Aligner-Therapie aus dem Internet

Schöne Zähne per Post

Seit Ende 2017 vermarkten drei deutsche Firmen Aligner-Therapien im Internet. Dabei stellen Patienten ihren Zahnabdruck entweder selbst her oder besuchen zur Befundung mittels 3-D-Scan einen Shop. Zwischen 1.450 und 2.950 Euro kostet die Therapie. Die Schienen kommen per Post. Ja doch, Zahnärzte werden auch benötigt – zum Beispiel als Verkäufer im Shop.

Vorreiter der Aligner-Therapie per Post war der „SmileDirectClub“. 2013 im US-amerikanischen Nashville gegründet, erlangte das Unternehmen in den USA schnell große Bekanntheit durch Social-Media-Kampagnen, TV-Werbung und millionenschwere Unterlassungsklagen gegen Zahnärzte und die Zahnärztekammer des Staates Michigan sowie durch einen Rechtsstreit mit seinem Konkurrenten Align Technology. Am Ende kaufte sich Align Technology mit rund 60 Millionen Dollar bei SmileDirectClub ein – jetzt ist die Firma exklusiver Lieferant und hält 19 Prozent der Anteile. 

Nach eigenen Angaben hat SmileDirectClub bis jetzt mehr als 300.000 Patienten erfolgreich behandelt. Mittlerweile gibt es in den USA mit Orthly, Snapcorrect, CandidCo und Uniformteeth mindestens vier Unternehmen, die damit werben, die Anzahl der Kontrollbesuche zu reduzieren oder sogar komplett auf den persönlichen Kontakt zwischen Zahnarzt und Patient zu verzichten. Je nachdem versprechen sie den Kunden eine bequemere oder günstigere Versorgung (bis zu 70 Prozent billiger!) gegenüber einer konventionellen Therapie bei einem niedergelassenen Kieferorthopäden.

Der Erste, der die Idee nach Europa holte, war der Ire Graham Byrne. „Persönliche Betroffenheit“, beschreibt er sein Motiv, die Besuche beim Kieferorthopäden durch eine günstigere Selbstbehandlung mit einer per Post zugestellten Zahnschiene zu ersetzen. Auf der Suche nach der passenden Behandlung sei er auf den Webseiten der niedergelassenen Zahnärzte seines Heimatlands auf eine Vielzahl widersprüchlicher Aussagen und verwirrender Preismodelle gestoßen. Also verhandelte er mit Herstellern und Zahnarztpraxen, warb Investorengelder ein – und gründete im Januar 2016 schließlich „YourSmileDirect“. Damit schwappte das Geschäftsmodell über den großen Teich.

Ende 2016 forderte darum die Bundesversammlung den Vorstand der Bundeszahnärztekammer (BZÄK) auf, auf nationaler wie europäischer Ebene dafür zu sorgen, dass Geschäftsmodelle zur Selbstbehandlung, etwa mit Alignern, strikt unterbunden werden. Mitte Mai 2017 veröffentlichte der BZÄK-Vorstand dann seine rechtliche und zahnmedizinische Bewertung: Ungeachtet des bestehenden Bedürfnisses medizinischer Laien, eine zahnmedizinische Selbstbehandlung durchzuführen, müssten sich gewerbliche Anbieter bei der Beratung von Patienten und der Vermittlung medizinischen Wissens an jene, „der eigenen Kompetenzgrenzen und entsprechenden ethischen Maßstäbe bewusst sein. Selbstbehandlung ist nicht vergleichbar geregelt wie die berufsmäßige Ausübung der Heilkunde“, heißt es. „Umso mehr tragen Personen, die Selbstbehandlung lehren und vermitteln, die Informationen oder Geräte zur Verfügung stellen oder beraten, eine besondere Verantwortung, auf eine Reflexion ethisch und medizinisch gebotener Grenzen hinzuwirken und diese selbst einzuhalten.“

Die Hoffnung von Teilen der Öffentlichkeit, die gesundheitlichen Vorteile einer zahnmediznischen Behandlung „unkompliziert, kostengünstig und ohne den Aufwand einer Behandlung“ genießen zu können, berge die Gefahr, die Komplexität der Materie zu unterschätzen. Zur Selbstbehandlung ungeeignet sind nach Auffassung der BZÄK die Feststellung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten“ – jene Diagnose und Therapie, die laut § 1 Abs. 2 Heilpraktikergesetz als berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung, Heilung oder Linderung von Krankheiten, Leiden oder Körperschäden bei Menschen definiert ist. 

