Nach dem Brexit: Dürfen Zahnärzte aus der EU in England noch praktizieren?

„Eventuell brauchen sie künftig eine Arbeitserlaubnis!“

Was passiert nach dem Brexit mit der zahnärztlichen Versorgung in Großbritannien? Gibt es noch genügend Personal? Dürfen Zahnärzte aus der EU dort überhaupt noch praktizieren? Wie ernst die Lage ist, schildert der Vorstandsvorsitzende der British Dental Association (BDA), Mick Armstrong.

Welche Folgen hat Ihrer Meinung nach der Brexit für den NHS und das britische Gesundheitswesen?

Mick Armstrong: Eines der Hauptthemen ist natürlich die künftige Verfügbarkeit von Personal im Gesundheitswesen. Bei den meisten Gesundheitsberufen – Ärzten, Zahnärzten, Krankenschwestern, aber auch bei anderen – ist der prozentuale Anteil von EU-Bürgern gemessen an der Gesamtzahl hoch. Der Status der EU-Bürger nach dem Brexit (ab März 2019) ist weiterhin nicht klar. Es handelt sich um einen der wichtigsten Punkte im Rahmen der Verhandlungen, die ja nun begonnen haben. Erste Aussagen unserer Premierministerin Theresa May liegen ja bereits vor.

Die in Großbritannien tätigen EU-Zahnärzte sind, wie die einheimischen auch, beim General Dental Council (GDC) registriert. Wir haben keinen Grund, anzunehmen, dass sich deren Status ändern wird, solange sie die erforderlichen Bedingungen für die Registrierung erfüllen. Was sich aber theoretisch ändern könnte, ist ihr Recht, hier zu arbeiten, also zum Beispiel, ob sie in Zukunft bei uns eine Arbeitsgenehmigung brauchen. Genaueres hängt von den künftigen Verhandlungen mit der EU ab.

Was ist die BDA?

Die British Dental Association (BDA) ist die Berufsvertretung aller Zahnärzte und Zahnmedizinstudenten in Großbritannien.

Sie bietet Unterstützung bei allen Fragen rund um die Berufsausübung, bringt Kollegen in Netzwerken auf lokaler und regionaler Ebene zusammen und ist Anbieter von Fortbildungsveranstaltungen. Zudem vertritt die BDA den Berufsstand gegenüber der Politik, formuliert Standards zur Ausübung der Zahnheilkunde und fördert die Mundgesundheit der Bevölkerung. Als Gewerkschaft und Berufsorganisation vertritt die BDA nicht nur die praktisch tätigen Zahnärzte, sondern auch den kommunalen zahnärztlichen Gesundheitsdienst, die Streitkräfte, Krankenhäuser, Hochschulen und die Wissenschaft. Finanziert wird sie von den Beiträgen ihrer Mitglieder.

Es gibt auch weitere Bereiche, die man im Hinterkopf behalten sollte: etwa die Verfügbarkeit von Arzneimitteln und Medizinprodukten, der Zugang zu bestimmten medizinischen Therapien, Fragen des Datenschutzes, die Umsetzung der Kosmetikverordnung zur Regulierung von Bleaching, die Europäische Krankenversicherungskarte – um nur ein paar Beispiele zu nennen. Nichts davon ist im Moment richtig klar. Wir und andere Organisationen haben unsere Belange beim britischen Parlament eingereicht, so dass sich die Politik der Auswirkungen bewusst ist, die das Gesundheitssystem betreffen.

Und wie geht es mit der zahnärztlichen Versorgung im NHS weiter?

Wie eben schon gesagt, wenn sich der Status von Zahnärzten und zahnärztlichem Praxispersonal aus der EU im Hinblick auf die Arbeitserlaubnis ändert, dann wird das wahrscheinlich Auswirkungen auf die Verfügbarkeit dieser Fachkräfte für die Versorgung und für die Berufsausübung in der Praxis wie im Klinikalltag insgesamt haben.

Im NHS haben wir schon lange ein Problem mit finanzieller Unterversorgung, die Zahnärzte im NHS-System haben im vergangenen Jahrzehnt einen realen Einkommensverlust von 35 Prozent erlebt. Neben den Generalisten haben wir auch zahnmedizinische Spezialisten aus der EU, die sowohl in Krankenhäusern als auch in Praxen arbeiten. Für sie hängt von den Brexit-Verhandlungen viel ab.

Unsere Regierung hat gesagt, dass sie die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern abschaffen möchte. Das könnte bedeuten, dass es für EU-Zahnärzte schwieriger wird, ihre Qualifikation hier anerkannt zu bekommen. Weniger Zahnärzte bedeutet jedoch weniger Versorgung, und in einigen Gegenden des Landes haben wir schon länger Probleme mit dem Anwerben von Zahnärzten, in anderen Gegenden dagegen herrscht ein Überschuss. Wir haben ein Stadt-Land-Gefälle.

