Der besondere Fall

Synoviale Chondromatose des Kiefergelenks

Heftarchiv Zahnmedizin
Thomas Mücke
,
Marco Rainer Kesting
,
Philipp Stockmann
Patienten mit Kiefergelenksbeschwerden gibt es in der Regelpraxis häufig. Wenn zusätzlich die Mundöffnung eingeschränkt ist und die Beschwerden über einen längeren Zeitraum bestehen, sollte ein umfangreiches diagnostisches Verfahren eingeleitet werden. Denn die Ursachen könnten doch schwerwiegender sein, wie dieser Patientenfall zeigt.

Eine 53-jährige Patientin wurde im Oktober 2015 in die Klinik für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie überwiesen, nachdem sie über zunehmende Beschwerden bei der Mundöffnung geklagt hatte. Insbesondere bei der normalen Öffnungsbewegung und bei einer Laterotrusion nach links komme es im Bereich des rechten Kiefergelenks zu einem knirschenden, reibenden, aber nicht schmerzhaften Geräusch, das innerhalb der vergangenen Monate stark zugenommen hätte. Dieses Geräusch verunsicherte die Patientin so stark, so dass sie eine weiterführende Abklärung wünschte.

Die Patientin berichtete, dass sie die besagten Symptome erstmalig vor zwei Jahren bemerkt, diese jedoch nicht als besonders störend empfunden habe. Schmerzen seien bisher nicht aufgetreten und auch nicht der Grund der Vorstellung oder für den Wunsch nach weiterer Abklärung. Ein Trauma war der Patientin anamnestisch nicht erinnerlich, auch eine Erkrankung des rheumatischen Formenkreises sei bisher weder diagnostiziert worden noch in irgendeiner Form symptomatisch.

Im Rahmen der klinischen Untersuchung zeigte sich eine regelhafte Mundöffnung von vier Zentimetern Schneidekantendistanz, eine normale Öffnungsbewegung mit unauffälliger initialer Rotations- und folgender Translationsbewegung. Bei einer Laterotrusionsbewegung nach links unter maximaler Mundöffnung konnte gut hörbar ein reibendes, knirschendes und leicht quietschendes Geräusch vernommen werden. Ein Prolaps von Gewebe während der Bewegung war zusätzlich gut tastbar.

In der bildgebenden Diagnostik wurden bereits im Vorfeld durch den niedergelassenen Kollegen zur orientierenden Abklärung eine Panoramaschichtaufnahme und eine Computertomografie (CT) durchgeführt. Während die Panoramaschichtaufnahme im Bereich des rechten Kiefergelenks ein unruhiges, aber insgesamt nicht sehr eindrucksvolles Bild zeigte, waren in den CT-Aufnahmen solide multiple Formationen innerhalb des Gelenkbereichs zu sehen. Diese konnten vor allem im medialen Kompartiment der Kiefergelenkkapsel dargestellt werden, in geringerem Ausmaß auch im lateralen Anteil der Kapsel des Kiefergelenkraums (Abbildung 1).

Zur Abklärung des Ausmaßes und zur Darstellung des Gelenkapparats inklusive des Gelenkdiskus wurde eine Magnetresonanztomografie (MRT) veranlasst. Hier zeigten sich eine regelrechte Position des Discus articularis und multiple rundlich bis ovaläre Strukturen unterschiedlicher Größe (Abbildung 2).

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Therapie

Nach ausführlicher Befunderläuterung und -besprechung mit der Patientin wurde unter Berücksichtigung der relativ unauffälligen klinischen Symptomatik zur weiteren Abklärung und Therapie eine offene Kiefergelenkexploration durch einen präaurikulären-temporalen Zugang in Intubationsnarkose durch die Patientin gewünscht.

