Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Der NC für Medizin ist teilweise verfassungswidrig

ck/pm
Die bundes- und landesgesetzlichen Vorschriften zur Studienplatzvergabe im Fach Medizin sind teilweise mit dem Grundgesetz unvereinbar, urteilte heute das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.

Grundsätzlich, urteilten die obersten Richter, sei die Vergabe nach Abiturbestnoten, Wartezeit und der eigenen Auswahl durch die Universitäten mit dem Grundgesetz  vereinbar.

Allerdings nur unter diesen Voraussetzungen:

  1. Die Wartesemester müssen begrenzt werden.

  2. Die Abiturnote darf nicht das einzige Kriterium sein.

  3. Die Abiturnote muss zugleich über Ländergrenzen hinweg vergleichbar sein.

  4. Es ist nicht verfassungsgemäß, dass der gewünschte Studienort bei der Vergabe höher bewertet wird als die Eignung selbst, so dass eigentlich erfolgreiche Bewerber am Ende ohne Studienplatz dastehen.


So begründet Karlsruhe das Urteil

So begründet Karlsruhe das Urteil

Die Entscheidung

Den obersten Richtern zufolge verletzen die Rahmenvorschriften und gesetzlichen Regelungen der Länder über die Studienplatzvergabe den grundrechtlichen Anspruch der Bewerber auf gleiche Teilhabe am staatlichen Studienangebot.

Der Sachverhalt

Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen hatte die Frage, ob die für die Studienplatzvergabe für das Fach Humanmedizin im Hochschulrahmengesetz (HRG) und in den Vorschriften der Länder vorgesehenen Regelungen mit dem Grundgesetz vereinbar sind, dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorgelegt.

Zum Urteil

Die bundes- und landesgesetzlichen Vorschriften zur Studienplatzvergabe im Fach Humanmedizin sind mit dem Grundgesetz (Art. 12 Abs. 1 Satz 1 mit Art. 3 Abs. 1 GG) teilweise unvereinbar. Denn:

  1. Das Abstellen auf die Durchschnittsnote der Hochschulzugangsberechtigung für einen Anteil von 20 % der in den Hauptquoten zu vergebenden Studienplätze (Abiturbestenquote) ist wie die Abiturnote als Eignungskriterium verfassungsrechtlich unbedenklich. Die vorrangige Berücksichtigung von obligatorisch anzugebenden Ortswünschen ist mit der Chancengleichheit jedoch nicht vereinbar. Denn das Kriterium der Abiturdurchschnittsnote wird damit als Maßstab für die Eignung vom Rang des Ortswunsches überlagert und entwertet. Die Chancen der Abiturienten auf einen Studienplatz hängen danach in erster Linie davon ab, welchen Ortswunsch sie angegeben haben und nur in zweiter Linie von ihrer Eignung für das Studium. Ortswunschangaben dürfen grundsätzlich nur als Sekundärkriterium herangezogen werden. Entsprechend ist auch die Begrenzung des Zulassungsantrags auf sechs Studienorte in der Abiturbestenquote verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.

  2. Für weitere 60 % gilt ein Auswahlverfahren der Hochschulen. Auch dieses Verfahren genügt in verschiedener Hinsicht nicht den Anforderungen des Rechts auf gleiche Teilhabe an den staatlichen Studienangeboten. Nicht vereinbar ist etwa, dass den Hochschulen im bayerischen und im hamburgischen Landesrecht die Möglichkeit gegeben ist, eigenständig weitere Auswahlkriterien festzulegen, die sich nicht im gesetzlichen Kriterienkatalog finden. Ein eigenes Kriterienerfindungsrecht der Hochschulen ist verfassungsrechtlich grundsätzlich unzulässig. Der Gesetzgeber muss zudem sicherstellen, dass die Hochschulen, sofern sie eigene Eignungsprüfungsverfahren durchführen oder Berufsausbildungen oder -tätigkeiten berücksichtigen, dies in standardisierter und strukturierter Weise tun. Er muss dabei auch festlegen, dass in den hochschuleigenen Studierfähigkeitstests und Auswahlgesprächen nur die Eignung der Bewerber geprüft wird.

