„Fluoridlack im Milchgebiss kann Karies verhindern“
Es dürfte nun ein Aufatmen durch die Reihen derjenigen gehen, die sich in den vergangenen Jahren für Maßnahmen gegen die hohe Prävalenz der frühkindlichen Karies engagiert haben. Die Applikation von Fluoridlack gilt in Fachkreisen als eine der wirksamsten Maßnahmen der Kariesprävention und ist wissenschaftlich gut belegt. Dennoch brauchte es gut drei Jahre, bis der Nutzen dieser Maßnahme nun auch vom IQWiG bestätigt werden konnte.
Das IQWiG brauchte gut 3 Jahre, um den Nutzen zu bestätigen
Wir erinnern uns: Im März 2015 stellte die KZBV vor dem Hintergrund der hohen Prävalenz frühkindlicher Karies beim G-BA einen „Antrag auf Bewertung zusätzlicher Früherkennungsuntersuchungen für Kinder auf Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten“. Eine der vorgeschlagenen Maßnahmen war die Behandlung der U3-Jährigen mit Fluoridlack.
Dabei sollte nicht das ganze Gebiss flächendeckend behandelt werden, sondern nur initiale Kariesläsionen. In der Folge beauftragte der G-BA das IQWiG mit der Bewertung der „isoliert applizierte[n] Fluoridlacke bei initialer Kariesläsion des Milchzahns“.
Die eng gefasste Fragestellung führte dann dazu, dass das IQWiG in seinem Vorbericht vom Oktober 2016 nahezu die gesamte vorliegende Evidenz zur Wirksamkeit der Fluoridlacke aus der Nutzenbewertung ausschloss. „In die Nutzenbewertung konnte keine Studie als relevant für die Fragestellung eingeschlossen werden. [...] Auch Studien, die den therapeutischen Effekt von Fluoridlacken auf initiale Kariesläsionen bei bleibenden Zähnen untersucht haben, wurden aufgrund der beauftragten Fragestellung nicht für die Auswertung berücksichtigt, obwohl der Wirkmechanismus für beide Dentitionen möglicherweise ähnlich ist.“ (1)
Experten waren konsterniert. Niemand hatte ernsthaft damit gerechnet, dass die lang bekannte und mit RCT-Studien gut belegte Wirkung von Fluoridlacken überhaupt infrage gestellt werden könnte. Genau das war aber eingetreten.
Die Kernaussage des IQWiG-Schnellberichts im Wortlaut
„Fragestellung: Ziel der vorliegenden Untersuchung ist die Bewertung des Nutzens der Applikation von Fluoridlack im Milchgebiss im Vergleich zur üblichen Versorgung ohne spezifische Fluoridierungsmaßnahmen jeweils bei Kindern mit und ohne (initial-)kariöse Läsionen hinsichtlich patientenrelevanter Endpunkte.
Fazit: Für den Endpunkt Karies ergab sich für Kinder mit und ohne (initial-)kariöse Läsionen im Milchgebiss ein Hinweis auf einen höheren Nutzen für die Applikation von Fluoridlack im Vergleich zur üblichen Versorgung ohne spezifische Fluoridierungsmaßnahmen. Für die weiteren patientenrelevanten Endpunkte (insbesondere vorzeitiger Zahnverlust, Zahnschmerzen und [schwerwiegende] unerwünschte Ereignisse) konnte kein Anhaltspunkt für einen höheren Nutzen oder höheren Schaden abgeleitet werden. Zudem konnte keine relevante Effektmodifikation insbesondere der potenziellen Faktoren Alter und Geschlecht, Mundgesundheit, Applikationsfrequenz und Konzentration des Fluoridlacks, ggf. zusätzlich angebotene Präventivmaßnahmen und sozioökonomisches Setting abgeleitet werden.“
Dem Vorbericht folgten sehr intensive Konflikte und Diskussionen zwischen den verschiedenen Akteuren aus Wissenschaft, Zahnmedizin und Gesundheitspolitik. Um die festgefahrene Situation aufzulösen sah sich der G-BA im August 2017 schließlich veranlasst, einen neuen Bericht mit geänderter Fragestellung beim IQWiG in Auftrag zu geben. Nun ging es um „die Bewertung des Nutzens der Applikation von Fluoridlack im Milchgebiss im Vergleich zur üblichen Versorgung ohne spezifische Fluoridierungsmaßnahmen“. (2)
Die Fragestellung war damit sehr breit gefasst und hob nicht nur auf die therapeutischen Effekte, sondern vor allem auch auf die präventive Wirkung von Fluoridlacken ab. Dieser zweite Bericht ist nun unter dem Titel „Fluoridlackapplikation im Milchgebiss zur Verhinderung von Karies“ am 26. April 2018 veröffentlicht worden.
Wie geht es weiter?
Nach dem positiven Statement des IQWiG dürfte nun die spannende Frage sein, in welcher Form die Fluoridlackapplikation im Milchgebiss künftig Bestandteil des Leistungskatalogs der GKV werden wird.
Aufgrund der Erkenntnisse über die Konzentration der Karies auf im wesentlichen bekannte Risikogruppen und der Erfahrungen mit Projekten der Intensivprophylaxe liegt es nahe, die Fluoridlackapplikation vor allem in diesen Zielgruppen anzubieten. Dazu passt, dass viele Studien, die die Wirksamkeit der Fluoridlacke belegen konnten, mit einem hohen Anteil von Kariesrisikokindern durchgeführt wurden. Hier dürfte also ein erhebliches Potenzial zur Kariesreduktion liegen.
Andererseits könnte bei einer Regelung, die Kinder außerhalb der Problemgruppen von den Vorsorgemaßnahmen ausschließt, die Frage nach der Gleichbehandlung auftauchen. Das wäre beispielsweise dann der Fall, wenn man die Vorsorge mit Fluoridlackapplikationen nur auf Schulen und Kitas in „Problemvierteln“ begrenzen würde. Trotz Kariespolarisation hat die Erkrankung weit mehr Risikofaktoren als die Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe. Alles in allem wird es keine leichte Aufgabe werden, hier eine für alle Akteure sinnvolle und tragbare Lösung zu finden.
Ein Kommentar von Benn Roolf
(1) IQWiG-Vorbericht „Isoliert applizierte Fluoridlacke bei initialer Kariesläsion des Milchzahne“, Stand 13.10.2016, S. 27-28
(2) IQWiG-Berichte – Nr. 613, „Fluoridlackapplikation im Milchgebiss zur Verhinderung von Karies“