Das rechte Kiefergelenk wurde über einen präaurikulären-temporalen Zugang unter Schonung des N. fazialis dargestellt (Abbildung 3). Nach Sichtbarwerden der deut-lich verdickten Gelenkkapsel erfolgten die U-förmige Inzision derselben circa zwei Millimeter unterhalb der Gelenkgrube und das Eingehen in den oberen Gelenkspalt (Abbildung 4). Nach der Inzision entleerte sich reichlich Gelenkflüssigkeit, die einen trüben Aspekt aufwies. Bei der passiven Bewegungsexkursion des Kiefergelenks durch eine Laterotrusion entleerten sich zahlreiche – mindestens 25 – freie Gelenkkörper, die durch zusätzliche Spülungen des Gelenks und Mobilisation – endoskopisch kontrolliert – zahlreich und komplett geborgen werden konnten (Abbildung 5). Diese wurden zur histopathologischen Untersuchung eingesandt. Aufgrund der Befundkonstellation und des histopathologisch verifizierten Ergebnisses von chondroiden Fremdkörpern wurde die Diagnose einer primären synovialen Chondromatose gestellt.

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Diskussion

Die primäre artikuläre synoviale Chondromatose ist eine monoartikuläre, gutartige, neoplastische und selbstlimitierende Erkrankung der Synovialis des betroffenen Gelenks.

Im Rahmen dieser Erkrankung kommt es zu einer metaplastischen Transformation subsynovialer Zellen in Knorpelzellen unterschiedlichen Ausmaßes [Milgram, 1977; Shah, 2011; von Lindern, 2002]. Am häufigsten tritt die Erkrankung am Kniegelenk auf, gefolgt vom Befall des Ellenbogengelenks. Das Kiefergelenk kann ebenfalls betroffen sein, jedoch tritt diese Erkrankung hier prinzipiell selten auf. Die transformierten synovialen Chondroblasten bilden kleine Inseln und Knoten aus Knorpel, die sich kontinuierlich vergrößern und im weiteren Verlauf in die Gelenkhöhle geboren werden, wo sie in der Regel in unterschiedlicher Form Beschwerden verursachen können. Die multiplen freien Gelenkkörper, ernährt durch die Synovia, können im Gelenkraum weiter wachsen, verkalken oder auch im Sinne einer enchondralen Ossifikation verknöchern.

Männer sind seltener betroffen als Frauen, das Erkrankungsalter liegt häufig zwischen dem 40. und dem 50. Lebensjahr [Shah, 2011]. Auslösende Faktoren sind bisher nicht gesichert, jedoch vermuten einige Autoren einen ähnlichen Zusammenhang wie bei der ebenfalls metaplastischen Erkrankung der Myositis ossifikans: Durch traumatische oder entzündliche Einflüsse soll so die metaplastische Veränderung der Synovia induziert werden [Blankestijn, 1985; Milgram, 1979]. Können solche Faktoren erhoben werden, spricht man von einer sekundären synovialen Chondromatose [Milgram, 1979].

Liegen keinerlei anamnestische Angaben diesbezüglich vor – wie im vorliegenden Fall –, handelt es sich um eine primäre Form [Milgram, 1977; von Lindern, 2002].

Pathogenetisch können drei Entwicklungsphasen unterschieden werden, die nach dem Erstbeschreiber benannt als Milgram-Klassifikation in der Literatur verwendet werden [Milgram, 1977]. In Stadium I sind die neugebildeten kleinen chondroiden Noduli mit der Synovialmembran verbunden, in Stadium II lösen sich diese ab und befinden sich in der Gelenkflüssigkeit schwimmend als freie Gelenkkörper, in Stadium III degenerieren diese und kalzifizieren zunehmend. Eine metaplastische Aktivität liegt in Stadium III nicht mehr vor [Milgram, 1977]. Bei unserer Patientin lag ein Milgram-Stadium-III vor.

Aus diagnostischer Sicht müssen zum einen der Krankheitsverlauf und die Klinik berücksichtigt werden, zum anderen sind diese jedoch häufig unspezifisch, so dass eine Diagnose aufgrund der Beschwerdesymptomatik allein nicht gestellt werden kann [Holmlund, 2003; Milgram, 1979; Shah, 2011; von Lindern, 2002]. Die Mundöffnung kann limitiert sein, muss es aber – wie im vorliegenden Fall – nicht sein. Eine Einschränkung der Mundöffnung ist durch die unterschiedlich und individuell ausgeprägte Gelenkkörperbildung nicht pathognomonisch, tritt auch erst in höheren Krankheitsstadien auf. Auch rezidivierende Reaktionen der Synovialmembran werden von den Patienten nicht unbedingt als schmerzhaft oder störend empfunden. Die meisten Patienten berichten jedoch über einen längeren Krankheitsverlauf über Jahre und über eine progrediente Beschwerdesymptomatik.

