Repetitorium: Latexallergie

Risikogruppe Zahnmediziner

Christine Vetter
Ob bei medizinischen Handschuhen, Kofferdam, Gummibändern an Zahnspangen oder Abdrucklöffeln zur Anfertigung von Zahnprothesen – im Medizinbetrieb ist Naturlatex allgegenwärtig. Doch so hilfreich und vielseitig verwendbar das Material ist, so problematisch kann es sich auf manche Menschen auswirken. Gerade Mediziner haben ein erhöhtes Risiko sich zu sensibilisieren und eine Latexallergie zu entwickeln.

Bei der Latexallergie kommt es zu einer allergischen Reaktion auf Inhaltsstoffe von Naturlatex und Naturkautschuk. Betroffen sind nach Angaben des Deutschen Allergie- und Asthmabundes e.V. rund zwei Prozent der Bevölkerung. Im medizinischen Bereich ist die Prävalenz mit zehn bis 17 Prozent der Beschäftigten dagegen deutlich höher. Auch Patienten, die häufig im Krankenhaus sind und beispielsweise Kontakt mit Operationshandschuhen haben, haben ein erhöhtes Risiko sich zu sensibilisieren und eine allergische Reaktion zu entwickeln. Das erklärt, warum beispielsweise Kinder mit einer Spina bifida oder einem Fallot- Syndrom, die sich zahlreichen operativen Eingriffen in ihren ersten Lebensmonaten unterziehen müssen, überproportional häufig eine Latexallergie zeigen.

Dennoch: Auch in der zahnärztlichen Praxis werden regelhaft Handschuhe aus Natur- latex genutzt, da vergleichbare Material- eigenschaften hinsichtlich Tragekomfort, Passgenauigkeit, Griffigkeit, mechanischer Belastbarkeit und auch der ausgesprochen guten Dehnbarkeit auf bis zu 820 Prozent derzeit von keinem anderen Material erreicht werden. In den Empfehlungen der „Leitlinien zu Handschuhen zur Infektionsprophylaxe im Gesundheitswesen“ wird geraten, alle Tätigkeiten, die mit einer erhöhten mechanischen Belastung oder einem verlängerten Trageintervall einhergehen, vorzugsweise mit Latexhandschuhen zu verrichten. „Für Aufgaben, bei denen ein hohes Maß an Tastsensibilität und Griffsicherheit erforderlich ist, sind Latexhandschuhe gewöhnlich unverzichtbar“, heißt es. Das Risiko einer Sensibilisierung durch Allergene im Naturlatexmaterial kann zudem reduziert werden: Der Verzicht auf eine Handschuhpuderung minimiert das Risiko, da bei gepuderten Handschuhen ein erhöhter Partikelabrieb in der Umgebungsluft und damit in der Atemluft wirksam wird. Die technischen Regeln für Gefahrstoffe schreiben laut Leitlinie ohnehin explizit vor, dass Latexhandschuhe puderfrei und allergenarm sein müssen.

Allergische Reaktion und anaphylaktischer Schock

Kommt es zu allergischen Reaktionen, zählen Hautrötungen und Quaddelbildungen in Körperregionen, die mit latexhaltigen Materialien in Kontakt gekommen sind, zu den charakteristischen Symptomen der Latexallergie. Diese Reaktion wird auch als Latex-Kontakturtikaria bezeichnet. Wie gravierend sie ist, hängt davon ab, wie schwer die Allergie ist und wie intensiv der Kontakt mit dem Allergen war. In schweren Fällen können sich die Quaddeln auch auf andere Körperregionen ausbreiten.

Weitere potenzielle Symptome einer Latexallergie sind ein Fließschnupfen, Schwellungen, Juckreiz und eine Sekretabsonderung im Bereich der Augen, Magen-Darm-Beschwerden und auch Beschwerden in der Hals- und Rachenregion sowie Luftnot, die an einen Asthma-Anfall erinnern kann. Zu bedenken ist dabei, dass die Dyspnoe auch noch Stunden nach dem Kontakt mit Latexmaterial auftreten kann.

Die Latexallergie lässt sich in zwei verschiedene Allergie-Typen einteilen. Zum einen in die Allergie vom „Soforttyp“ (Typ 1) sowie die verzögert auftretende Allergie vom „Spättyp“ (Typ 4). Bei der Typ 1-Latex- allergie bildet der Organismus IgE-Antikörper gegen Proteine im Naturlatex. Bei der Typ 4-Latexallergie sind Zusatzstoffe wie etwa Farbstoffe und Antioxidantien im Latex die Auslöser der Allergie. Die Typ 4- Allergie tritt meistens verzögert, etwa zwölf Stunden nach Antigenkontakt auf.

In schweren Fällen kann die Latexallergie nach einem Erstkontakt mit Sensibilisierung durchaus zur Sofortreaktion und über die Freisetzung des Botenstoffs Histamin zu einem anaphylaktischen Schock führen.

