„Ich bin eine absolute Teamspielerin!“
Frau Sonntag, Ihre Zähne sind alle noch heil – trotz Hockey?
Julia Sonntag: Meine Zähne wurden zum Glück noch nie beschädigt, denn im Tor trage ich einen Helm mit Gittermaske. Dafür sind blaue Flecken an Armen und Beinen an der Tagesordnung. Aber bei den Feldspielerinnen kommt es ab und an vor, dass die Zähne getroffen werden. Hier reicht schon ein leichter Kontakt mit dem Hartgummiball und die Zähne sind locker oder werden komplett ausgeschlagen. Darum haben unsere Physiotherapeuten und Ärzte immer eine Zahnrettungsbox dabei.
Warum sind Sie ins Tor gegangen und nicht Feldspielerin geworden?
Im Grundschulalter tauchte vor jedem Spiel die Frage auf „Wer geht ins Tor?“. Eigentlich war jede mal an der Reihe, aber bei mir hieß es irgendwann „Du machst das gut! Wäre das nichts Dauerhaftes für dich?“.
Und von dort ging es dann ja bis in die Nationalmannschaft, Sie haben sportlich schon einiges erreicht.
Mit meinen Mannschaften bin ich dreimal Deutscher Meister geworden, 2012 und 2014. 2018 sogar Hallenhockey-Weltmeisterin. Seit Ende 2015 spiele ich in der Nationalmannschaft. Der damalige Bundestrainer Jamilon Mülders hat mich in den Kader berufen. Zu der Zeit war ich die Nummer drei hinter den beiden alteingesessenen Torhüterinnen, die ihre Karriere dann 2016 nach den olympischen Spielen in Rio beendet haben. Seitdem bin ich bei jedem großen internationalen Turnier dabei. In den U18- und U21-Mannschaften habe ich auch schon gespielt.
Wie hoch ist denn der Zeitaufwand?
Für die Nationalmannschaft zu spielen, bedeutet, viel unterwegs zu sein. Seit Januar bin ich quasi einmal um die Erde geflogen. Wir hatten Spiele in Argentinien, Australien, China, Neuseeland und den USA. Wenn ich nach Belgien oder Großbritannien muss, sind das für mich eher Heimspiele (lacht). Die Zeit, die ich für Hockeyspiele einsetze, hat sich gesteigert. Früher habe ich dreimal in der Woche trainiert und am Wochenende ein- bis zweimal gespielt. Inzwischen fahre ich jeden Tag nach der Arbeit zum Training.
Bleibt bei Beruf und Sport überhaupt noch Zeit fürs Privatleben? Sie sind ja „frisch“ verheiratet.
Den Termin für die standesamtliche Hochzeit haben wir mit meinem Bundestrainer, Xavier Reckinger, abgestimmt, genau wie unsere kirchliche Trauung jetzt im Sommer. Darüber, dass ich so oft unterwegs bin, ist mein Mann natürlich nicht immer erfreut. Aber er war auch Bundesliga-Spieler und bringt darum viel Verständnis für meine sportliche Laufbahn auf. Er sagt immer „Ich hätte es genauso gemacht, wenn ich die Chance dazu gehabt hätte“.
Mehr als in der Nationalauswahl zu spielen, kann man als Sportler kaum erreichen. Naturgemäß ist ein solcher Einsatz aber begrenzt. Was planen Sie für die Zeit danach?
Ich weiß, dass es ein Leben nach dem Hockey gibt. Daher habe ich immer großen Wert auf meine berufliche Karriere gelegt und versucht, hier keine Abstriche zu machen. Die anderen in der Nationalmannschaft sind im Schnitt Anfang 20, in dem Alter kann man das noch etwas lockerer sehen. Ich bin 27. Es ist schwer zu sagen, wie lange ich noch im Kader sein werde – und dann möchte ich mich nicht erst noch um meine berufliche Zukunft kümmern müssen, sondern sicher im Leben stehen. Kinder sind erstmal nicht geplant, das ist noch relativ fern. Wir wollen aber nach der Leistungssportkarriere auf jeden Fall welche.
Zu Ihrem Hauptberuf: Was hat Sie bewogen, Zahnärztin zu werden?
Mein Vater ist Zahnarzt [Dr. med. dent. Jochen Ciupka mit eigener Praxis in Mönchengladbach, Anmerkung der Redaktion]. Da habe ich mich gefragt „Was macht denn der Papa den ganzen Tag?“ Ich mag den Umgang mit Menschen und konnte mir nie einen Computerarbeitsplatz vorstellen. Als Schülerin habe ich mehrere Praktika in der Richtung gemacht, die ich alle sehr interessant fand. Ich habe als Kind immer viel gebastelt und gerne mit den Händen gearbeitet. Und in der Schule mochte ich die naturwissenschaftlichen Fächer besonders.
Wie haben Sie Ihre Studium erlebt?