Richtungsweisend ist die Darstellung des Befunds in der MRT oder in einer hochauflösenden Dünnschicht-CT [Hohlweg-Majert, 2008]. Hierdurch wird die genaue Darstellung der Gelenkkörper ermöglicht, jedoch werden diese nur durch die MRT in früheren Stadien gut dargestellt, da hier noch keine Verknöcherungen sichtbar sind und die Weichgewebe besser dargestellt werden können [Hohlweg-Majert, 2008]. Auch zur Beurteilung von Diskusveränderungen und der differenzialdiagnostischen Abklärung einer möglichen cranio-mandibulären Dysfunktion (wie mit akuter Dislokation des Diskus ohne Reposition, die ebenfalls zur Limitierung der Mundöffnung führt) sollte eine MRT durchgeführt werden [Vogl, 1992]. Die Liste der weiteren Differenzialdiagnosen ist mannigfaltig wie unspezifisch in der Symptomkonstellation. Entzündliche Erkrankungen des Kiefergelenks aus dem rheumatischen Formenkreis sind ebenso zu bedenken wie gutartige und bösartige Weichgewebstumore [Blankestijn,1985; Vargas, 1997]. Arthrosen, die aseptische Knochennekrose des Kondylus und eine Chondrokalzinose können ähnliche Krankheitsverläufe erzeugen.

Die operative Therapie richtet sich nach dem Stadium der Erkrankung: Besteht Aktivität in der Synovialis mit persistierender Knorpelbildung, ist aus pathogenetischen Gründen eine Gelenkkörperentfernung mit radikaler Synovektomie zwar indiziert, muss jedoch kritisch gegenüber den Folgen mit den Patienten besprochen werden [Aydin, 2002; Blankestijn, 1985]. Aus unserer Sicht ist dann eine symptomatische Therapie mit Entfernung der Gelenkkörper analog dem Stadium III sinnvoll, um dann zunächst zuzuwarten, bis sich der Krankheitsprozess in ein höheres Stadium überführt. In diesem Stadium ohne weitere pathologische Veränderungen in der Synovialis ist die Entfernung der freien Gelenkkörper ausreichend [Aydin, 2002]. Diese befinden sich in der Regel im oberen Gelenkspalt und sind daher gut zugänglich. Bei einer Diskusperforation können diese jedoch auch im unteren Kavum des Kiefergelenks vorkommen [Wong, 2001].

Diese sollten dann ebenfalls geborgen werden. Eine radikale Resektion der Gelenkkapsel oder des Diskus artikularis mit teilweise schwerwiegenden funktionellen Einschränkungen der Kiefergelenkfunktion sollte aus unserer Sicht vermieden werden. Die maligne sarkomatöse Transformation stellt dagegen eine Rarität dar, bereitet aber unter Umständen Schwierigkeiten in der Abgrenzung zu einem benignen Verlauf. Allerdings sind bisher keine Fälle im Bereich des Kiefergelenks in der Literatur zu finden, die berichteten Fallberichte traten bisher alle an den Extremitäten auf [Diaz-Bertrana, 2010; Hallam, 2001; Jonckheere, 2014; Sah, 2007].

PD Dr. Dr. Thomas Mücke, Prof. Dr. Dr. Marco Rainer KestingKlinik für Mund-, Kiefer- und GesichtschirurgieKlinikum Rechts der Isar der Technischen Universität MünchenIsmaninger Str. 22, 81675 Münchenth.mucke@gmx.de

PD Dr. Dr. Philipp StockmannMKG-Chirurgie WeißenburgBismarckanlage 3, 91781 Weißenburg in Bayern

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