„Anbieter überschreiten durch Heilpraktiker- und Zahnheilkundegesetz gezogene Grenzen und führen insoweit strafbare Heilbehandlungen durch.“

BZÄK, Mai 2017

Außerdem weist die BZÄK darauf hin, dass nach § 1 des Zahnheilkundegesetzes jede von der Norm abweichende Erscheinung im Bereich der Zähne, des Mundes und der Kiefer als Krankheit anzusehen ist, einschließlich der Anomalien der Zahnstellung und des Fehlens von Zähnen. Gewerbliche Anbieter, die insbesondere Untersuchungsleistungen durchführen, Behandlungsziele bestimmen und planen, Therapieschritte festlegen, Zwischenergebnisse kontrollieren oder Verläufe aktiv überwachen, überschreiten nach der rechtlichen Bewertung der BZÄK die gezogenen Grenzen und führen insoweit strafbare Heilbehandlungen durch. 

Ungeachtet der deutschen Gesetze hat Graham Byrne sein Unternehmen bis Ende 2017 auf mehr als 50 Mitarbeiter vergrößert, die in sechs Shops – den „Smile Clinics“ – in Dublin, London, Manchester, Glasgow, Paris und Mailand die 3-D-Befundung und Therapieplanung anbieten. Projektiert sind Filialen in Australien und Neuseeland, wo es mit „ezSmile“ bereits einen Mitbewerber gibt. Auch für Deutschland meldet YourSmileDirect „coming soon“. Aber, räumt Byrne ein: „Eine tiefere Analyse der deutschen Vorschriften macht es nötig, das bisher verwendete Geschäftsmodell abzuändern. Wir stellen fest, dass kleinere Wettbewerber diese Herausforderung ignoriert haben.“ Die „kleineren Wettbewerber“ sind die Berliner Start-ups „SunshineSmile“ und „Dr.Smile“ sowie das Düsseldorfer Unternehmen „SmileMeUp“.

SunshineSmile: Die Vermittlung zwischen Patient und Zahnarzt als Geschäftsmodell 

Tatsächlich sieht David Khalil, einer von drei Geschäftsführern der im November 2017 gegründeten „Sunshine Smile GmbH“, gar kein Problem in der in Deutschland geltenden Rechtslage – sein Unternehmen trete schließlich lediglich als Vermittler der Behandlung auf. Der Behandlungsvertrag werde zwischen dem Arzt und seinem Patienten geschlossen, erklärt Khalil auf Anfrage. Entsprechend liege es in der Verantwortung der Partner-Zahnärzte und -Kieferorthopäden, eine Lege-artis-Behandlung nach der geltenden Musterberufsordnung sicherzustellen. „Zahnärzte, für die die Berufsordnung einen persönlichen Kontakt mit dem Patienten vorschreibt, nehmen diesen Kontakt wahr“, erklärt er. Wo und wie dies geschieht, bleibt offen. SunshineSmile bietet im Unterschied zu Dr.Smile keinen 3-D-Scan vor Ort an, sondern verschickt Sets per Post, mit denen die Kunden ihren Zahnabdruck zu Hause dann selbst erstellen. Sollte sich im Rahmen der Behandlung die Notwendigkeit zur Verlaufskontrolle ergeben, schreibt Khali in seiner Stellungnahme vage, stellt das Start-up den Behandlern die nötige Telekommunikation als Hilfsmittel zur Verfügung. 

