Rahmen fahrlässigerweise fehlt. Modifikationen der Rahmen ergaben sich aus Besonderheiten des Behandlungsablaufs.

Um bei endodontischen Eingriffen während der Röntgenaufnahmen nicht den Rahmen wiederholt entfernen und wieder anbringen zu müssen, wurden die gängigen rechteckigen und U-förmigen Rahmen mit Scharnieren ausgestattet (Dam-E-Z-Ray, Young’s hinged rubber dam frame). Um eine ergonomische Absaugtechnik zu gewährleisten wurde das Enodon, ein Zusatz für den Rahmen, der durch die Bildung einer kleinen Rinne das Spraywasser sammelt, entwickelt. Des Weiteren wurde versucht, der Gesichtsanatomie durch einen gebogenen Rahmen zu entsprechen (Rahmen nach Nygaard-Ostby).

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Von der Harvey-Klammer zu den reach-o-rounds

Schon 1870, also sechs Jahre nach Vorstellung der Kofferdam-Technik, gab es im Sortiment des Dentalhandels eine Unzahl von Klammertypen zur intraoralen Fixierung.

Ein von Palmer angegebener Klammersatz, der für jeden Zahn bis hin zu den dritten Molaren eine eigene Klammer vorsah, scheint um 1880 die weiteste Verbreitung gefunden zu haben [Well, 1882]. Als Kuriosum, aber auch Anregung zu Neukonstruktionen seien die 1900 von Harvey angegebenen Klammerformen genannt. Entgegen den bis dahin bekannten und heutigen Klammerformen wurden die grazilen Backen der Harvey-Klammern nicht an der oralen und vestibulären Seite, sondern an der Mesial- und an der Distalfläche der Zähne fixiert und ermöglichten einen besseren Zugang zur approximalen Stufe.

In der Folgezeit erschienen für die verschiedenen Indikationsgebiete modifizierte Klammerformen wie geschraubte Klammern, sogenannte Wurzelklammern, Hebelklammern, girlandenförmige Klammern, Klammern für engstehende Molaren und sogenannte „reach-o-rounds“, matrizenartig den Zahn umspannende Klammern. Klammern mit Zungen- und Wangenschildern fanden bis in die jüngste Zeit Verwendung. Die ersten Klammertypen waren durchweg flügellos, Flügelklammern wurden erst in der Mitte des vergangenen Jahrhunderts gebräuchlich.

###more### ###title### Ist absolut trocken wirklich notwendig? ###title### ###more###

Ist absolut trocken wirklich notwendig?

Die Entwicklung der heute üblichen Klammerzangen ist schwer zurückzuverfolgen. Von der Konstruktion her sind sie früheren Matrizenspannern ähnlich und haben sich wohl teilweise aus diesen entwickelt.

Mit der Entwicklung und Vermarktung leistungsfähiger Suktoren in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde die absolute Trockenlegung durch Kofferdam für lange Zeit wieder zugunsten der relativen Trockenlegung mittels Watterollen und Ähnlichem zurückgedrängt. Nicht zuletzt die vermeintliche Unempfindlichkeit des Amalgams gegenüber Feuchtigkeit ließ immer wieder Stimmen laut werden, die die Notwendigkeit der absoluten Trockenlegung mittels Kofferdam bezweifelten [Smedley, 1914].

Die Anwendung des Kofferdams wurde lange Zeit mehr aus praktischen Gesichtspunkten der Trockenlegung und weniger unter dem Gesichtspunkt der Keimfreiheit des Operationsfelds gesehen. Aus praktischen Gesichtspunkten können sich logischerweise nur relative Indikationen ergeben. Der Aspekt der Keimfreiheit mündete in der Formulierung absoluter Indikationen, wie die der First District Dental Society of New York 1923 für den Bereich der Wurzelkanalbehandlung [Barbakow, 1965].

Seit den Zwanzigerjahren hat sich die Schere zwischen der Forderung universitärer Lehre und Ausbildung nach der absoluten Trockenlegung einerseits und einem weitgehenden Verzicht im zahnärztlichen Alltag andererseits immer weiter geöffnet. Erst seit den Achtzigerjahren des 20. Jahrhunderts scheint sich die Kofferdam-Anwendung in der Endodontie und teilweise in der Füllungstherapie in der Allgemeinpraxis wieder langsam zu etablieren.

Die neue Leichtigkeit

Die Kofferdam-Technik wurde in den vergangenen Jahren durch viele Neuerungen erleichtert. Das Wissen um die Möglichkeit einer Schädigung der Zervikalregion durch zu hohe Schließkräfte der Klammern führte zur Entwicklung von Kunststoffklammern. Für die interdentale Sicherung des Kofferdamtuchs sind inzwischen sogenannte Wedjets erhältlich. Die Verwendung von Polyethylen-Folie (Polydam) bei Patienten mit Allergien auf Kofferdamgummi wurde zuerst 1989 beschrieben [Patterson, 1989]. Seit 1995 sind auch latexfreie Kofferdam-Sorten auf Silikonbasis auf dem Dentalmarkt erhältlich.

Bei der Verwendung heutzutage sollte aber immer bedacht werden, dass Kofferdam ein Hilfsmittel für die tägliche Praxis ist, nicht mehr und nicht weniger. Die übertriebene Wertung dieses Hilfsmittels in der Literatur, wie zum Beispiel „The use of the rubber dam is so much more than a technique – it is a philosophy“ bei Winner (1970), hat der Kofferdam-Technik wahrscheinlich mehr geschadet als genutzt. Die Verwendung von Kofferdam ist nicht gleichbedeutend mit guter Zahnheilkunde. Uneingeschränkt gilt aber heute wie vor 150 Jahren, dass gute Zahnheilkunde unter absoluter Trockenlegung leichter fällt.

Prof. Dr. Walter KamannUniversität Witten-HerdeckeFakultät für GesundheitDepartment für Zahn-, Mund- und KieferheilkundeAlfred-Herrhausen-Str. 45, 58448 Wittenwalterkamann@yahoo.de

Corinna TybussekZahnärzte am Schönen TurmLandshuter Str. 9, 85435 Erding

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