Was bedeutet der Brexit für Angehörige der Gesundheitsberufe

Was bedeutet der Brexit für Angehörige der Gesundheitsberufe, die aus dem EU-Ausland nach Großbritannien gekommen sind?

Derzeit kann das so richtig niemand wissen. Wir erkennen aber jetzt schon, dass medizinisches Personal das Land verlässt. Die British Medical Association zum Beispiel hat Ärzte aus dem europäischen Wirtschaftsraum befragt – und herausgefunden, dass 42 Prozent aufgrund des Referendum-Resultats ernsthaft darüber nachdenken, wegzugehen.

Zusätzlich waren sich 23 Prozent noch nicht sicher. Die britische Behörde für Krankenschwestern und Hebammen hat vor Kurzem bekannt gegeben, dass die Registrierungsanfragen in den vergangenen zwölf Monaten um 96 Prozent zurückgegangen sind. Wir werden bei den Zahnärzten noch nachforschen. Die Registrierungszahlen beim GDC sind 2017 nicht zurückgegangen, aber der Brexit ist ja auch noch nicht vollzogen. Wir sind allerdings etwas überrascht, dass wir bisher relativ wenige Anfragen zu diesem Thema von Zahnärzten bekommen haben.

Welche Konsequenzen ergeben sich für Zahnärzte, die privat praktizieren?

Was Registrierung und Arbeitserlaubnis angeht, wird sich das nicht vom NHS unterscheiden; die Vorgaben sind dieselben.

Welche Konsequenzen ergeben sich für Unternehmen und Versorgungszentren, die Zahnärzte aus dem EU-Ausland angeworben und angestellt haben?

Viele Firmen haben direkt aus dem Europäischen Ausland rekrutiert, daher sind sie sicherlich besorgt darüber, wie der Brexit ihre Arbeitnehmerschaft und Anwerbestrategien beeinflussen wird.

Was bedeutet es für das System, wenn britische Rentner aus dem EU-Ausland verstärkt in ihre Heimat zurückkehren sollten?

Das ist sicherlich ein weiteres Thema, das frühzeitig in den Verhandlungen über die Rechte der Bürger angegangen werden muss. Wie Sie wissen, leben die Menschen heutzutage länger und behalten ihre Zähne länger als in vorherigen Generationen. Mit entsprechendem Versorgungsbedarf! Manche britische Bürger im europäischen Ausland haben keine Rechte auf Behandlung im britischen NHS (bis auf Notfälle), wenn sie sehr lange weg gewesen sind. Aber eine private Behandlung können sich auch nicht alle leisten. Wir finden, dass die Regierung sich dieses Themas dringend annehmen muss. Natürlich ist die Zahnmedizin nur ein kleiner Teil im Rahmen der gesamten gesundheitlichen Versorgung der Rentner und der Auswirkungen auf das  Gesundheitswesen insgesamt.

Das sagt Theresa May!

Kurz nach Beginn der Brexit-Verhandlungen hat die britische Premierministerin auf dem EU-Gipfel in Brüssel EU-Bürgern in Großbritannien ein weitreichendes Bleiberecht in Aussicht gestellt. Sie schlug eine Stichtagsregelung vor: Wer vor diesem Datum fünf Jahre im Land war, soll einen geregelten Rechtsstatus erhalten. Wer weniger als fünf Jahre dort gelebt hat, sollte die fünf Jahre voll machen und kann dann ebenfalls einen geregelten Status erhalten. Durch Übergangsfristen soll ein scharfer Bruch vermieden werden.

Welche Folgen sehen Sie bei der Versorgung mit Medizinprodukten, beim Datenschutz oder beim Thema E-Health?

Konsequenzen gibt es sicherlich auf all diesen Gebieten. Im Moment sitzt die Europäische Arzneimittel-Agentur noch in London, und es wird schon klar über einen Umzug gesprochen. Wenn wir uns nicht mehr an alle EU-Vorschriften halten müssen, muss das Vereinigte Königreich einen separaten Prozess entwickeln, um Medizinprodukte, die auf EU-Ebene anerkannt werden, hier auch anzuerkennen beziehungsweise Produkte, die hier entwickelt werden, in der EU zur Verfügung zu stellen. Somit könnte im Rahmen der Zulassungsprozesse die hinreichende Versorgung mit solchen Produkten potenziell zumindest zeitweilig infrage gestellt werden. Wir hoffen, dass die Verhandlungen diese Probleme lösen werden. Wir haben auch die Absicht, mit der British Dental Industry Association und deren europäischen Partnerorganisationen eng zusammenzuarbeiten, wenn es um diese Themen geht.

