Editorial

Das ist Spahnsinn

Mein guter Vorsatz: Nicht schon wieder Jens Spahn im Editorial … Doch ich fürchte, dass ich den Kampf gegen den inneren Schweinehund bereits verloren habe. Es ist fast unmöglich, den stetig auf den verschiedensten Feldern des Gesundheitswesens ackernden Minister einfach mal zu ignorieren. Wie auch, wenn er selbst bei Auftritten im tiefsten Schleswig-Holstein Schlagzeilen produziert, die man eher beim russischen Präsidenten verorten würde?

So geschehen in Meldorf, einem Städtchen in Dithmarschen an der Nordseeküste, auf Einladung der Jungen Union zum traditionellen Mehlbüdelessen. Sie wissen schon, das ist die Gegend, wo die meisten und „natürlich“ größten Kohlköpfe Deutschlands herkommen. Schwarzes Land, Heimspiel für den Minister. Nur seine Rede, in der er für mehr Praxen in Gemeindehand warb, um dem Arztmangel auf dem Land zu begegnen, stand noch zwischen dem Minister und dem Meldörper Mehlbüdel – und plötzlich auch zwei halbnackte Femen-Aktivistinnen, die mit auf ihren Oberkörper gemalten Sprüchen „Mein Körper, meine Entscheidung“ und „Fünf Millionen Spahnsinn“ gegen eine vom Minister beauftragte Studie zu den psychischen Folgen von Abtreibungen protestierten. Fünf Millionen soll diese Studie kosten, die im Zusammenhang mit dem Streit um die Paragrafen 219a und 281a zwischen den Koalitionären zum Thema „Ärzte informieren über Abtreibungen“ in Auftrag gegeben wurde. Dank Spahns schlagfertiger Anmerkung angesichts des barbusigen Frauenprotests, „Bei mir kommt Ihr mit Ausziehen nicht so weit. Das bringt bei mir nichts!“, waren ihm die Aufmerksamkeit der Zuhörer wie auch die Schlagzeilen mal wieder sicher. Doch abgesehen davon ist nun auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, welche Summen für Studien bezahlt werden, die lediglich deshalb gemacht werden, um politische Argumente zu stützen.

Anders, aber ebenfalls sehr unterhaltsam, sind die derzeitigen Wallungen im Kassenlager, die unter anderem der Entwurf für eine weitere Gesetzesinitiative Spahns namens „Faire-Kassenwahl-Gesetz“ auslöst. Hinter der ominösen Wortwahl verbirgt sich ein Vorstoß des Ministers, der in der Hauptsache die elf selbstständigen AOKen betrifft, die mit dieser Initiative aus der Zuständigkeit der Bundesländer gelöst und unter eine einheitliche Kassenaufsicht durch das Bundesversicherungsamt gestellt würden. Positiv wäre anzumerken, dass dann für alle Kassen die gleichen Regeln gelten, negativ, dass die Konzentrations bestrebungen im Gesundheitswesen weiter Raum greifen. Womit sich, so ganz nebenbei, auch die Führungsstrukturen des Kassenlagers neu ausmendeln würden. Wirklich lustig sind die Argumente, die seitdem durch die Gazetten fliegen: Prof. Karl Lauterbach, SPD, lässt sich mit dem Satz zitieren, „dass dies eine Verschlechterung der Versorgung brächte“. Als ob die Angebote der überregionalen Kassen wie z. B. der großen Ersatzkassen genau daran kranken würden. Getoppt wird das von den Äußerungen des Chefs des AOK-Bundesverbands, Martin Litsch, der einen Mehrwert für chronisch Kranke durch Vor-Ort-Angebote sieht – statt Telefon und Internet. Das sind genau die Patienten, bei denen die Kassen ansonsten einen enormen Mehrwert durch digitale Versorgungsangebote sehen und deswegen die ach so störrischen und digital aversen Heilberufler regelmäßig an den Pranger stellen. Apropos Geschäftsstellen – auch die AOKen haben bereits mit teils radikalen Maßnahmen ihr Geschäftsstellennetz erheblich ausgedünnt. Doch es kommt noch „besser“: Auf der Website des GKV-Spitzenverbands findet sich folgende Ausführung: „Mit dem Faire-Kassenwahl-Gesetz hat der Bundesgesundheitsminister angekündigt, die ehrenamtliche Selbstverwaltung aus dem Verwaltungsrat des GKV-Spitzenverbands entfernen zu wollen. Volker Hansen, Verwaltungsratsvorsitzender und Vertreter der Arbeitgeber im Verwaltungsrat des GKV-Spitzenverbands, verbindet mit diesem Vorhaben des Ministers eine [...] Sorge [...]: ‚Wenn die Politik heute die Selbstverwaltung an der Spitze der gesetzlichen Krankenversicherung abschafft – wer sagt uns, dass dann nicht schon morgen Versicherte und Arbeitgeber von den Spitzen der Renten- und Arbeitslosenversicherung verdrängt werden?‘“ Adieu soziale Selbstverwaltung, die langen Schatten des Selbstverwaltungsstärkungsgesetzes erreichen nun auch die Kassen. Der Umbau des Gesundheitswesens ist im vollen Gange. Wäre da nicht eine verbesserte oder besser noch: enge Zusammenarbeit zwischen Heilberuflern und Kassen das Gebot der Stunde?

Dr. Uwe Axel Richter
Chefredakteur

Dr. Uwe Axel Richter

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