Der besondere Fall mit CME

Das unerkannte Plattenepithelkarzinom

Elisabeth Goetze
,
Bilal Al-Nawas
,
Christian Walter
,
Cristina L. Cotarelo
Wenn eine schwere Parodontitis trotz fachlicher Intervention mehrfach rezidiviert, sollten beim Behandler die Alarmglocken läuten. Weitere Untersuchungen sind dann unbedingt erforderlich. Hier lag der behandelnde Zahnarzt mit seiner Vermutung über einen langen Zeitraum falsch.

Eine 79-jährige Patientin stellte sich mit einer seit einem halben Jahr in Therapie befindlichen Mundschleimhautveränderung der Unterkieferfront in Regio 33 bis 43 vor. Die Anamnese ergab, dass bei ihr seit mehreren Jahren eine Parodontitis bekannt war. Alio loco war seit Januar 2014 bei einer anamnestisch unauffälligen Brush-Biopsie an der Unterkieferfront mehrfach eine Parodontitistherapie durchgeführt worden.

Verdachtsdiagnose

Im April 2014 wurden bei der Verdachtsdiagnose einer therapierefraktären, marginalen Parodontitis die Zähne 31 bis 42 extrahiert. Da es auch weiterhin nicht zum Abheilen der Schleimhautveränderung kam, holte sich die Frau eine Zweitmeinung ein. Es erfolgte eine Probeexzision, wodurch die Diagnose eines Plattenepithelkarzinoms gesichert wurde.

Bei der extraoralen Inspektion in unserer Klinik fiel eine rötliche Veränderung im Bereich der Supramentalfalte auf (Abbildung 1), wobei die Haut in diesem Areal nicht verschieblich war und unmittelbar darunter eine Resistenz getastet werden konnte. Enoral zeigte sich in der Unterkieferfront ein ulzerierend wachsender Tumor (Abbildung 2).

In der Panoramaschichtaufnahme (Abbildung 3) ist bei parodontal geschädigtem Restgebiss eine – im Vergleich zu den Osteolysen der parodontal erkrankten Zähne – unscharf begrenzte Osteolyse im Bereich der Unterkieferfront zu erkennen. In der zum Staging durchgeführten Computertomografie der Kopf-Hals-Region (Abbildung 4) zeigte sich neben der Knochendestruktion die Infiltration der über dem Kinn liegenden Haut. Vereinzelt lagen beidseits vergrößerte Lymphknoten vor. Das weitere Staging zeigte keinen Anhalt für eine Filialisierung in Thorax und/oder Abdomen.

Neben mehreren Extraktionen erfolgte eine Unterkieferteilresektion unter Mitnahme einer Hautinsel am Kinn und eine beidseitige zervikale Lymphadenektomie, wobei sich keine Lymphknotenmetastasen nachweisen ließen. Zum besseren Halt einer prospektiven Prothese wurden noch Implantate im Unterkiefer inseriert. Die Patientin befindet sich seit über einem Jahr im Tumor-Recall ohne Hinweis auf ein Rezidiv oder eine Metastasierung.

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Diskussion

In Deutschland erkranken jährlich knapp 13.000 Menschen an einem Karzinom der Mundhöhle oder des Rachens, und etwa 4.000 Patienten versterben jährlich an dessen Folgen, bei einem deutlichen Übergewicht der Männer sowohl an Neuerkrankungen als auch an Todesfällen [Kaatsch et al., 2013]. Das typische Erkrankungsalter für Männer liegt zwischen dem 55. und dem 65. Lebensjahr, für Frauen zwischen dem 50. und dem 70. Lebensjahr [Wolff, 2012].

Die wichtigsten Risikofaktoren für die Entstehung eines Plattenepithelkarzinoms der Mundhöhle sind der Nikotin- und der Alkoholabusus [Wolff, 2012]. Aber auch das Vorliegen einer parodontalen Erkrankung wird in der Literatur mit einem erhöhten Risiko in Verbindung gebracht [Moergel et al., 2013; Yao et al., 2014]

Das gingivale oder parodontale Plattenepithelkarzinom kann vor allem in den Anfangsstadien klinisch dem Bild einer fortgeschrittenen Parodontitis ähneln und entsprechend missinterpretiert und fehltherapiert werden. Bei fehlender Besserung oder sogar beim Progress der Erkrankung sollte daher eine Probebiopsie durchgeführt werden, um die Diagnose nicht weiter zu verschleppen.

Aufgrund der anatomischen Gegebenheiten mit physiologischer Adhärenz des Gewebes zum Alveolarkamm kommt es früh zu einer Infiltration des Knochens, so dass bereits bei kleinen Tumoren die Notwendigkeit einer Kieferresektion besteht – mit den damit verbundenen funktionellen Einschränkungen. Die Prognose ist abhängig vom Tumorstadium, bei lymphatischer Metastasierung oder bei Fernmetastasen sinkt die Fünf-Jahres-Überlebensrate für alle Mundhöhlenkarzinome von 53 bis 68 Prozent auf 27 bis 41 Prozent (Tabelle 2) [Neville, 2009].

Die Therapie besteht aus der Resektion des Tumors mit Sicherheitsabstand und der Entnahme der drainierenden zervikalen Lymphknoten [Wolff, 2012]. Bei den fortgeschrittenen Tumorstadien III bis IV (Tabelle 1) oder zum Beispiel bei einem Lymphknotenbefall kann sich eine postoperative Radio- oder Radiochemotherapie anschließen.

Der Fall einer Diagnoseverzögerung

Der vorgestellte Fall zeigt eindrücklich die Möglichkeit einer Diagnoseverzögerung bei einem gingivalen Karzinom. Bei der Patientin wurde prolongiert eine vermeintliche Parodontitis behandelt, ohne dass bei therapierefraktärem Zustand eine Histologie gewonnen wurde. Hier ist sicherlich die Problematik des negativen Ergebnisses der Brush-Biopsie anzumerken. Diese muss methodisch richtig angewandt werden, so dass neben den oberflächlichen auch Zellen aus tieferen Schichten gewonnen werden.

Bei Verdacht auf ein Malignom sollte jedoch eine Biopsie mit dem Skalpell durchgeführt werden, um falsch negative Ergebnisse, die bei der Bürstenbiopsie häufiger beschrieben werden, zu vermeiden und um ein potenzielles Durchbrechen der Basalmembran nachweisen zu können, da dies therapeutische Konsequenzen nach sich zieht.

Im vorliegenden Fall wurden im weiteren Verlauf mehrere Zähne extrahiert, wie es bei bis zu 60 Prozent der Patienten mit Gingivakarzinom beschrieben wird [Seoane et al., 2006]. Krankheitsfall und -verlauf unterstreichen die Notwendigkeit, bei nicht abheilenden Läsionen frühzeitig eine histologische Sicherung zum Malignomausschluss anzustreben, um die Diagnose nicht weiter zu verzögern.

Elisabeth Goetze, Prof. Dr. Dr. Bilal Al-Nawas,

PD Dr. Dr. Christian WalterKlinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie – plastische Operationen

Universitätsmedizin der Johannes Gutenberg-Universität MainzAugustusplatz 2

, 55131 Mainz

walter@mkg.klinik.uni-mainz.de

Dr. Cristina L CotareloInstitut für Pathologie der Universitätsmedizin

MainzLangenbeckstr. 1, 55131 Mainz

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