„Aus unserer Sicht ist das Modell in den USA und Teilen Europas voll etabliert und erfreut sich vor allem eines sehr großen und positiven Zuspruchs von Kundenseite“, erklärt der Internet-Unternehmer, der nach seiner Ausbildung an der privaten Wirtschaftshochschule WHU als Unternehmensberater bei Zalando und Rocket Internet sich darauf spezialisierte, angloamerikanische Geschäftsmodelle auf den deutschen Markt zu übertragen. Heute ist Khalil nicht nur bei SunshineSmile Geschäftsführer, sondern auch Verwaltungsratsvorsitzender bei der Spark Networks SE, die hinter der Partnerbörse eDarling steht, die er mitgründete. Außerdem wird er als Geschäftsführer von zwei Beteiligungsgesellschaften (Lino GmbH, Affinitas Phantom Share GmbH) sowie Director der Khalil Enterprises Ltd. und Mitinvestor von neun weiteren Start-ups gelistet. 

„Feedback der Zahnärzte ist positiv“

Auf SunshineSmile habe man „bislang überwiegend interessiertes und positives Feedback aus der Zahnärzteschaft erhalten“, sagt er. Zwar habe er „Verständnis dafür, dass unser Geschäftsmodell von Teilen der Zahnärzte und Kieferorthopäden als ungewünschter Wettbewerb wahrgenommen werden könnte“, doch strebe er mit der Zahnärzteschaft ein „partnerschaftliches Verhältnis“ an. „Wir glauben, dass wir das Thema Ästhetik für alle Marktteilnehmer größer machen können und sind uns klar darüber, dass wir uns auf kosmetische Fälle beschränken und medizinisch schwierige Fälle an unsere Partner, die niedergelassenen Zahnärzte und Kieferorthopäden, verweisen werden.“

 „Der Markt für potenzielle Aligner-Therapien ist wie in anderen Ländern auch in Deutschland mit Sicherheit sehr groß“, bestätigt uns die Deutsche Gesellschaft für Aligner Orthodontie (DGAO). Vor dem Hintergrund gestiegener Ansprüche an das äußere Erscheinungsbild und der zunehmenden Unauffälligkeit und weitgehend einfachen Handhabung der Schienen gehe man von einer wachsenden Nachfrage aus. Untersuchungen aus den Niederlanden hätten gezeigt, dass 1986 bei 39 Prozent aller Erwachsenen ein kieferorthopädischer Behandlungsbedarf vorlag, schreibt der Verband– auf Deutschland übertragen ergäbe sich daraus ein theoretisches Potenzial von knapp 24 Millionen möglicher Behandlungen.

Dr.Smile: Anbieter distanziert sich von „Do-it-yourself“-Idee seiner Mitbewerber

In diesem Markt will auch Jens Frank Urbaniak, Geschäftsführer der Berliner „Urban Technology GmbH“, seine Marke „Dr.Smile“ etablieren, die keine Abdrucksets verschickt, sondern ausschließlich auf Grundlage von 3-D-Scans arbeitet. Auch Urbaniak betont den Qualitätsanspruch seines Unternehmens. „Wir arbeiten ausschließlich mit approbierten, deutschen Zahnärzten und Kieferorthopäden zusammen. Diese untersuchen die Patienten auf ihre medizinische Eignung (medizinische Voruntersuchung, Kontraindikations-Check, KIG-Feststellung) und klären sie zur Aligner-Therapie gründlich auf.“ Sollte der behandelnde Zahnarzt Kontraindikationen feststellen, werde der Patient darüber aufgeklärt und ihm würden gegebenenfalls operative Methoden – soweit indiziert – empfohlen. In jedem Fall gelte: „Während der Behandlung werden die Patienten eng vom jeweiligen behandelnden Zahnarzt und dem Dr.Smile-Team betreut. Bei Bedarf finden auch weitere Vor-Ort-Termine mit dem behandelnden Zahnarzt statt.“

