Arztpraxis oder Wirtschaftsbetrieb?
Seit Norbert Blüms Zeiten hat die Politik nach Wegen gesucht, die Kosten im Gesundheitswesen zu senken. Nach diversen Kostendämpfungsgesetzen wurden dann die „Wirtschaftlichkeitsreserven“ entdeckt, die es zu heben galt. Vor 25 Jahren wurden so die Budgetierung und die Degression eingeführt. Die (Zahn-)Ärzte müssen seither für begrenzte Honorare unbegrenzt die Versorgung sicherstellen. Und sollten sie dabei über ein bestimmtes Punktelimit hinauskommen, werden ihnen davon, zugunsten der Krankenkassen, einige Prozent abgezogen.
Das alles aber reichte noch immer nicht. Und da besannen sich die Politiker auf ein Prinzip aus der industriellen Produktion: Die Erhöhung der Stückzahlen senkt den Stückpreis. Wenn man also Gesundheitsdienstleistungen innerhalb größerer Behandlungsstätten in größerer Anzahl „produziert“, muss das die Preise senken. Dem stand natürlich die restriktive Zulassungsordnung entgegen. Der freiberuflich tätige (Zahn-)Arzt erbringt seine Leistungen eigenverantwortlich und selbst. Will sagen: persönlich! Er ist ja auch verantwortlich dafür. Das hat über lange Zeiten gut funktioniert, vor allem, weil so ein vertrauensvolles Verhältnis zwischen Arzt und Patient entsteht. Und, wie man heute weiß, ist das Vertrauen in den Arzt sehr wertvoll, denn die Überzeugung, dass einem geholfen wird, ist schon die halbe Heilung.
So aber lassen sich die gewünschten Großstrukturen nicht aufbauen. Also wurde das Vertragsarztrecht reformiert. Aus Gemeinschaftspraxen wurden Berufsausübungsgemeinschaften, die man nun auch regional übergreifend organisieren durfte. Zweigpraxen wurden eingeführt, und die Möglichkeit, dass (Zahn-)Ärzte als Angestellte arbeiten. Und dann natürlich die Medizinischen Versorgungszentren. Zunächst waren sie noch als Zentren ausgelegt, die verschiedene Fach- und Hausärzte an einem zentralen Ort konzentrieren, um so in unterversorgten ländlichen Gebieten eine breit gefächerte Versorgung sicherzustellen. Tatsächlich bildeten sich daraus die Großstrukturen, die nun die lukrativen städtischen Ballungsräume beweiden.
Die geforderte Verzahnung zwischen ambulanter und stationärer Therapie und Nachsorge führte dazu, dass auch Kliniken die Möglichkeit eingeräumt wurde, MVZ zu gründen. Eine Freude für die privaten Klinikkonzerne, denn der Bettenmarkt ist begrenzt. So haben sie zu weiterem Wachstum eine Ausweichmöglichkeit in die ambulante Behandlung. Und seit es die Möglichkeit gibt, rein zahnärztliche MVZ zu gründen, wird diese Hintertür von Kapitalgesellschaften genutzt. Eigentlich muss ein rein zahnärztliches MVZ von einem Zahnarzt geführt sein. Aber wenn die Kapitalgesellschaft eine Klinik kauft, kann sie MVZ gründen, so viel sie will.
Was hat das nun mit Werbung im Internet und Bewertungsportalen zu tun? Ganz einfach. In einem Betrieb, der keine Praxis mehr ist und in dem der Patient nicht mehr Vertrauen zu „seinem“ Zahnarzt fassen kann, weil er je nach Schichtdienst und Personalfluktuation immer mal wieder von einer/m anderen Zahnärztin/arzt behandelt wird, muss die Patientenbindung anders geschaffen werden. Über Werbung, fesche Kliniknamen und natürlich tolle Ratings. Werbefirmen, Zahnarztberater, selbsternannte Marketingexperten gießen kräftig Öl ins Feuer und suggerieren jedem noch vorzugsweise mit seinen Patienten beschäftigten Kollegen, er müsse jetzt kräftig in Imagebildung und Praxismarketing investieren. Modern sein und mithalten oder untergehen.
In dieses Bild passt, dass kommerzielle Arztbewertungsportale auf den Plan treten, die sich für bevorzugte Präsentationen und gute Platzierungen bezahlen lassen. Daneben blüht die Sekundärwirtschaft aus Dienstleistern rund um das neue Medium: Agenturen, die gegen entsprechendes Entgelt gute Bewertungen in den Portalen feilbieten und spezialisierte Kanzleien, die die Entfernung kritischer Bewertungen von Patienten anbieten – natürlich ebenfalls gegen Gebühr.
Gut für den Patienten ist das alles nicht. Und für die Zahnärzte auch nicht. Nicht einmal für Krankenkassen und Politik. Nur das marodierende Kapital, das weltweit nach Rendite sucht, ist hoch erfreut.
Es gibt sicher genügend gute Gründe, nun nach rechtlichen Regulierungen zu rufen. Nicht ohne Grund gab es einst strenge Reglementierungen für das werbliche Auftreten des (Zahn-)Arztes in der Öffentlichkeit. Möglicherweise ist man in der Liberalisierung dieser Regelungen etwas zu weit gegangen. Aber auch wir Zahnärzte sollten mehr Selbstvertrauen haben. Wir behandeln unsere Patienten nach hohen wissenschaftlichen Standards und mit großer Sorgfalt. Dass unsere Patienten uns deswegen vertrauen, belegt bis jetzt noch jede Umfrage. Unser guter Ruf bei unseren Patienten ist noch immer die beste Werbung.