Prophylaxe mit der Stoffpuppe
Zum mittlerweile zehnten Mal war Wieczorrek in der Region – zum dritten Mal im Winter. „Die globale Klimaerwärmung führt gerade in Regionen, die den geringsten Beitrag dazu leisten, zu existenziellen Veränderungen für Mensch und Tier“, erzählt er. „So war in den Bergen rund um Ladakh bis Februar der Schneefall komplett ausgeblieben. Eine Katastrophe, da dies zu akutem Wassermangel auf den Feldern der Bauern führen wird. Der einzige Verbindungsweg in unsere Dörfer und zu den Amchis, den tibetischen Naturheilern, ist im Winter der zugefrorene Fluss Chaddar. Er führte aber zu wenig Wasser und friert nicht mehr an allen Stellen richtig zu.“
Damit wurde der Fluss noch gefährlicher, als er ohnehin schon ist, berichtet der Zahnarzt: Während seines Aufenthalts kam ein zwölfjähriges Mädchen auf dem Weg zur Schule ums Leben. Gemeinsam mit einer Mitschülerin war es in das Eis des Flusses eingebrochen. Ihre Freundin konnte gerettet werden, sie wurde unter das Eis geschwemmt. Nach der Bergung wurde das Mädchen in Leh, der größten Stadt in Ladakh, beerdigt. Und die Eltern konnten nicht dabei sein, weil der Fluss nicht entsprechend zugefroren war.
Da auch Wieczorrek nicht – wie geplant – die Dörfer aufsuchen konnte, blieb ihm nichts anderes übrig, als den Aufenthalt in Leh zu nutzen. Zusammen mit dem Projektkoordinator und Landrat vor Ort, Sonam Dorjay, sprachen sie mit Avni Lavasa – sie ist Deputy Commissioner, eine Art Chefin der Regionalverwaltung von Leh. „Wir überreichten ihr außerdem einen Brief, in dem wir unsere prophylaktische zahnärztliche Zusammenarbeit mit den Amchis vorstellten“, sagt Wieczorrek. „Mithilfe unserer Stoffpuppe Tunu demonstrieren wir in den Dörfern die richtige Zahnhygiene und erklären sie anhand zahnärztlicher Rolltafeln. Am Ende des Gesprächs übergaben wir die Tafeln, Postkarten und Tunu an Lavasa – in der Hoffnung, dass sie weitere Verbreitung in Ladakh finden.“
Zu wenig Schnee machte Plan B nötig
Der Meininger hatte schließlich Glück: In Leh arbeitete er mit einer jungen Zahnärztin zusammen, die in Delhi studiert hatte und nun in die kleine Himalayastadt zurückgekommen war. „Es sind Begegnungen von unschätzbarem Wert, wenn man sich ein breit gefächertes Bild machen will von der Situation vor Ort. Sie hat mit einfachsten Mitteln die Patienten sehr gut behandelt und zwar so, dass es für die dortige Situation angemessen und sinnvoll war. In der Hauptsache waren das Extraktionen, Wurzel- und Schmerzbehandlungen. Natürlich ist hier nicht alles vergleichbar mit unseren deutschen Maßstäben, aber die Grundlagen der Zahnmedizin sind überall gleich.“
Eine weitere Station der Winterreise: der Ort Khaltsi, 80 Kilometer westlich von Leh im Industal gelegen. Dort gibt es eine Dorfschule, aber von Dezember bis März ist wegen des Winters eigentlich Ferienzeit in Ladakh. Das ist natürlich viel zu lange, deshalb gibt es für diese Zeit private Initiativen, die mit Spendengeldern einen Winterunterricht anbieten. Mit Unterstützung des Partnervereins „Friends of Linghsed“ aus Graz und einem Essenszuschuss des Meininger Hilfsvereins konnte der Unterricht in der Muttersprache Bodyik, in Englisch, Mathematik, Biologie, Geografie und in Buddhistischer Religion für etwa 30 Kinder und fünf Lehrer für sechs Wochen organisiert werden. Wieczorrek: „In diesem Jahr standen noch drei Stunden Unterricht in Mundhygiene und gesunder Ernährung mit Tunu und mir auf dem Programm. Insgesamt habe ich drei Tage mit den Kindern und den Lehrern auf dem Campus verbracht. Eine Erfahrung der besonderen Art: so zu leben, wie die Lehrer, die oft aus weit entfernten Orten kommen und hier für Monate getrennt von ihren Familien sind“, berichtet der Zahnarzt.
Drei Tage Mundhygiene im Schulunterricht
Die nächste Gruppe wird im Sommer nach Ladakh fahren – mit zahlreichen Aufgaben im Gepäck: Für 90 Internatskinder im Bergdorf Lingshed springt der Verein ein, weil die Regierung das Geld für das Schulessen gekürzt hat. Geplant ist auch der mit 6.000 Euro veranschlagte Ausbau eines etwa einen Kilometer langen – lebensgefährlichen – Gebirgswegs, den die Kinder von Dibling zur Schule nach Lingshed gehen.
„Nach drei Wochen war ich dann auch wieder froh in der Heimat bei meiner Familie zu sein, denn mein eigentliches Leben findet ja hier statt. Dafür bin ich sehr dankbar. Eigentlich habe ich einfach nur Glück gehabt in diesem Teil der Erde geboren zu sein“, sagt Wieczorrek abschließend.
Alexander Keiner, Himalaya-Projekt www.ladakhpartners.de