Das Unternehmen distanziert sich ausdrücklich von der „Do-it-yourself-Kieferorthopädie“ und dem Geschäftsmodell von SmileDirectClub – Abdrucksets an die Patienten zu verschicken und die Therapie anschließend auf Grundlage dieser Abdrücke zu konzipieren. „Die Patientensicherheit steht bei uns an erster Stelle – einen Patienten kieferorthopädisch ausschließlich aus der Ferne zu behandeln, ohne ihn vorher gründlich von einem Zahnarzt untersuchen und beraten zu lassen, empfinden wir als kritisch“, sagt Urbaniak. Darin sehe er den Fahrlässigkeitsvorwurf begründet, der dem US-Unternehmen Ende 2017 juristische Verfahren in 36 US-Bundesstaaten einbrachte.

„Kieferorthopäden und MKGler sind mit an Bord“

Urbaniaks Ansatz ist augenscheinlich ein anderer, und zwar über die Urban Technology GmbH – also über „Dr.Smile.xyz“ – jene Dienstleistung zu vertreiben, die angestellte Zahnärzte und Kieferorthopäden für seine zweite Gesellschaft, die Deutsche Zahnklinik GmbH (DZK) erbringen. Deren Gesellschaftszweck sind „die Planung, die Errichtung und der Betrieb von Kliniken für human- und zahnmedizinische Leistungen“ sowie deren Erbringung „durch angestellte Ärzte“. Auf die Frage, ob die DZK bereits Zahnärzte beschäftigt, antwortet Urbaniak ausweichend: Man habe „ein erfahrenes medizinisches Team, bestehend aus Zahnärzten, Kieferorthopäden, MKGlern und Zahntechnikern, […] an Bord.“ Und die Zusammenarbeit könne perspektivisch „sowohl in bereits existenten ärztlichen Räumlichkeiten (zum Beispiel einer Praxis oder Klinik) als auch in speziell auf unsere Aligner-Behandlung fokussierten Standorten unter zahnärztlicher Betreuung erfolgen.“

SmileMeUp: Abdruck beim Partner-Zahnarzt möglich

Verschlossener ist man beim dritten deutschen Anbieter, der „SmileMeUp GmbH“ aus Düsseldorf. Auf wiederholte schriftliche Anfragen heißt es, der Geschäftsführer Dr. Walid Fahmy sei auf Dienstreise: „Sollte er daran Interesse haben, Ihre Fragen zu beantworten, würden wir uns nochmal bei Ihnen melden.“ Das hatte er offenbar nicht, aber auf der Webseite erfährt man ,dass SmileMeUp mit „Kooperationspartnern“ zusammenarbeitet, die Kunden bei Bedarf helfen, den Abdruck zu erstellen. Eine Übersicht dieser Partner gibt es nicht, eine Anfrage beim Live-Support per Chat ergibt nur, dass es einen Partner-Zahnarzt in Berlin gibt, dessen Kontaktdaten aber erst nach einer kostenpflichtigen Bestellung herausgegeben werden. Danach wird der Nutzer aufgefordert, für eine „kostenfreie professionelle Aligner-Einschätzung“ Fotos von Ober- und Unterkiefer sowie Seitenansichten hochzuladen und seine Kontaktdaten und Behandlungswünsche zu übermitteln. Auf der Webseite heißt es, die Kooperationspartner hätten es „Hunderten von Kunden ermöglicht, ihren Zahnabdruck zu Hause zu erstellen.“ Die angezeigten Erklärvideos verzeichnen knapp 3.000 Aufrufe. 

Bundeszahnärztekammer

Bei Komplikationen als Körperverletzung strafbar

 „Eine zahnmedizinische Behandlung ist immer mit erheblichem Kontrollaufwand verbunden, so dass sie der echten Selbstbehandlung entzogen ist“, stellt die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) in ihrem Beschluss „Grenzen der Selbstbehandlung – insbesondere in der Kieferorthopädie“ von Mai 2017 fest. 