Bis auf Weiteres arbeiten wir natürlich im Rahmen der EU-Datenschutzvorschriften, und es ist auch klar, dass die neueste EU-Datenschutzverordnung hier umgesetzt wird, wie die Regierung schon erklärt hat. Geplant ist, zunächst durch ein neues Gesetz alles existierende EU-Recht im britischen Recht zu behalten. Dann soll sukzessive geprüft werden, was davon endgültig behalten werden soll und was nicht. Keine leichte Sache.

Probleme gibt es auf zwei Ebenen: Erstens, was macht Großbritannien, wenn es in Zukunft Änderungen bei diesen Vorschriften gibt? Zweitens: Wenn die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs hier nicht mehr anerkannt ist, wie glaubwürdig sind wir dann für den Rest der EU als Partner? Das kann wiederum Folgen für die Arbeit rund um E-Health und Patientendaten haben. Wichtig ist, die Datensicherheit im Blickfeld zu haben – egal, ob online oder in anderen Formaten –, falls wir nicht mehr direkt Teil des Systems sind.

Probleme in der Grenzregion?

Welche Probleme kommen auf Grenzregionen, etwa zwischen Nordirland und der Republik Irland, bei der Versorgung zu?

Nordirland ist in einer sehr spezifischen Situation. Dort gibt es eine offene Grenze ohne jegliche Barrieren. Menschen, die im Gesundheitswesen des einen Landes arbeiten, wohnen im anderen. Manche Notfalldienste teilen sich die Arbeit und den Einsatz in beiden Teilen. Eine geschlossene Grenze kann bei dieser engen Zusammenarbeit von niemandem gewollt sein. Doch wenn man die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern abschaffen will, ist es schwierig, sich vorzustellen, wie man die Grenze kontrollieren möchte, ohne tatsächlich Grenzposten aufzustellen. Das Thema Nordirland und Republik Irland steht weit oben auf der Tagesordnung für die Austrittsverhandlungen.

Wie soll es mit der Ausbildung von Ärzten und Zahnärzten weitergehen – wird es künftig mehr Studienplätze im Land geben?

Studienplätze für Zahnärzte sind in den vergangenen Jahren im Gegenteil reduziert worden – um circa fünf bis zehn Prozent. Das Gesundheitsministerium hat zwar angekündigt, dass es in Zukunft 1.500 Ärzte pro Jahr mehr ausbilden möchte, aber es hat keinerlei ähnliche Ankündigungen für die anderen Gesundheitsberufe gegeben. Und die Ankündigung für Medizinstudienplätze hat auch Kritik hervorgerufen, denn diese neuen Kapazitäten werden nicht helfen, das Problem der schon vorhandenen unbesetzten Arbeitsplätze zu lösen. Die momentane Ärztegeneration geht nach und nach in den Ruhestand. Gleichzeitig wird für die Zeit nach dem Brexit erwartet, dass sich das Problem der Verfügbarkeit von qualifizierten Ärzten verstärken wird. Außerdem plant die Regierung, Ärzte in Zukunft für vier bis fünf Jahre in den NHS einzubinden, bevor sie ihre eigenen weiteren Karriereentscheidungen treffen können.

Und zudem gibt es schon seit Längerem einen Mangel an Hochschullehrern in den zahnmedizinischen Instituten. Selbst wenn für Zahnärzte mehr Studienplätze angeboten werden, müsste man sich ja auch um mehr Lehr-und Fachpersonal kümmern, um den klinischen Unterricht anzubieten – und in der Zukunft wird man die wohl nicht mehr ganz so leicht aus dem europäischen Ausland rekrutieren können.

Gleichzeitig hat die Organisation, die sich um Personalplanung im NHS kümmern soll (Health Education England), gerade selbst Probleme mit Umstrukturierung und Gelderkürzungen. Parallel dazu scheint die Regierung zu planen, mehr Ausbildungsplätze für zahnmedizinische Hilfsberufe anzubieten, aber diese Pläne sind auch nicht konkret durchdacht – oder kalkuliert. Im Großen und Ganzen würde ich sagen: Wer weiß, ...

Hinzu kommt, dass jedes Jahr eine bestimmte Anzahl von Briten ihr Studium in EU-Ländern abschließen und zurückkommen. Ob es weiterhin Zugang zu – und Anerkennung von – diesen Studiengängen gibt, muss man sehen.