Es handelt sich hierbei um eine schwere, potenziell lebensgefährdende allergische Reaktion. Sie bildet sich aufgrund einer Akutreaktion des Immunsystems auf ein Allergen aus. Die Freisetzung von Histamin bedingt dabei eine praktisch schlagartige Erweiterung der Blutgefäße sowie das Zusammenziehen der glatten Muskulatur, zum Beispiel im Bereich der Bronchien. Es kann dadurch zu einem drastischen Blutdruckabfall, zum Kreislaufversagen und zum Tod des Patienten kommen.

Beim anaphylaktischen Schock sind vier Schweregrade zu differenzieren:

• Schweregrad 1: Es kommt zu einer leichten Allgemeinreaktion mit Rötung, Quaddelbildung sowie Kopfschmerzen und Unruhe.

• Schweregrad 2: Kennzeichnend ist eine ausgeprägte Allgemeinreaktion mit Pulsveränderungen, Herz-Kreislaufproblemen, Luftnot und eventuell auch einem Stuhl- und Urindrang.

• Schweregrad 3: Die Situation wird bedrohlich, neben der Atemnot treten auch Bronchospasmen sowie Bewusstseins- trübungen auf.

• Schweregrad 4: Es kommt zum Organversagen mit Herz- und Kreislaufstillstand.

Wie bei anderen Allergien können auch bei der Latexallergie Kreuzallergien auftreten. Die Betroffenen reagieren zum Beispiel oft auch auf bestimmte Pflanzen, insbesondere Ficusarten wie die Birkenfeige und den Gummibaum. Es kommen ferner Kreuz- allergien vor mit Wolfsmilchgewächsen wie dem Christusdorn, dem Weihnachtsstern sowie Kakteen, Hanf, Oleander und Immergrün. Nicht selten weisen Latexallergiker auch eine Nahrungsmittelallergie auf, etwa gegen Kartoffeln, Schwarzwurzeln, Esskastanien und Spargel. Da zudem vergleichsweise häufig Reaktionen beim Verzehr von Früchten, insbesondere Bananen, Kiwi, Feige und Mango sowie Avocado, Papaya und Passionsfrucht auftreten, wird auch von einem Latex-Fruchtsyndrom gesprochen.

Diagnose und Behandlung

Dreh- und Angelpunkt der Diagnostik ist zunächst die Anamnese, bei der es vor allem darum geht, den Auslöser der Reaktion möglichst konkret dingfest zu machen. Die Verdachtsdiagnose wird anschließend in Form eines Allergentests wie dem Pricktest an der Haut verifiziert.

Bestätigt sich die Verdachtsdiagnose, so kann diese durch den Nachweis latex- spezifischer IgE-Antikörper im RAST-Test (Radio-Allergo-Sorbent-Test) gesichert werden.

Oberste Maxime ist es, im Fall einer Latexallergie soweit als möglich den Kontakt mit dem Allergen, also mit Latex, zu vermeiden. Dazu gehört auch, dass die Betreffenden ihren Arzt und ihren Zahnarzt vor der Untersuchung und Behandlung über ihre Latex- allergie informieren, damit möglichst latexfrei gearbeitet wird. Sie sollten außerdem einen Allergiepass – am besten als SOS-Plakette an der Halskette oder als SOS-Armband – bei sich tragen, damit auch in einer Notfallsituation möglichst latexfrei behandelt wird.

Eine konsequente Allergenkarenz ist jedoch oft nur bedingt möglich. Allerdings gibt es verschiedene synthetische Gummimaterialien, die aus Erdölprodukten hergestellt werden, als Alternative. Zum Beispiel sind Schutzhandschuhe oder Kofferdam aus Nitrilkautschuk im Handel, bei Gummi- bändern und Textilfasern kann man auf Produkte aus Elasthan ausweichen und es gibt auch naturlatexfreie Kondome aus Polyurethan.


Aus Sicht der Zahnmedizin

Die Latexallergie

Der dramatischste Verlauf einer allergischen Reaktion auf Latex ist die anaphylaktische Reaktion. Hierunter wird die akute systemische Manifestation einer allergischen Sofortreaktion verstanden. Sie kann dramatisch verlaufen und letal enden. Die Kenntnis der Leitsymptome und Behandlungsalgorithmen sind für eine effiziente Diagnostik und Therapie essenziell. Gleiches gilt für den rechtzeitigen Notruf.

Die klinische Symptomatik betrifft Haut, Schleimhaut, Atemwege, Gastrointestinaltrakt und das kardiovaskuläre System.Klassifiziert wird der klinische Verlauf in vier Schweregrade, das schwerste Symptom entscheidet jeweils über die Zuordnung.

Grad I: Betroffen sind primär die Kontaktareale von Haut und Mundschleimhaut. Es kommt aber sehr rasch zu einer Generalisierung. Es treten Juckreiz, Rötung, Schwellung, Quaddelbildung auf. Diese Symptome bleiben in der Regel auch in den nachfolgenden Phasen bestehen.Die Therapie besteht in der sofortigen Unterbrechung der Allergenexposition und symptomorientierter Lagerung. Bei einem foudroyanten Verlauf sollte bereits jetzt schon ein intravenöser Zugang gelegt und eine Vollelekrolytlösung zügig infundiert werden. Die Gabe von H1- und H2-Blockern sowie einem Glucocortikoid (Prednisolon i.v. 250 bis 1000 mg) wird ebenfalls empfohlen.