„Gerade bei der kieferorthopädischen Bewegung von Zähnen oder Zahngruppen wirken bisweilen starke Kräfte dauerhaft auf die Zähne und den Zahnhalteapparat ein, die einer kontinuierlichen Kontrolle seitens eines Zahnarztes bedürfen. Gerade auch bei der Behandlung mit Alignern können über längere Zeit unkontrollierte größere Krafteinwirkungen die Blutzufuhr zum Zahnhalteapparat unterbinden, was zu einer Devitalisierung einzelner Zähne bis hin zum irreversiblen Zahnverlust führen kann.“ 

Ein weiteres Problem sieht die BZÄK in der Selbstbehandlung bei Gingivitis oder Parodontitis: Eine ärztlicherseits unkontrollierte Therapie von Zahnfehlstellungen bei Erwachsenenen mit Alignern „gerade in dieser Altersgruppe ist wegen der damit verbundenen Risiken als fehlerhaft und erheblich risikobehaftet einzustufen“. 

Ihr Fazit: „Die Anleitung zur Selbstbehandlung, die Zurverfügungstellung von Informationen oder Geräten zur Selbstbehandlung in der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde kann daher nach alledem im Falle von Komplikationen als Körperverletzung strafbar werden.“

DGAO: Eine Therapie im juristischen Graubereich

Bei der Deutschen Gesellschaft für Aligner Orthodontie (DGAO) steht man der Informationspolitik der Anbieter und dem wachsenden Markt der Online-Geschäftsmodelle skeptisch gegenüber. Als „generell fragwürdig“ seien dabei die Therapieversprechen der Dienstleister zu bewerten, die auf ihren Homepages in erster Linie auf die günstige Preisgestaltung, auf die individuelle Behandlungssituation und -möglichkeiten aber nur sehr oberflächlich und grob eingehen. „Inwieweit eine algorithmusbasierte Computersimulation auf Grundlage eines digital erzeugten Scans oder eines selbstgenommenen Abdrucks ungeklärter Qualität ein visualisiertes, versprochenes Behandlungsziel tatsächlich erreichen kann, ist dabei von einer Vielzahl individueller, hier zum Teil völlig unberücksichtigter medizinischer, patientenspezifischer wie auch biomechanischer Parameter abhängig“, urteilt die DGAO. „Dabei findet insbesondere keine klare Differenzierung zwischen einer rein kosmetisch orientierten Maßnahme und einer medizinisch indizierten kieferorthopädischen Therapie statt.“

Hier sieht die DGAO einen juristischen Graubereich: Bislang stelle eine Kieferabformung zwar eine ärztliche Leistung dar, wenn diese im Zusammenhang mit einer medizinischen Heilbehandlung steht. „Isoliert betrachtet, ist es aber nicht verboten, sich selbst einen Zahnabdruck zu nehmen. Hier kommt es also auf den weiteren Verwendungszweck an.“ Ist diese Handlung als Bestandteil einer medizinisch notwendigen Heilmaßnahme zu sehen, bedarf es in Deutschland einer Approbation – dient diese Anwendung indes lediglich zur Durchführung kosmetischer Veränderungen, sind diese Maßnahmen aus Sicht der DGAO im Sinne des Gesetzes nicht als ärztliche Handlung zu werten und dürften demnach von jedermann durchgeführt werden.  

Die Werbebotschaft

„Zahnbegradigung macht glücklich“

Von Hollywood bis Ottonormalo: Die Zielgruppe der Online-Anbieter von Aligner-Therapien scheint riesig. So investiert etwa der nordamerikanische Anbieter SmileDirectClub für seinen Instagram-Kanal in etablierte Influencer-Schönheiten wie OliviaBentley oder JessSouthern – die zusammen rund eine halbe Million Follower haben –, zeigt in TV-Spots aber auch Werbefiguren zwischen 20 und 60 Jahren, die eher charmant und authentisch als übertrieben makellos wirken. 

