Der besondere Fall mit CME

Osteom in der Kieferhöhle

Ingo Buttchereit
,
Peer W. Kämmerer
,
Bärbel Riemer-Krammer
Der Hauszahnarzt stellte bei einer 35-jährigen Patientin eine Verschattung in der linken Kieferhöhle fest – lokalisiert über einem wurzelgefüllten Zahn. Der Befund entpuppte sich als ein an dieser Stelle seltenes Osteom.

Eine 35-jährige Frau stellte sich nach Überweisung durch ihren Hauszahnarzt erstmalig im Januar 2017 mit der Bitte um Abklärung von Beschwerden in regio 26 sowie mit einer radiologisch suspekten Verschattung im Bereich der Kieferhöhle links in der Abteilung für Mund-, Kiefer- und plastische Gesichtschirurgie der Universität Rostock vor. Die allgemeine Anamnese ergab keine relevanten Vor-/Grunderkrankungen oder Allergien. Eine durch den Hauszahnarzt angefertigte Panoramaschichtaufnahme (Abbildung 1) zeigte – neben einer kleinen metalldichten Verschattung im Bereich der Wurzel von 26 sowie einer hyperdensen Verschattung apikal von 46 – eine knochendichte Verschattung im Bereich der linken Kieferhöhle.

Da die Patientin zudem seit mehreren Monaten über leichte Schmerzen und ein Druckgefühl im Bereich der Kieferhöhle linksseitig klagte, wurde ein Spiral-CT der Nasennebenhöhlen axial mit koronarer Rekonstruktion erstellt. Die Auswertung ergab neben einer linkskonvexen Septumdeviation sowie einer seitendifferenten Darstellung der Conchae nasale, eine knochendichte Raumforderung (etwa 25 mm x 20 mm x 15 mm) am Boden der linken Kieferhöhle mit exophytischem Wachstum. Die Basis zeigte dabei einen breiten Kontakt zum Boden der Kieferhöhle, per continuitatem fanden sich knochendichte bis metalldichte Fremdstrukturen nach erfolgter Wurzelkanalbehandlung an Zahn 26 (Abbildungen 2 und 3). Nach Rücksprache mit dem behandelnden Hauszahnarzt entschieden wir uns für die Extraktion von Zahn 26 und die Entfernung der knöchernen Neuformation aus der linken Kieferhöhle. Aufgrund der erfahrungsgemäß zu erwartenden Komplexität solcher Eingriffe erfolgte die weitere Behandlung unter stationären Bedingungen. Der geplante Eingriff wurde unter antibiotischer Abschirmung (i. v. 3 g Ampicillin/Sulbactam) in Intubationsnarkose durchgeführt.

Im ersten Schritt wurden der Zahn 26 entfernt und das unmittelbar apikal liegende Wurzelfüllmaterial sowie das Granulationsgewebe exkochleiert. Der Zugang zur linken Kieferhöhle erfolgte mittels eines freien Knochendeckels nach Lindorf. Nach vorsichtiger Luxation des Knochendeckels war ein breiter Zugang zur Kieferhöhle vorhanden. Dabei imponierte eine harte, glatt begrenzte Tumormasse, die wegen ihrer Größe und knöchernen Konsistenz nicht in toto reseziert werden konnte (Abbildung 4). Nach Separierung der Raumforderung in einzelne Fragmente (Abbildung 5) konnten diese entfernt werden (Abbildung 6). Es folgten eine intensive Spülung mittels steriler Kochsalzlösung sowie eine endoskopische Untersuchung der linken Kieferhöhle. Der Nasengang war nicht verlegt und die Kieferhöhlenschleimhaut erschien nicht polypös. Teile des gewonnenen Knochenfensters wurden zur Stabilisierung des Alveolenbodens regio 26 verwendet. Die Alveole wurde im Anschluss mit einer 3-D-Kollagenmatrix (mucoderm®, botiss, Berlin) sowie einem Wangenschleimhauttransplantat versiegelt. Die Naht erfolgte sowohl mit resorbierbaren (Vicryl 3.0) als auch mit nicht-resorbierbarem (Resolon 4.0 und 5.0) Nahtmaterial. Ein Großteil des initial entfernten Knochendeckels konnte anschließend erfolgreich reponiert und mit resorbierbaren Nähten befestigt werden. Abschließend erfolgte der spannungsfreie und speicheldichte Wundverschluss im Bereich des Kieferhöhlenzugangs. Die Antibiose wurde oral prolongiert für drei Tage fortgeführt. Die histologische Aufbereitung des entfernten Materials ergab spongiöses und kompaktes Knochengewebe mit herdförmig fibrosiertem Mark – vereinbar mit einem Osteom. Die postoperativ angefertigte Panoramaschichtaufnahme zeigt die vollständige Entfernung der knöchernen Neuformation aus der linken Kieferhöhle (Abbildung 7). Bereits wenige Tage nach dem Eingriff waren die Beschwerden rückläufig und die Patientin konnte in gutem Allgemeinzustand aus der Klinik entlassen werden.