Anerkennung von Berufsabschlüssen

Was sollte bei der Anerkennung von Berufsabschlüssen aus dem EU-Ausland nach dem Brexit beachtet werden?

Wir vermuten, dass – für die nahe Zukunft – von der Politik beabsichtigt ist, die Prinzipien der EU-Qualifikationsrichtlinie und der automatischen Anerkennung von Berufsabschlüssen aufrechtzuerhalten. Allerdings könnte das Vereinigte Königreich auf mittlere bis lange Sicht die Entscheidung treffen, Zahnärzte aus der EU den Registrations- tests des GDC zu unterziehen – das sind dieselben Tests, die Zahnärzte von außerhalb der EU bestehen müssen, bevor sie bei uns praktizieren können. Das wiederum hat Auswirkungen auf die Kapazitäten bei der Durchführung dieser Tests. Auch hier müssen wir abwarten, wie sich die Dinge entwickeln.

Wäre es eine Lösung, verstärkt Ärzte und Zahnärzte aus dem Commonwealth anzuwerben?

Natürlich hat das Vereinigte Königreich viele Kontakte mit Commonwealth-Ländern, und viele Zahnärzte aus diesen Ländern arbeiten hier. Allerdings gibt es keine automatische Anerkennung der Qualifikationen und im Moment gibt es auch keinen Plan, diese einzuführen.

Das könnte sich natürlich längerfristig ändern, wenn das gewünscht wird. Dies würde aber einen langen Prozess nach sich ziehen. Der GDC müsste die Universitäten in anderen Ländern einer Qualitätskontrolle unterziehen. Das ist schwierig und teuer. Im Moment müssen Zahnärzte aus dem Commonwealth die Registrationstests des GDC bestehen, oft benötigen sie außerdem eine Arbeitserlaubnis. Diese ist zwar nicht immer leicht zu bekommen, aber sollte es nach dem Brexit zu einem ernsthaften Mangel an Zahnärzten kommen, könnte dieser Prozess vereinfacht werden, wenn dies politisch gewollt ist.

Was ist der GDC?

Der General Dental Council (GDC) ist eine von der Regierung und dem NHS unabhängige Behörde. Er führt das Zahnarztregister von Großbritannien. Alle Zahnärzte und die zahnärztlichen Praxisangestellten, die in Großbritannien tätig sein wollen (Einheimische wie EU-Ausländer), müssen dort aufgenommen werden. Zahnärzte aus dem außereuropäischen Ausland können temporär zur Fortbildung aufgenommen werden, müssen allerdings weitere Prüfungen ablegen, um eine volle Registrierung zu erhalten. Der GDC setzt unter anderem Standards für die Berufsausübung und kann Zahnärzten bei professionellem Fehlverhalten die Registrierung einschränken oder entziehen.

Hierzu will ich noch anmerken, dass in vielen Entwicklungsländern, die zum Commonwealth gehören, bereits ein Mangel an Zahnärzten herrscht. Es wäre unethisch, aktiv Personal aus Ländern anzuwerben, die ihre Zahnärzte ausgebildet haben, um vor Ort Patienten zu betreuen. Unser Gesundheitsministerium hält sich an einen  Ethischen Code zur internationalen Personalanwerbung. Dieser besagt, dass es kein aktives Anwerben von Gesundheitspersonal aus Entwicklungsländern geben soll.

Welche positiven Auswirkungen sehen Sie für den Berufsstand?

Es mag vielleicht ein paar potenzielle positive Auswirkungen geben, wenn man als Land seine eigenen Standards für Ausbildung und Registrierung setzen kann. Zum Beispiel hat es bei uns durchaus manchmal Besorgnis über die automatische Registrierung von Qualifikationen gegeben – wenn diese nämlich in Ländern erworben wurden, die die EU-Berufsqualifikationsrichtlinie noch nicht so schnell wie erwartet in die Praxis umgesetzt hatten.

Großbritannien mag vielleicht auf längere Sicht hin auch flexibler werden können in der Art und Weise, wie es seine zahnmedizinische Ausbildung gestaltet. Außerdem gibt uns als BDA ein Mangel an Zahnärzten eine etwas stärkere Verhandlungsposition gegenüber der Regierung, wenn es um NHS-Gelder und Verträge geht.

Doch wir werden sehen, ob diese möglichen positiven Aspekte nicht von den negativen Folgen überschattet werden.

Melden Sie sich hier zum zm-Newsletter des Magazins an

Die aktuellen Nachrichten direkt in Ihren Posteingang

zm Heft-Newsletter


Sie interessieren sich für einen unserer anderen Newsletter?
Hier geht zu den Anmeldungen zm Online-Newsletter und zm starter-Newsletter.