Genauso ist es im Clip des international operierenden Unternehmens YourSmileDirect. Eine perfekt geschminkte, aber durchschnittlich aussehende Frau erklärt dem Zuschauer in 30 Sekunden, warum sie sich in ihrem hektischen Alltag gern den unnötigen Besuch beim Kieferorthopäden erspart. Ansonsten lautet die Botschaft: Die Zahnbegradigung gibt Selbstvertrauen und macht glücklich. In Verbraucherforen wie realself.com finden sich jedoch auch Patientenberichte, die von Therapieabbrüchen, Misserfolgen oder gesundheitlichen Beeinträchtungen berichten. Auffällig ist, dass SmileDirectClub unverzüglich reagiert und jeweils Klärung beziehungsweise Hilfestellung anbietet. Der weitere Verlauf, aber auch der Wahrheitsgehalt der anonymisiert abgegebenen Erfahrungsberichte lässt sich jedoch nicht überprüfen. Zahlenmaterial zum Anteil missglückter Therapien in den USA oder in Großbritannien ist nicht zu bekommen. Die American Association of Orthodontists reagierte nicht auf eine entsprechende Anfrage, die British Orthodontic Society erklärte, ihr lägen keine Beschwerden von Patienten vor. 

Zumindest in der Startphase der deutschen Unternehmen gilt dies auch hierzulande: Den Patientenberatungsstellen der BZÄK/KZBV sowie den Verbraucherzentralen der Länder Berlin und Nordrhein-Westfalen sind keine Patientenbeschwerden bekannt.

DGKFO: Kontinuierliche Kontrolle ist zwingend

Dagegen stuft die Deutsche Gesellschaft für Kieferorthopädie (DGKFO) es generell als medizinisch unverantwortlich und potenziell gesundheitsgefährdend ein, „wenn die Erstellung von Zahnabdrücken – konventionell oder per 3-D-Scan – durch den Patienten mit anschließender Durchführung einer kieferorthopädischen Eigentherapie oder mit nur einmaligem persönlichen Kontakt zum Behandler ohne geeignete Kontrolle und Dokumentation des Behandlungsverlaufs“ erfolgt. Die kontinuierliche Kontrolle und Bewertung der Auswirkungen aller Therapieschritte durch einen hierfür aus- und weitergebildeten Behandler sei schließlich ein Wesensmerkmal einer kieferorthopädischen Therapie. „Im Rahmen einer solchen Behandlung ist nicht nur die isolierte Begradigung von Frontzähnen, sondern neben anderen Faktoren auch die Einstellung einer korrekten Okklusion und Interkuspidation in einem geeigneten orofazialen Funktionsumfeld das Ziel.“ Unkontrollierte Bewegungen von Front- und Seitenzähnen könnten den Alveolarfortsatz sowie das Zahnfleisch schädigen, warnt die DGKFO und stellt klar, dass dabei nicht die kieferorthopädische Therapie mit Alignern als solche ein Problem darstellt, „sondern die unkontrollierte Eigentherapie mit jeglichen Behandlungsgeräten ohne adäquate Risikoeinschätzung und Verlaufskontrolle“.

Der Berufsverband der Deutschen Kieferorthopäden (BDK) geht in seiner Bewertung hingegen davon aus, dass die Korrektur von Zahn- oder Kieferfehlstellungen in jedem Fall über eine bloße Kosmetik hinausgeht und auch dann eine zahnärztliche Heilbehandlung darstellt, wenn sie sich zum Beispiel nur auf die Frontzähne bezieht. „Bei jeder kieferorthopädischen Behandlung müssen die Auswirkungen der Maßnahme auf das gesamte stomatognathe System berücksichtigt werden. Bei unerwarteten Behandlungsverläufen muss zeitgerecht reagiert werden“. Die beschriebenen Geschäftsmodelle gewährleisten nach Kenntnis des BDK „eine aus fachlicher Sicht erforderliche zahnärztliche Begleitung nicht“ – und setzten damit die Patienten einer potenziellen Gesundheitsgefahr aus.

