BZÄK und KZBV zur IGES-Analyse

KFO-Gutachten mit Bias!

Im November 2018 hatte das Berliner IGES Institut ein Gutachten zu Sinn und Zweck von KFO-Behandlungen veröffentlicht. Diverse Medien sprachen daraufhin der KFO generell einen zahnmedizinischen Nutzen ab. In einer fachlichen Stellungnahme erläutern die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) und die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung (KZBV) nun detailliert ihre Haltung – und begründen, warum das Gutachten ohne zahnmedizinische Expertise die falschen Schlüsse zieht.

Gleich eingangs der Stellungnahme stellen BZÄK und KZBV klar, dass sie es für nicht sachgerecht erachten, wegen einer nicht ausreichenden Evidenzgrundlage zu schlussfolgern, dass kieferorthopädische Behandlungen per se keinen medizinischen Nutzen haben. Die vom IGES bemängelte fehlende Evidenz für den Zusammenhang von KFO- Behandlungen und Erkrankungen wie Karies oder Parodontitis sei wissenschaftlich nur schwer herstellbar. Daraus jedoch abzuleiten, dass kieferorthopädische Behandlungen generell keinen Nutzen für Patienten haben, ist für BZÄK und KZBV schlicht „nicht nachvollziehbar“.

Aufgabe ist, Fehlstellungen zu korrigieren ...

So sei etwa in dem Gutachten als patientenrelevanter Endpunkt zum Nutzen von Zahnspangen die Morbidität in den Ausprägungen Karies, Parodontitis und Zahnverlust herangezogen worden. „Die Kieferorthopädie hat aber primär die Aufgabe, eine Fehlstellung der Zähne zu korrigieren, so dass als primäre patientenrelevante Endpunkte eigentlich die ‚Wiederherstellung einer guten Kaumechanik‘ und die ‚Korrektur eines eventuell vorhandenen Sprachfehlers‘ hätten herangezogen werden müssen“, heißt es in der Stellungnahme. 

Auch sei es nach SGB V Aufgabe der Kieferorthopädie, Beeinträchtigungen von Kauen, Beißen, Sprechen oder Atmen zu therapieren – und nicht Karies und Parodontitis. „Die KZBV und die BZÄK sehen deshalb keinen Anlass, am Nutzen kieferorthopädischer Therapien zu zweifeln. Viele der vom IGES Institut identifizierten Studien belegen sowohl eine Verbesserung der mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität als auch positive kieferorthopädische Behandlungseffekte.“

Bei der Frage, welche langfristigen Auswirkungen die wichtigsten kieferorthopädischen Behandlungsarten auf die Mundgesundheit haben, beschränke sich das Gutachten auf die nicht primär kieferorthopädischen Endpunkte Karies, Gingivitis, Parodontitis, Zahnverluste, Zahnlockerungen, Schmerz, Wurzelresorption und unerwünschte Ereignisse. Dies sei „nicht sachgerecht“, kritisieren die beiden zahnärztlichen Organisationen.

Generell würden die nachgewiesenen positiven Effekte einer kieferorthopädischen Behandlung in dem Gutachten nicht ausreichend gewürdigt. So könnten eine „Verbesserung der Zahnfehlstellungen“ und auch eine „Verbesserung der mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität“ durch eine kieferorthopädische Behandlung sehr wohl gemessen werden. „Der Endpunkt ‚Korrektur der Zahnfehlstellungen‘ wird unsererseits als der primäre (‚wahre‘) patientenrelevante Endpunkt für den Nutzenbeleg einer kieferorthopädischen Behandlung angesehen“, stellen BZÄK und KZBV fest.

In Summe erfülle das Gutachten daher nicht die Voraussetzungen, um eine Evidenzgrundlage für eine Nutzenbewertung zu sein. Gleichwohl zeige es Tendenzen und Trends auf, die zu vertiefen sind. Schließlich seien die betroffenen Patienten fast ausschließlich Kinder und Jugendliche und damit einer vulnerablen Gruppe zugehörig. Da BZÄK und KZBV hier ihre Expertise bereits mit dem Konzept „Frühkindliche Karies vermeiden“ (2014) bewiesen haben, könnte diese lösungsorientierte Herangehensweise aus ihrer Sicht für die Kieferorthopädie ein möglicher und sinnvoller Weg sein. 