Am zehnten postoperativen Tag fand die Nahtentfernung statt (Abbildung 8). Im Rahmen der Nachkontrolle zeigten sich die initial beschriebenen Beschwerden der Patientin vollständig rückläufig. Nach Konsolidierung der knöchernen Situation in regio 26 (mindestens vier Monate) kann mit der Planung einer implantatgetragenen Lückenversorgung begonnen werden, wobei insbesondere aufgrund der nicht durchgeführten plastischen Deckung der Mund-Antrum-Verbindung wahrscheinlich auf eine Vestibulumplastik verzichtet werden kann. In der Zeit der knöchernen Konsolidierung wurde die Zahnlücke 26 durch den Hauszahnarzt mit einer Klebebrücke provisorisch versorgt.

Diskussion

Differenzialdiagnostisch müssen bei einer Verschattung der Kieferhöhle neben entzündungsbedingten Krankheitsbildern (Sinusitis, Kieferhöhlenempyem), einer traumatischen Genese (Hämatosinus) und einer Kieferhöhlenmykose zystische Prozesse sowie benigne und maligne Tumoren in Betracht gezogen werden [Metelmann, Kaduk, 2007]. Während entzündungsbedingte beziehungsweise traumatische Erkrankungen sehr oft über eine klinische und radiologische Untersuchung sicher diagnostiziert werden können, kann bei asymptomatischen Raumforderungen eine definitive Klassifizierung letztendlich nur über eine histopathologische Untersuchung erfolgen.

Unter einem Osteom versteht man eine benigne Läsion, bestehend aus gut differenziertem, reifem Knochengewebe mit überwiegend lamellärer Struktur von sehr langsamem Wachstum [Jundt, 2010]. Pathogenetisch sind Osteome auf eine posttraumatische beziehungsweise postinflammatorische reaktive Knochenneubildung – hier wahrscheinlich das überstopfte Wurzelfüllmaterial – oder auf eine Ossifikation von bereits vorhandenen knorpeligen Vorläuferläsionen zurückzuführen. Die Klassifizierung der Osteome unterscheidet drei Gruppen aufgrund ihrer Lage [Schajowicz, 1994]:

  • Klassisches Osteom: findet sich im Bereich der bindegewebig präformierten Schädelknochen (Tabula externa) sowie in der Nasennebenhöhlenregion. Die bevorzugte Lokalisation hierbei sind der Sinus frontalis und die Cellulae ethmoidales. Vereinzelt finden sich Osteome auch – wie im beschriebenen Fall – in der Kieferhöhle.

  • Juxtakortikales/paraossales Osteom: vornehmlich an der Außenfläche der langen Röhrenknochen.

  • Medulläres Osteom (Enostom): in spongiösem Knochen.

