Leitartikel

Urlaub ist schützenswerter als Gesundheit

Christoph Benz

Als 1999 der Begriff des „Web 2.0“ aufkam, sollte dies die Abkehr von statischen Internetseiten hin zur aktiven Einbindung der Nutzer dokumentieren. Damit eröffnete sich erstmals in der Menschheitsgeschichte die Möglichkeit, weit verstreutes Wissen zu bündeln, um so etwas wie Schwarmintelligenz zu nutzen.

Vergleichs- und Bewertungsportale sind eine besonders beliebte Form dieser Wissensbündelung. Nichts, was heute nicht gesammelt, bewertet und in eine Ordnung gebracht wird: Konsumgüter, Energie, Finanzen, Telefon, Versicherungen, Reisen und natürlich auch Gesundheit.

Besonders beliebt sind die Hotelbuchungs- und Bewertungsportale. Fast kein Reisender, der sie nicht nutzt, fast kein Reisender, der nicht irgendwie unsicher ist. Suchen die wirklich unter allen Hotels oder nur bei denen, die viel zahlen? Sind das dann die „Ladenhüter“? Wer zahlt die Provision? Tatsächlich sollen zwei von drei Nutzern nach einer Studie der EU-Kommission aus dem Jahr 2014 bereits Probleme mit Vergleichsplattformen gehabt haben.

Die Verunsicherung scheint so groß, dass Bündnis 90/Die Grünen aktuell eine gesetzliche Regelung anstoßen möchten. Der Kerngedanke ist, alle Portale auf den gleichen, offenen Kriterienkatalog zu verpflichten, um untereinander vergleichbare Informationen zu liefern. Die Portale sollen Provisionen und wirtschaftliche Verflechtungen nennen und alle Anbieter auflisten, die berücksichtigt wurden. Der Applaus scheint den Grünen sicher, da wohl kein Verbraucher die vorgeschlagene Transparenz ablehnen dürfte.

Eine Sache verwundert aber doch. Das Grünen-Papier zielt auf alle Vergleichsportale, nur ein Begriff taucht nicht auf: Gesundheit. Zufall oder Absicht?

Dabei gibt es allein schon in der Zahnmedizin einen Wildwuchs, bei dem kaum noch jemand durchblickt. Versteigerungsportale vergeben Leistungen an Zahnärzte, die am wenigsten dafür haben wollen, und in diversen Bewertungsportalen dürfen Patienten anonym schwärmen oder kräftig abledern.

Ein Beitrag des ARD-Magazins Plusminus lobt aktuell die Transparenz von drei Versteigerungsportalen. Ja, die Klick-Wege sind klar, die Sprache ist einfach und viele Bilder untermalen selbst triviale Zusammenhänge.

Aber bei der wichtigsten Frage, bei wem ich mich da eigentlich unter den Bohrer lege, wird geschwurbelt. Da ist „moderne Ausstattung“ wichtig und „weiterführende Spezialisierung“ – eine interessante Unterscheidung zu den Spezialisierungen, die offensichtlich nicht weiterführen. Schön ist auch ein „selbstreinigendes System“, das schlechte Zahnärzte durch die Bewertungen der Patienten aussortiert.

Man kann der ARD nur zustimmen: Transparenter geht es nicht. Wenn dann noch professionelle Zahnreinigungen regelmäßig für 40 Euro ersteigert werden, wobei zwölf Euro Vermittlungsgebühr anfallen, wird noch etwas anderes transparent: Hier gewinnt nur die Plattform.

Ja und dann gibt es noch die Patienten-Bewertungsportale. In Anlehnung an Kellyanne Conway könnte man da von alternativer Transparenz sprechen. Wer „haten“ möchte, braucht oft nicht mehr als ein Rezept oder ein Bonusheft aus der Praxis, und fürs Lob gibt es Reputation-Management-Agenturen. Im Dunkeln ist gut munkeln, trotzdem nutzt jeder zweite Deutsche diese Plattformen.

Bei soviel „Schwarm-Intelligenz“ haben die Grünen vielleicht sogar recht, wenn sie die Gesundheitsportale in der bestehenden Form ignorieren.

Am Ende wird sich die Frage stellen, ob die Zahnärzteschaft hier nicht ein eigenes Konzept entwickeln sollte.

• Mehr zum Antrag von Bündnis 90/ Die Grünen an den Deutschen Bundestag finden Sie auf den Nachrichten, S. 12.

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Prof. Dr. Christoph Benz

Präsident der BZÄK
Bundeszahnärztekammer

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