BDK: Potenziell gefährlich und rechtswidrig

Unabhängig davon hält der BDK die auf die Erbringung von Zahnheilkunde gerichteten Angebote für rechtswidrig, weil sie gegen das Zahnheilkundegesetz und gegen – soweit Zahnärzte beteiligt sind – berufsrechtliche Regelungen verstoßen. Pauschalpreise bei zahnärztlichen Leistungen widersprächen außerdem den Regelungen der GOZ. Die Werbeaussagen ließen sich teilweise auch nicht mit den Vorschriften des Heilmittelwerbegesetzes in Einklang bringen. 

Fazit des BDK: Stellt der Patient den Abdruck selbst her, sei dessen notwendige Genauigkeit nicht gewährleistet, um Basis einer Behandlungsplanung zu sein. Ein entscheidendes Urteil, denn „die Erstellung eines Behandlungsplans auf der Grundlage nicht fachgerecht erhobener Befunde stellt nach unserer Bewertung eine Unterschreitung des fachzahnärztlichen Standards dar“, so der BDK. Dies gelte auch für die Erstellung eines Behandlungsplans in Kenntnis seiner „unkontrollierten Durchführung“.

Urbaniak betont, Dr.Smile habe seine Behandlungsmethode „mit einem weltweit führenden Dentalunternehmen gemeinsam entwickelt, das bereits über 50.000 Aligner-Behandlungen erfolgreich durchgeführt hat“ und stelle seine Produkte „in spezialisierten, zertifizierten Dentallaboren“ her. Gleichzeitig evaluiere und verbessere man Produkte und Methodik gemeinsam mit Partnerzahnärzten und einer „KFO-Fakultät eines großen deutschen Universitätsklinikums“. Zum Aufbau des zahnärztliches Netzwerks innerhalb Deutschlands will das Unternehmen ab April ordentlich die Werbetrommel rühren, verrät Urbaniak noch. Einen ersten Akquiseerfolg gebe es bereits zu vermelden: „Unser Partner in Berlin gehört nach unserer Einschätzung inzwischen zu den fünf größten Aligner-Behandlern in Berlin.“

USA

SmileDirectClub droht Marktführer Invisalign

Ende 2017 veränderte sich der Markt: Während in Deutschland die ersten Unternehmen gegründet wurden, die Aligner-Therapien außerhalb von Zahnarztpraxen anbieten, modifizierte Align Technology (Invisalign) in den USA sein Geschäftsmodell und eröffnete zwei Shops, die sich erstmals direkt an Endkunden richten. 

Das Novum: In den Filialen in San Francisco und San Jose können Patienten direkt in Einrichtungen des Marktführers einen 3-D-Scan erstellen, sich das mögliche Therapieergebnis visualisieren und an einen behandelnden Zahnarzt vermitteln lassen. Dies sei Teil der Expansionsstrategie, um die mehr als 300 Millionen Verbraucher weltweit zu erreichen, die von einer Therapie mit klaren Zahnschienen profitieren können, wird Joe Hogan, Präsident von Align Technology, zitiert. Ob zeitnah weitere Shops in den USA, in Europa oder auch in Deutschland in Planung sind, bleibt offen. Eine entsprechende Anfrage an das Unternehmen blieb bis zum Redaktionsschluss der vorliegenden Ausgabe unbeantwortet. 

Fest steht aber, dass Align Technology mit dem Vorstoß die Unternehmensführung seines Partnerunternehmens SmileDirectClub gegen sich aufbrachte. SmileDirectClub sieht in der Eröffnung herstellereigener Shops eine Verletzung von Wettbewerbsverboten und -vereinbarungen und drohte mit einem Rückkauf eines 19-prozentigen Unternehmensanteils, den Align Technology 2016 von SmileDirectClub für rund 60 Millionen Euro erwarb. Man versuche, die „haltlosen Vorwürfe“ so schnell wie möglich auszuräumen, kommentierte Hogan den Vorfall und betonte: Der bis 2019 geschlossene Liefervertrag – der seinem Unternehmen eine Mindestabsatzmenge von Zahnschienen über den SmileDirectClub garantiert – werde von den Streitigkeiten nicht beeinflusst.

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