Klassische Osteome manifestieren sich vor allem im vierten und im fünften Lebensjahrzehnt mit einer leichten Bevorzugung des männlichen Geschlechts. Treten Osteome bereits in der Pubertät oder im jungen Erwachsenenalter auf, muss – insbesondere bei multiplem ossärem Befall – an das Vorliegen eines Gardner-Syndroms gedacht werden [Jundt, 2010; Rocha, 2011]. Hierbei handelt es sich um eine autosomal-dominante Form der familiären adenomatösen Polyposis (FAP), die mit multiplen Osteomen, multiplen Adenomen des gesamten Colons, Epidermoidzysten, einer Hypertrophie des retinalen Pigmentepithels und endokrinen Störungen assoziiert ist.

Die Grundproblematik der Erkrankung liegt in der häufigen Entartung der Colon-Adenome, so dass den Osteomen hier vor allem die Bedeutung einer Index-Läsion zukommt.

In diesem Zusammenhang ist zu erwähnen, dass sich die extraossären Symptome häufig erst nach einer Latenzzeit von zehn bis 15 Jahren zeigen [Jundt, 2010], worüber die Patienten aufgeklärt werden sollten. Nach aktueller Literatur präsentieren zehn Prozent der Bevölkerung Osteome im Becken, in der Wirbelsäule oder in den Rippen, so dass diese in diesen Regionen als Normvariante einzuordnen sind [Jundt, 2010]. Eine Osteom bildung im Bereich der Nasennebenhöhlen ist deutlich seltener und wird bei 0,5 bis 1 Prozent der Nasennebenhöhlenaufnahmen als Zufallsbefund diagnostiziert. Mit circa 80 Prozent bildet dabei der Sinus frontalis den Hauptmanifestationsort im Nasennebenhöhlensystem, gefolgt von den Cellulae ethmoidales [Jundt, 2010; Hosemann, 2010]. Demgegenüber treten Osteome in den Kieferhöhlen extrem selten auf [Rocha, 2011].

Radiologisch lassen sich Osteome als kugelige bis ovale Verschattungen darstellen [Jundt, 2010]. Klassische Osteome der Nasennebenhöhlen bleiben oftmals lange Zeit symptomfrei [Jundt, 2010; Hosemann, 2010] und sind somit häufig Zufallsbefunde [Woldenberg, 2005]. Erst bei Größenzunahme entwickeln sich aufgrund der Sekretabflussstörung und der zunehmenden mechanischen Druckwirkung unspezifische Kopfschmerzen respektive Sinusitiden [Jundt, 2010; Hosemann, 2010]. In extremen Fällen ist auch der Einbruch eines Kieferhöhlenosteoms in die Orbitahöhle mit damit verbundener Diplopie und Visusverlust beschrieben worden [Park, 2006].

Mit der Ausbreitung der 3–D-Bildgebung in der Zahnheilkunde werden Osteome zunehmend auch im Rahmen der zahnärztlichen Diagnostik erfasst und müssen dann bei der Befunderstellung beurteilt werden. Letztendlich stellen sie damit viel häufiger ein differenzialdiagnostisches als ein therapeutisches Problem dar.

Die Therapie beinhaltet die Abtragung und die histopathologische Begutachtung des Osteoms. Damit soll vor allem ein malignes Geschehen, beispielsweise im Sinne eines Osteosarkoms, das speziell im Initialstadium ähnliche klinische und radiologische Charakteristika aufweisen kann, sicher ausgeschlossen werden [Rocha, 2011].

