Die neuen Ufer der gematik
Vorbei die Zeiten als die „gematik Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte mbH“, so die vollständige Bezeichnung der gematik, die Kommunikation ihres Tuns und Lassens ausgesprochen sparsam betrieb. Modell Auster. Die öffentliche Wahrnehmung erfolgte meist, indem sich die Gesellschafter – der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen und die Spitzenorganisationen der Leistungserbringer – zu dieser „Firma“, vor allem aber zu deren „Produkt“ Telematikanwendungen der Gesundheitskarte äußerten.
Wobei diese Firma nun gerade nicht Produkte entwickelt, sondern technische Spezifikationen, um die politischen Vorgaben für eines der wichtigsten Projekte zur Digitalisierung des Gesundheitswesens – der Telematikinfrastruktur (TI) – für alle Marktteilnehmer verbindlich umzusetzen. Dies allerdings mit der gebotenen öffentlichen Zurückhaltung. Auch diese Zeiten sind vorbei. Denn seit das Bundesgesundheitsministerium unter Federführung von Jens Spahn im Frühling diesen Jahres per Gesetz die gematik gekapert hatte, änderten sich nicht nur die Mehrheitsverhältnisse sondern auch der Stil von zurückhaltend auf präpotent, wie Österreicher zu sagen pflegen. Dazu ein Zitat aus einer Pressemitteilung vom 2. Oktober: „Die Gesellschaft soll künftig unter „gematik GmbH“ firmieren. Damit wird der Entwicklung der gematik hin zu einem Kompetenzzentrum des digitalen Gesundheitswesens auf nationaler und europäischer Ebene Rechnung getragen.“
Europäische Ebene – das ist schon der Griff in das ganz große Regal. Doch es geht noch besser. So ließ der Geschäftsführer Dr. Markus Leyck Dieken, weiter verlauten: „Es war längst überfällig, den Firmennamen anzupassen. Denn die gematik ist weit mehr als die elektronische Gesundheitskarte.“ Mit dem E-Health Gesetz sei die TI bereits für elektronische Anwendungen geöffnet worden. „Wir in der gematik haben die TI aufgebaut und sind nun dafür zuständig, dass sie auch zuverlässig funktioniert. Das macht uns zu einem entscheidenden Akteur für die umfassende Digitalisierung des Gesundheitswesens“, so Leyck Dieken. Wow, gut gebrüllt Löwe, das klingt fast wie bei Jens Spahn. Der Bundesgesundheitsminister vergisst auch geflissentlich zu erwähnen, dass der GKV-Spitzenverband, der 24,5 Prozent hält, die Arbeit der gematik bis dato zu 100 Prozent mit einem Euro je Mitglied und Jahr aus der GKV finanziert. Klingt nach nicht viel, aber ist die Finanzierung dieser neuen „Zuständigkeiten“ wirklich die Aufgabe der Krankenkassen? Im Gesetz steht jedenfalls anderes.
Mit solcher Art Zwangsbeglückungen kennt sich der Gesetzgeber jedenfalls aus, wie auch im Entwurf des Digitale Versorgung-Gesetz (DVG) deutlich wird. Dort ist unter anderem vorgesehen, den Innovationsfonds über die ursprünglich vorgesehenen vier Jahre von 2015 bis 2019 hinaus bis Ende 2024 mal eben zu verlängern. Sicher – für die Verbesserung der Gesundheitsversorgung in Deutschland sind die vielen Projekte wichtige und zukunftsweisende Schritte. Aber die vorgesehenen 300 Millionen Euro jährlich(!) werden ebenfalls aus dem Säckel der gesetzlichen Krankenkassen berappt, sind letztlich Gelder der Versicherten und ihrer Arbeitgeber.
Nun will ich nicht den Innovationsfonds eins zu eins mit der gematik vergleichen, aber wenn Jens Spahn das Gesundheitswesen zu seinem digitalem Glück führen, um nicht zu sagen zwingen will, dann sollte er dieses Unterfangen auch aus Steuermitteln finanzieren. Im neuen Haushalt des BMG findet sich dazu jedoch nichts. In Analogie zum Vorgehen beim Innovationsfonds ist die Spekulation erlaubt, ob sich in Bälde angesichts all der vielen neuen Aufgaben der neuen gematik eine Erhöhung der Umlagefinanzierung in irgendeinem neuen Gesetz finden wird. Dabei hat man noch nicht einmal die Datenschutzproblematik für die TI abschließend geklärt. Bis heute liegt keine Datenschutzfolgenabschätzung der gematik vor. Während also noch nicht einmal Basales geregelt ist, redet man lieber einer gematik als „zukünftigem Kompetenzzentrum des digitalen Gesundheitswesens auf nationaler und europäischer Ebene“ das Wort. Da ist es doch ganz praktisch, dass die Altgesellschafter zwar entmachtet, aber immer noch an Bord sind. Falls also die großen Vorhaben schiefgehen, hat man immerhin bereits die Schuldigen.
Dr. Uwe Axel Richter
Chefredakteur