Grad II: Es kommt zur Kompromittierung der Vitalfunktion Atmung durch Dyspnoe, Rhinorrhoe und Heiserkeit. Auch kardiovaskuläre Symptome mit Tachykardie und Hypotension treten auf. Abdominelle Zeichen wie Übelkeit und Erbrechen sind möglich.Die Therapie besteht außer bei den unter Grad I erwähnten Maßnahmen in der intramuskulären Gabe von Adrenalin. Die empfohlene Applikationsstelle ist der M. vastus lateralis (seitlicher Oberschenkel). Als Alternative zu den kommerziell verfügbaren (Selbst)- Injektionssystemen können Einmalspritzen und -kanülen verwendet werden.Die Dosis liegt bei 0,5 mg bei Erwachsenen und 0,3 mg bei Kindern. Eine Wiederholung nach 10 bis 15 Minuten ist möglich.

Grad III: Larynxödem und Bronchospasmus sowie Zyanose sind Zeichen der respiratorischen Dekompensation, die Schocksymptomatik kennzeichnet die kardiovaskulären Probleme und die abdominellen verstärken sich ebenfalls.Die Gabe von repetitiven intravenösen Adrenalinboli wird durch die Verdünnung der Ausgangslösung von 1 mg auf 10 ml erleichtert. So kann jeweils ein Milliliter injiziert werden.

Bei fehlendem intravenösen Zugang wird die intramuskuläre Gabe fortgeführt. Die inhalative Gabe von Adrenalin beziehungsweise die zusätzliche Gabe von Betasympathomimetika per inhalationem sowie Sauerstoff (bis 12 l /min) wird ebenfalls in dieser Phase empfohlen. Entsprechend der Schocksymptomatik sollte auch die Volumengabe forciert werden.Grad IV: Atem- und Herz-Kreislaufstillstand kennzeichnen den Schockzustand. Die sofortige kardiopulmonale Reanimation ist die Therapie der Wahl. Zusätzliche Maßnahmen wie in den vorherigen Stadien sind sinnvoll.

Differenzialdiagnosen: Insbesondere kardiovaskuläre Erkrankungen wie Synkope, hypertone Krise, Lungenembolie oder Herzinfarkt sollten in Erwägung gezogen werden. Aber auch endokrinologische Erkrankungen (wie Hypoglykämie, thyreotoxische Krise), sowie neuropsychiatrische (zum Beispiel Hyperventilation, Angst-Panikstörungen, Epilepsie), Hauterkrankungen und pharmakologisch-toxikologische Reaktionen können sich durch ähnliche Symptome manifestieren.

Weiterführende Literatur:

Leitlinie zu Akuttherapie und Management der Anaphylaxie

Allergo J Int 2014; 23: 96 AWMF-Register-Nr. 065–025

Univ.-Prof. Dr. Dr. Monika Daubländer, Leitende Oberärztin der Poliklinik für Zahnärztliche Chirurgie

Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität Mainz, Poliklinik für Zahnärztliche Chirurgie

Augustusplatz 2, 55131 Mainz

daublaen@uni-mainz.de

Dr. Dr. Peer W. Kämmerer

Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie der Universität Rostock

Schillingallee 35, 18057 Rostock


Kommt es dennoch zu einer allergischen Reaktion, wird diese mit Antiallergika, in erster Linie mit Antihistaminika und gegebenenfalls zusätzlich mit Kortikosteroiden behandelt. Bei schweren Reaktionen sind weitere Maßnahmen und eventuell auch Notfallmaßnahmen angezeigt. Dabei sollte der Patient im Falle einer Luftnot in eine sitzende Position gebracht werden. Hat der Betroffene das Bewusstsein verloren, muss er jedoch unbedingt in die stabile Seiten- lage gebracht werden. Bei Kreislaufstillstand müssen umgehend Reanimationsmaßnahmen eingeleitet werden. Dafür muss das Team vorbereitet sein.


Info

Quellen und weiterführende Informationen

• Deutscher Allergie- und Asthmabund (DAAB), www.daab.de

• Leitlinie „Anforderungen an Handschuhe zur Infektionsprophylaxe im Gesundheitswesen“, www.awmf.org


Menschen mit Latexallergie sollten zudem stets ein Notfall-Set bei sich tragen, bestehend aus einem Antihistaminikum sowie einem Kortikoid und zusätzlich einer Adrenalin-Fertigspritze zur Selbstinjektion in den Oberschenkel im Falle einer Notfallsituation.

Christine Vetter

Merkenicher Straße 224, 50735 Köln

141800-flexible-1900

Christine Vetter

Medizinjournalistin
Merkenicher Straße 224,
50975 Köln

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.