Videoüberwachung
Berichte über Straftaten in Zahnarztpraxen häufen sich. Dabei geht es sowohl um Diebstahl als auch um Gewaltdelikte. Immer mehr Praxisinhaber denken daher darüber nach, in ihren Praxen eine Videoüberwachung einzuführen. Davon versprechen sie sich einmal einen gewissen Abschreckungseffekt, zum anderen hoffen sie darauf, dass Täter leichter gefunden werden können, weil bessere Beweismittel zur Verfügung stehen.
Allerdings sind auch die Interessen derjenigen zu beachten, die von den Kameras erfasst werden. Niemand möchte ständig überwacht oder gar gefilmt werden. Dies gilt ganz besonders in Arzt- und Zahnarztpraxen. Schließlich können dadurch Rückschlüsse auf den Gesundheitszustand gezogen werden. Nicht ohne Grund gilt für Ärzte eine weitgehende strafbewehrte Schweigepflicht!
Der Fall: Unbeaufsichtigter Empfangsbereich
In dem vom Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (OVG) entschiedenen Fall (AZ: OVG 12 B 7.16) geht es um eine Zahnärztin, die ihre Praxis per Videokameras überwachen ließ. Die Praxis befindet sich in einem Gesundheitszentrum, zu dem auch eine Tagesklinik für Psychiatrie gehört. Die Praxis ist frei zugänglich, das heißt die Patienten müssen nicht erst klingeln, damit ihnen geöffnet wird, meist ist im Empfangsbereich kein Personal zugegen. In der Praxis arbeiten ausschließlich weibliche Angestellte. Zum Schutz hatte die Zahnärztin drei Kameras installiert: eine für den Empfangsbereich, die zwei anderen für je ein Behandlungszimmer. Ein weiteres Behandlungszimmer wurde nicht überwacht. An der Eingangstür und an den Türen zu den überwachten Behandlungszimmern wies die Zahnärztin mit Schildern mit der Aufschrift „Videogesichert“ auf die Kameras hin.
Datenschützer untersagen Überwachung
Zum Rechtsstreit kam es, weil die zuständige Datenschutzaufsichtsbehörde nach einer anonymen Beschwerde gegen die Zahnärztin eine Anordnung erlassen hatte. Danach sollte sie die Kameras in den Behandlungszimmern während der „faktischen Besuchszeiten“ abschalten und die Kamera im Empfangsbereich nur auf den Bereich hinter dem Empfangstresen ausrichten. Außerdem sollten während der „faktischen Behandlungszeiten“ die Hinweisschilder abgedeckt werden. Dagegen rief die Zahnärztin das Verwaltungsgericht Potsdam an.
Der Rechtsstreit ging – bisher – über zwei Instanzen. Das OVG Berlin-Brandenburg hob alle diese Punkte auf – bis auf einen: Die Zahnärztin bleibt verpflichtet, während der „faktischen Besuchszeiten“ die Kamera im Empfangsbereich ausschließlich auf den Bereich hinter dem Empfangstresen zu richten. Hingegen dürfen die Kameras in den Behandlungszimmern sowie die Hinweisschilder bleiben.
Das Urteil: Der Empfang ist ein öffentlicher Raum
Das OVG stützte seine Entscheidung maßgeblich auf § 6b Bundesdatenschutzgesetz (BDSG). Danach ist eine Videoüberwachung von öffentlich zugänglichen Räumen nur zulässig, wenn dies „zur Wahrnehmung berechtigter Interessen für konkret festgelegte Zwecke erforderlich ist und keine Anhaltspunkte bestehen, dass schutzwürdige Interessen der Betroffenen überwiegen“.
Das OVG hält den Empfangsbereich der Zahnarztpraxis für einen öffentlich zugänglichen Raum, „da er während der Sprech- und Öffnungszeiten dazu bestimmt ist, von der Allgemeinheit betreten zu werden“. Das heißt, selbst wenn die Eingangstür nur auf Klingelzeichen geöffnet wird, handelt es sich nach Auffassung des OVG um einen öffentlich zugänglichen Raum.
Außerdem seien Schilder, die auf Kameras verweisen, nicht ausreichend: Eine Einwilligung der Patienten in die Videoüberwachung ist nicht gegeben, weil diese den Empfangsbereich in Kenntnis der Videoüberwachung betreten haben, urteilten die Richter.
Damit kam es entscheidend auf eine Abwägung der Interessen der Beteiligten an. Auf der einen Seite steht das Interesse der Zahnärztin an Schutz gegenüber kriminellen Übergriffen gegen ihr Eigentum oder ihre Person und ihre Mitarbeiter. Auf der anderen Seite steht das Interesse der Patienten am Schutz ihrer Persönlichkeitsrechte, zumal in einer Arztpraxis.