Das Studium war cool, besonders die ausgeprägte praktische Orientierung dort. Ich konnte an der Universität Witten/Herdecke bereits ab dem siebten Semester Patienten von vorn bis zum Ende durchbehandeln. Aus dem Examen kann ich mich noch an die Namen aller sechs Patienten erinnern. Es lehren auch viele Praktiker an der Uni. Das Studium dort hat mir unfassbar viel gebracht. Ich kann es uneingeschränkt empfehlen.
Wie ging es nach dem Studium für Sie beruflich weiter?
Meine Assistenzzeit habe ich schon hinter mir. Seit Anfang Mai arbeite ich als angestellte Zahnärztin in der Praxis von Georg Stähn in Mönchengladbach. Besonders gefällt mir dort, dass ich chirurgisch tätig sein kann, das gab es in meiner Assistenzzeit nicht. Ich würde auch gerne andere Fachbereiche intensivieren, wie die Endodontologie und die biologische Zahnmedizin.
Gibt es Pläne, sich in naher oder späterer Zukunft niederzulassen?
Kurz- und mittelfristig sicher nicht. Mit der Konstellation jetzt, mit dem Angestelltendasein und dem Sport nach der Arbeit, bin ich zufrieden. Eine eigene Praxis zu haben ist für mich noch sehr weit weg. Aber für die spätere Zukunft, wenn zum Beispiel die Kinder aus dem Gröbsten raus sind, schließe ich das auch nicht völlig aus.
Haben Sie vor, sich in der zahnärztlichen Standespolitik zu engagieren?
Das weiß ich noch nicht. Warum eigentlich nicht? Da werde ich mal mit meinem Bruder darüber reden, der ist Politikwissenschaftler in Berlin (lacht). Denn wenn der Sport irgendwann weiter in den Hintergrund tritt, wird die Zahnmedizin und das Engagement dafür für mich mehr im Vordergrund stehen. Und ob Quote oder keine Quote für Frauen – ich möchte, dass es fair zugeht in den Standesvertretungen.
Wie erklären Sie Ihrem Chef Ihre häufige Abwesenheit?
Schon im Bewerbungsgespräch habe ich Herrn Stähn gesagt, dass ich häufig unterwegs sein werde, teilweise mehrere Wochen am Stück. Das ist aber alles eine Sache der Organisation, es muss einfach menschlich stimmen. Den Nachteil meiner häufigen Abwesenheit gleiche ich damit aus, dass ich ein absoluter Teamspieler bin und gelassen an jede Herausforderung rangehe. Nach einem stressigen Arbeitstag tobe ich mich abends auf dem Platz aus und komme am nächsten Morgen ausgeglichen zur Arbeit. So schnell bringt mich nichts aus der Ruhe, weder eine gegnerische Stürmerin noch eine Wurzelbehandlung.
Die Fragen stellte Marko T. Hinz.
„Respekt!“
Georg Stähn ist niedergelassener Zahnarzt in Mönchengladbach und der Chef von Julia Sonntag: „Nach dem Bewerbungsgespräch habe ich abends zu meiner Frau gesagt ,Die isset‘. Frau Sonntag ist ein hundertprozentiger Teamplayer, ihre Einstellung zur Arbeit ist toll. Sowas merkt man ganz schnell. Sie kommt mit allen gut aus, was vielleicht auch am Sport liegt, Hockey ist ja eine Mannschaftssportart. Auch bei den Patienten kommt sie gut an mit ihrer ruhigen und freundlichen Art. Die Leute freuen sich auch, wenn sie sie wiedererkennen. Im April lief in Mönchengladbach ja die ,Hockey Pro League‘, darüber wurde viel berichtet.
Dass Frau Sonntag ihren Sport neben dem Beruf ausübt, davor habe ich großen Respekt. Im Sommer nimmt sie an der Europameisterschaft teil. Danach geht die Qualifikation für die Olympischen Spiele 2020 los. Dass ich sie dafür häufig freistellen muss, hat sie mir gleich beim Vorstellungsgespräch mitgeteilt. Ausfalltage als solche werden von der Deutschen Sporthilfe bezahlt, ein wirtschaftlicher Schaden entsteht durch die Fehltage also nicht.“
Kurzbiografie Julia Sonntag
Beruflicher Werdegang:
2016 Staatsexamen der Zahnmedizin an der Universität Witten/Herdecke
2017 Assistenzzahnärztin bei Viva Dental Mönchengladbach/Düsseldorf
2019 angestellte Zahnärztin bei Georg Stähn in Mönchengladbach
Sportlicher Werdegang:
1995–2007 Gladbacher HTC
2008–2009 RTHC Leverkusen (2. Bundesliga)
Seit 2009 Rot-Weiß Köln (1. Bundesliga, 3x Deutscher Meister: 2x 2012, 2014)
Seit 2015 A-Nationalspielerin
2018 Hallenhockey-Weltmeisterin und Kölns Sportlerin des Jahres