Die Entfernung von Osteomen der Kieferhöhle kann bei kleineren Tumoren über einen endonasalen Zugang durchgeführt werden. Bei größeren Tumoren empfiehlt sich hingegen – wie im vorliegenden Fall – ein osteoplastischer Zugang zur Kieferhöhle, um eine vollständige Resektion der Raumforderung zu gewährleisten. Größere Osteome müssen hierbei in aller Regel in einzelne Fragmente zerlegt und anschließend geborgen werden [Jundt, 2010; Hosemann, 2010]. Die histopathologische Aufarbeitung ergibt vornehmlich lamellären Knochen, der als kompakter Knochen beziehungsweise in Form von Trabekeln angeordnet ist. Zwischen den Trabekeln zeigen sich Fett- und Bindegewebsanteile, die unterschiedlich stark ausgeprägt sein können. Vor allem bei deutlich ausgebildetem Bindegewebe kann sich die Abgrenzung zum ossifizierenden Fibrom bisweilen schwierig gestalten [Jundt, 2010]. Differenzialdiagnostisch kommen darüber hinaus Osteoblastome und Odontome in Betracht [Rocha, 2011].

Fazit für die Praxis

  • Differenzialdiagnostisch müssen bei einer Verschattung der Kieferhöhle entzündliche, traumatische und neoplastische Prozesse bedacht werden.

  • Manifestieren sich Osteome bereits im ersten oder im zweiten Lebensjahrzehnt, muss das Vorliegen eines Gardner-Syndroms abgeklärt werden.

  • Solide Prozesse in der Kieferhöhle sollten entfernt und einer histopathologischen Begutachtung zugeführt werden, um einen malignen Prozess auszuschließen.

Dr. med. dent. Ingo Buttchereit,
PD Dr. med. habil. Dr. med. dent. Peer W. Kämmerer, MA, FEBOMFS

Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer- und Plastische Gesichtschirurgie,
Universitätsmedizin Rostock
Schillingallee 35, 18057 Rostock
peer.kaemmerer@med.uni-rostock.de

Dr. med. dent. Bärbel Riemer-Krammer

Private Praxis,
Rostock

Literaturliste

Hosemann W (2010) Innere Nase und Nasennebenhölen. In: Strutz J, Mann W (Hrsg.) Praxis der HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie. 2. Auflage, Thieme, Stuttgart, S. 402–454

Jundt G (2010) Osteom. In: Freyschmidt J, Ostertag H, Jundt G (Hrsg.) Knochentumoren mit Kiefertumoren. 3. Auflage, Springer, Berlin Heidelberg, S. 94–107

Metelmann HR, Kaduk W (2007) Tumoren im Kopf-Hals-Bereich. In: Horch HH (Hrsg.) MundKiefer-Gesichtschirurgie. 4. Auflage, Urban & Fischer, München Jena, S. 670–743

Park W, Kim HS (2006) Osteoma of maxillary sinus: a case report. Oral Surg Oral Med Oral Pathol Oral Radiol Endod 102: 26–27

Rocha JF, Goncales AG, da Silva Sampieri MB, da Silva AA, Matsumoto MA, Goncales ES (2011) Peripheral Osteoma of the maxillary sinus: a case report. Oral Maxillofac Surg. Online first 21. Oktober 2011

Schajowicz F (1994) Tumors and tumorlike lesions of bone. 2. Auflage, Springer, Berlin, Heidelberg

Woldenberg Y, Nash M, Bodner L (2005) Peripheral osteoma of the maxillofacial region. Diagnosis and treatment: a study of 14 cases. Med Oral Patol Cir Bucal 10: 139–142

140379-flexible-1900

Dr. Ingo Buttchereit

Fachzahnarzt für Oralchirurgie
Tätigkeitsschwerpunkt Implantologie
und Parodontologie

Univ.-Prof. Dr. Dr. Peer W. Kämmerer

Leitender Oberarzt/
Stellvertr. Klinikdirektor
Klinik und Poliklinik für Mund-, Kiefer-
und Gesichtschirurgie – Plastische
Operationen, Universitätsmedizin Mainz
Augustusplatz 2, 55131 Mainz

Dr. med. dent. Bärbel Riemer-Krammer

Private Praxis,
Rostock

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