Was die Kamera im Empfangsbereich betrifft, kam das Gericht zu dem Ergebnis, dass deren Erfassungsbereich zu beschränken ist, weil die Zahnärztin die von ihr angestrebten Ziele auch so erreichen könne: Zum einen indem sie die Eingangstür nur nach Klingeln öffnet und zusätzlich dafür sorgt, dass immer mindestens ein Mitarbeiter im Empfangsbereich ist. Zum anderen indem sie alle wertvollen oder aus anderen Gründen zu schützenden Gegenstände hinter den Anmeldetresen stellt, dessen Videoüberwachung ja erlaubt ist. Die Patienten könnten schließlich ihre Wertsachen mit ins Behandlungszimmer nehmen. In die Abwägung hat das Gericht auch einbezogen, dass es bisher in dem Gesundheitszentrum, in dem sich die Zahnarztpraxis befindet, nicht vermehrt zu Straftaten gekommen ist.
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Erlebnisbericht: Ein Zahnarzt erzählt, warum er jetzt seine Praxis überwachen lässt
Wurden Sie schon einmal mit aggressivem Verhalten von Ihren Patienten konfrontiert? zm-online hat im Mai dieses Jahres nachgefragt. Hintergrund ist eine bundesweite Studieaus der hervorgeht, dass 73 Prozent von 831 Hausärzten innerhalb eines Jahres Aggressionen in der Praxis erlebten. Trifft das auch für Zahnärzte zu, fragte die Redaktion. Mit diesem „Erlebnisbericht“ haben wir nicht gerechnet.
Interview: Das sagt der Datenschützer
Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg hat entschieden: Videoüberwachungin Behandlungszimmern ist erlaubt, da es sich hierbei nicht um einen öffentlichen Raum handelt. Für Dr. Thomas H. Lenhard, Datenschutzbeauftragter der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK), „absolut nicht nachvollziehbar“.
Die Behandlung darf weiter gefilmt werden
Die Kameras in den Behandlungszimmern sowie die Hinweisschilder dürfen dagegen bleiben, urteilte das OVG. Das Behandlungszimmer sei kein öffentlich zugänglicher Raum, da es ja üblicherweise erst vom Patienten betreten wird, wenn er dazu aufgefordert wurde.
Letztlich sahen die Richter hier einen Ermessensfehler, der das ausgesprochene Verbot der Datenschutzaufsichtsbehörde rechtswidrig macht. Die Behörde hatte auch betreffend der Behandlungszimmer eine Interessenabwägung gemäß § 6b BDSG durchgeführt. Dies sei aber laut OVG, da es sich eben bei den Behandlungszimmern um keinen öffentlich zugänglichen Raum handelt, nicht einschlägig.
Schließlich hatten auch die Verbote bezüglich der Hinweisschilder vor dem OVG keinen Bestand. Zwar könne von diesen Schildern ein gewisser psychischer Druck auf diejenigen ausgeübt werden, die sie lesen. Am Ende würden sie sich beobachtet fühlen. Jedoch schütze das Datenschutzrecht nicht vor solchen Zwangswirkungen, sondern vor der Datenerhebung.
Das OVG hat die Revision zugelassen, also die rechtliche Überprüfung durch das Bundesverwaltungsgericht. Denkbar ist auch, dass hierzu noch das Bundesverfassungsgericht, das höchste deutsche Gericht, angerufen wird. Deshalb kann man nicht von einer abschließenden Klärung der Rechtslage sprechen. Mehrere Fragen sind im Übrigen offen geblieben:
Wie ist die Rechtslage, wenn die Praxistür verschlossen ist? Ist dann der Eingangsbereich immer noch ein öffentlich zugänglicher Raum?
Wie ändert sich das Ergebnis der Interessenabwägung, wenn es wiederholt zu kriminellen Übergriffen gekommen ist?
Kann noch von einer Einwilligung in die Videoüberwachung im Behandlungszimmer gesprochen werden, wenn diese in allen Behandlungszimmern erfolgt, also kein Ausweichen möglich ist?
Fazit
Damit Sie, lieber Leser, nun aber nicht mit zu vielen Fragezeichen im Kopf diesen Artikel zu Ende lesen, hier das Wichtigste in Kürze:
Eine Videoüberwachung in einer Arztpraxis ist ein besonders schwerer Eingriff in die Persönlichkeitsrechte.
Der Eingriff kann rechtmäßig sein, wenn kein milderes Mittel verfügbar ist (z. B. Überwachung durch Personal).
Je besser eine konkrete Gefährdung belegt werden kann, desto eher ist eine Videoüberwachung zulässig.
Dr. med. dent. Wieland Schinnenburg,
Fachanwalt für Medizinrecht