Der Krug geht so lange zum Brunnen …
Dass Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zu den aktivsten Ministern der Bundesregierung gehört, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Bis Sommer dieses Jahres brachte er es mit seinem Ministerium auf 16 Gesetzesinitiativen – in 16 Monaten! Und die nächsten stecken bereits in der Pipeline, u. a. das Faire-Kassenwahl-Gesetz, das Digitale Versorgungs-Gesetz, die Neuordnung der Notfallversorgung und einige mehr.
Leider jedoch ist ein höherer Gesetzesoutput nicht gleichzusetzen mit einer besseren Politik – im hochkomplexen Gesundheitswesen schon gar nicht. Definiert man Zielerreichung und Ausgeglichenheit der Wirkung bzw. Auswirkung – also die simple Betrachtung beider Seiten einer Medaille – als besser, dann führt die Flut an viel zu häufig wahltaktisch motiviertem Gesetzeskleinklein, das die systemischen Wirkungen im Gesundheitswesen nicht beachtet, eben nicht zu einer Verbesserung. Die Folgen falscher politischer Diagnosen und demzufolge unwirksamer Gesetzestherapien samt erheblichen Nebenwirkungen lassen sich beispielhaft am Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) betrachten. Der politischen(!) Diagnose, dass nämlich GKV-Patienten gegenüber PKV-Patienten bei der Terminvergabe erheblich benachteiligt würden, folgten nicht nur teuer von den Leistungserbringern (ich weiß, ein schreckliches, aber in diesem Zusammenhang passendes Wort) bezahlte Terminservicestellen, sondern auch ein massiver Eingriff in die Arbeitsbedingungen der niedergelassenen Ärzte samt Verlängerung der Sprechzeiten um fünf Stunden die Woche. Ob Spahn, der mit dem TSVG auch Vereinbarungen aus dem Koalitionsvertrag erfüllte, mit den derzeitigen Vermittlungszahlen einverstanden ist, wage ich zu bezweifeln. Wenn diese Zahlen die Realität abbilden, dann war die Diagnose trotz all der vielen öffentlichen Wortspenden à la „Wir machen die Welt gerechter“ schlicht falsch. Mit der Folge, dass nun die Nebenwirkungen der vermeintlichen Therapie massiv zutage treten, wie eine aktuelle Umfrage des Ärztlichen Nachrichtendienstes („Frustriert und gestresst – So viele Ärzte wollen vorzeitig die Zulassung abgeben“) aufzeigt.
In der nicht repräsentativen Umfrage unter rund 2.000 niedergelassenen Haus- und Fachärzten heißt es unter anderem: „67 Prozent der niedergelassenen Ärzte in Deutschland sind mit den derzeitigen Arbeitsbedingungen sowie den gesundheitspolitischen Plänen der Regierung so unzufrieden, dass sie ihre kassenärztliche Tätigkeit früher als ursprünglich geplant beenden wollen.“ Und: „39 Prozent [...] zeigen sich fest entschlossen, die Kassenzulassung noch vor dem 65. Lebensjahr abzugeben. Fielen finanzielle Verpflichtungen wie das Abbezahlen des Praxiskredits weg, würde die Zahl voraussichtlich noch höher ausfallen: Zwei von fünf Ärzten betonen, dass sie sich gezwungen sehen, aufgrund offener Raten in beträchtlicher Höhe länger als gewünscht in der Praxis bleiben zu müssen.“ All das kann man nicht ausschließlich Spahn zur Last legen, am aufgestauten Frust der Heilberufler haben schon seine Vorgänger im Amt ausgiebig gearbeitet.
Betrachtet man aber die Gesetzespipeline, dann wird nicht nur weiter heftig an der Bürokratieschraube gedreht werden, sondern es folgen weitere Belastungen, die mit dem „Arzt sein“ nur wenig zu tun haben. All das hat die Politik, so fürchte ich, nicht auf dem Schirm. An erster Stelle der Umfrage steht nicht mehr die Vergütung, sondern die Geringschätzung der ärztlichen Arbeit durch die Politik. An zweiter Stelle folgt, dass die Politik in die Praxisorganisation hineinregiere, dann das Übermaß an Bürokratie. Achtung, erst jetzt kommt das liebe Geld ins Spiel, fast gleichauf mit dem Thema Arzneimittelregresse. Schaut man sich die Altersverteilung der niedergelassenen Ärzte an – und diese unterscheidet sich kaum von der der Zahnärzte –, dann spielt die Politik mit der Tragfähigkeit einer Ihrer letzten „Glaubwürdigkeitssäulen“ – einer guten und funktionierenden Versorgung. Man kann Patienten, der definitiv größten Wählergruppe, viele Versprechungen machen – aber diese müssen auch umgesetzt werden können. Wie sagte ein an der Umfrage teilnehmender Arzt: „Ich würde noch gerne lange arbeiten – aber noch so einige Unverschämtheiten von Seiten der Politik, der Kassen und der Medien, dann schmeiße ich die Brocken hin“. Noch ist der Krug nicht gebrochen, aber die Risse sind bereits tief. Und Ersatz ist nicht in Sicht.
Dr. Uwe Axel Richter
Chefredakteur