  3. Die Hochschulen können auch auf die Abiturdurchschnittsnote als Auswahlkriterium zurückgreifen. Anders als bei der Abiturbestenquote wird dabei auf Mechanismen verzichtet, die die nicht gegebene länderübergreifende Vergleichbarkeit der Abiturdurchschnittsnoten ausgleichen. Das führt zu einer gewichtigen Ungleichbehandlung. Es nimmt in Kauf, dass eine große Zahl von Bewerbern abhängig davon, in welchem Land sie ihr Abitur gemacht haben, benachteiligt sind.

  4. Verfassungswidrig ist schließlich, dass der Gesetzgeber für die Auswahl der Bewerber im Auswahlverfahren der Hochschulen keine hinreichend breit angelegten Eignungskriterien vorgibt. Der Gesetzgeber muss die Hochschulen dazu verpflichten, die Studienplätze nicht allein und auch nicht ganz überwiegend nach dem Kriterium der Abiturnoten zu vergeben, sondern zumindest ergänzend ein nicht schulnotenbasiertes, anderes eignungsrelevantes Kriterium einzubeziehen. Diesen Anforderungen genügt die derzeitige Rechtslage nicht.

  5. Schließlich sieht der Gesetzgeber für einen Anteil von 20 % der Studienplätze die Vergabe nach Wartezeit vor (Wartezeitquote). Die jetzige Quote ist noch verfassungsgemäß, darf aber nicht höher als 20% sein. Verfassungswidrig ist, dass die Wartezeit in ihrer Dauer nicht angemessen begrenzt ist, weil ein zu langes Warten die Erfolgschancen im Studium und damit die Möglichkeit zur Verwirklichung der Berufswahl beeinträchtigt. Sieht der Gesetzgeber also zu einem kleineren Teil auch eine Studierendenauswahl nach Wartezeit vor, muss er die Wartedauer begrenzen.


Die Länder müssen bis zum 31. Dezember 2019 eine Neuregelung treffen, soweit der Bund bis dahin keine Lösung vorgelegt hat.


Kommentar

Kommentar von KBV-Chef Dr. Andreas Gassen

„Ich begrüße das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Es berücksichtigt, dass es neben einer guten Note – die weiterhin wichtig bleiben wird – auch weitere und andere Faktoren gibt, die zeigen, ob ein Studienplatzbewerber auch ein guter Arzt sein könnte. Bund und Länder sind nun aufgefordert, bis Ende 2019 einen entsprechenden Rahmen zu schaffen. Die entsprechenden Faktoren müssen aufgenommen, Maßnahmen wie Bewerbergespräche verbindlich geregelt werden. Das macht das Auswahlverfahren natürlich aufwendiger – hier müssen die Länder den Hochschulen dann auch die notwendigen Ressourcen einräumen.“

Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. Andreas Gassen, zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts.

Kommentar von Ärztepräsident Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery

„Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist genau das richtige Signal zur richtigen Zeit. Dass Karlsruhe Änderungen bei der Studienplatzvergabe anmahnt, ist nicht nur eine gute Nachricht für viele hochmotivierte junge Menschen, denen der Zugang zum Arztberuf bislang de facto versperrt ist. Das Urteil ist auch eine deutliche Aufforderung an Bund und Länder, bei der schleppenden Umsetzung der Reform des Medizinstudiums endlich Tempo zu machen. Das Urteil beinhaltet aber auch eine heftige Ohrfeige für eine kleinstaatliche Bildungspolitik, die es nicht schafft, das Abitur bundesweit chancengleich und chancengerecht zu gewährleisten. Auch die Bildungspolitik muss hier nachbessern“, betonte Montgomery.

„Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist genau das richtige Signal zur richtigen Zeit. Dass Karlsruhe Änderungen bei der Studienplatzvergabe anmahnt, ist nicht nur eine gute Nachricht für viele hochmotivierte junge Menschen, denen der Zugang zum Arztberuf bislang de facto versperrt ist. Das Urteil ist auch eine deutliche Aufforderung an Bund und Länder, bei der schleppenden Umsetzung der Reform des Medizinstudiums endlich Tempo zu machen. Das Urteil beinhaltet aber auch eine heftige Ohrfeige für eine kleinstaatliche Bildungspolitik, die es nicht schafft, das Abitur bundesweit chancengleich und chancengerecht zu gewährleisten. Auch die Bildungspolitik muss hier nachbessern“, betonte Montgomery.

"Nun kommt es darauf an, dass die Länder endlich tätig werden und mehr Studienplätze schaffen. Notwendig ist eine Erhöhung der Zahl der Studienplätze um mindestens zehn Prozent. Denn dass die Wartezeiten mittlerweile länger sind als das Studium selbst, kommt nicht von ungefähr. Noch im Jahr 1990 gab es allein in den alten Bundesländern 12.000 Studienplätze in der Humanmedizin. Nach der Wiedervereinigung hätte die Zahl durch die zusätzlichen Fakultäten in den neuen Bundesländern sogar auf 16.000 Plätze steigen müssen, sie ist aber kontinuierlich geschrumpft. Mittlerweile stehen den 45.000 Bewerbern gerade einmal 9.000 Studienplätze zur Verfügung - und das, obwohl Ärztinnen und Ärzte in Klinik und Praxis händeringend gesucht werden. Auch in diesem Bereich sollte die Politik das Karlsruher Urteil als klaren Auftrag verstehen, ihrer Verantwortung für die ärztliche Nachwuchsförderung gerecht zu werden“, so Montgomery.

Der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery, zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts.


Medizinstudenten: „Ortspräferenzen haben als Zulassungskriterium ausgedient!“

„Die Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland (bvmd) begrüßt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, nach dem Teile des aktuellen Zulassungsverfahrens für verfassungswidrig erklärt wurden, ausdrücklich“, heißt es in einer Pressemitteilung des bvmd." Insbesondere begrüßen wir:

  1. Die weitestgehende Abschaffung von Ortspräferenzen als Selektionskriterium, um am hochschuleigenen Auswahlverfahren (AdH) teilnehmen zu dürfen.

  2. Die Aufhebung der Beschränkung auf 6 Ortsangaben in der Abiturbestenquote.

  3. Die verpflichtende Anwendung von Ausgleichsmechanismen für die nach Bundesland erheblich variierenden Abiturdurchschnitssnoten auch in der Abiturbestenquote.

  4. Die Verpflichtung im AdH weitere Kriterien neben der Abiturdurchschnittsnote berücksichtigen zu müssen.

  5. Die eindrückliche Vorgabe bei sämtlichen Eignungsprüfungen in der Zulassung strukturierte, einheitliche und transparente Vorgaben zu schaffen."

„Die Bundesvertretung der Medizinstudierenden begrüßt ausdrücklich, dass der 1. Senat des Bundesverfassungsgerichtes der Argumentation der Medizinstudierenden für ein gerechteres und faireres Verfahren in vielen Punkten gefolgt ist", sagt Isabel Molwitz, Vizepräsidentin für Externes der bvmd. Es sei höchste Zeit, endlich auch andere Kriterien neben der Abiturdurchschnittsnote zu berücksichtigen und die angewandten Verfahren transparent, reliabel und strukturiert zu gestalten.

„Ortspräferenzen haben als Zulassungskriterium ausgedient“, betont Molwitz. Nicht berücksichtigt wurde die aus Sicht der Medizinstudierenden wichtige Abschaffung der Wartezeitquote und der Ersatz durch ein Verfahren, dass geeignete Bewerber direkt erkennt. Nur so könnten die Chancen auf einen erfolgreichen Studienabschluss für alle Studienanfängerinnen und -anfänger chancengleich maximiert werden.

Oberste Priorität hat aus Sicht der Medizinstudierenden nun die bundesweite, rasche Umsetzung des Urteils.

Bundesverfassungsgericht

Urteil vom 19. Dezember 2017

1 BvL 3/14, 1 BvL 4/14

ck/pm

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