... und nicht Parodontitis und Karies zu therapieren

Insgesamt sei der Untersuchung jedoch anzumerken, „dass bei der Erstellung keine kieferorthopädische beziehungsweise zahnmedizinische Expertise eingebunden war“, merken BZÄK und KZBV an. Als Beispiel nennen sie die inhaltlich falsch zitierten Ziele der therapeutischen Maßnahmen. „Daraus ergibt sich eine Fehlfokussierung; sowohl in der Operationalisierung der Fragestellung, der Auswahl der Studien als auch in der Interpretation derselben.“

 Recht geben BZÄK und KZBV den Autoren, dass es unmöglich sei, eine placebo-kontrollierte Interventionsstudie (Randomisierte kontrollierte Studien/RCT oder Klinische kontrollierte Studien/CCT) durchzuführen: Denn auch sie halten es ethisch für nicht vertretbar, den Teilnehmern der Kontrollgruppe eine Therapie vorzuenthalten und sie damit höchstwahrscheinlich negativen Auswirkungen auszusetzen. Die Untersuchung der gewählten Endpunkte des IGES-Gutachten mittels solcher Studiendesigns wäre in der Mehrzahl der Fälle mit gravierenden, irreversiblen Schäden wie Karies, Zahnlockerung und Zahnverlust in der Kontrollgruppe verbunden. Zudem würden derartige Studien lange Beobachtungszeiträume erfordern, was kaum umsetzbar sei, da eine Aufrechterhaltung der verschiedenen Gruppen über 20 bis 30 Jahre nur schwer möglich sei.

Man merkt: Zahnärztliche Experten waren nicht dabei

Den Standesvertretungen zufolge würde die Versorgung zusammenbrechen, wenn man beginnt, „jede Leistung aus dem Katalog der Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung zu streichen, die den gestellten Anforderungen der ‚externen Evidenz‘ nicht genügt (unter ausschließlicher Heranziehung von Studien auf RCT-Niveau).“ Vielmehr sei den Befürwortern einer Ausgrenzung der Kieferorthopädie aus der gesetzlichen Krankenversicherung die Frage entgegenzuhalten, „ob wir es uns als Gesellschaft leisten können und wollen, die Möglichkeiten, die dieses Fachgebiet der Zahnheilkunde den Patienten bietet, ausschließlich Gesellschaftsschichten zu ermöglichen, die sich eine dann private Behandlung leisten können“. 

BZÄK und KZBV verweisen auch darauf, dass die Kieferorthopädie nicht nur ein Fachgebiet innerhalb der Zahnmedizin ist, sondern dass jeder angehende Zahnarzt eine universitäre Ausbildung im Bereich der Kieferorthopädie haben muss. Auch internationale Leitlinien kennzeichneten die eigenständige Professionalität des Fachbereichs. Zwar habe auch das IGES in seinem Gutachten zwei Leitlinien identifiziert, jedoch nicht weiter zur Abbildung des Standards für die kieferorthopädische Versorgung aufgegriffen. Damit fehle eine „neutrale Darstellung der Diagnostik- und Therapieschritte in der kieferorthopädischen Behandlung“.

Einzelne Formulierungen im Gutachten seien zudem tendenziös und ständen in Widerspruch zu der notwendigen wissenschaftlichen Neutralität: „So wird etwa zu den Kosten der kieferorthopädischen Behandlung das Postulat ‚Behandlungsmaßnahmen der KFO sind teuer‘ ohne Bezugspunkt in den Raum gestellt.“

Weiterer Kritikpunkt: In Bezug auf die Fragestellung zu den therapeutischen Maßnahmen erfolge keine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Thematik. Im Gutachten würden lediglich intra- und extraorale Geräte erwähnt – eine Differenzierung zwischen herausnehmbaren und festsitzenden Apparaturen, zwischen Früh- und Spätbehandlungen unterbleibe jedoch. Für die Bewertung des Nutzens einer Maßnahme spiele es aber eine ganz entscheidende Rolle, welches extraorale Gerät explizit für welche Behandlungsaufgabe einsetzt wird, stellen BZÄK und KZBV klar. Ebenso mache es bei den intraoralen Geräten einen ganz erheblichen Unterschied, ob der Nutzen von festsitzenden oder herausnehmbaren Geräten analysiert werden soll. 

KFO ist ein Fachgebiet der Zahnmedizin!

„Alle diese Geräte mit ihren jeweils sehr spezifischen Indikationen und zum Teil sehr unterschiedlichen biologischen Wirkmechanismen unter dem Begriff ‚Interventionen intra- und extraoraler Geräte‘ zu subsumieren und dies zur Grundlage einer Evidenzanalyse eines ganzen Fachgebiets zu machen, erweist sich aus fachlicher Sicht als viel zu undifferenziert und führt zu Fehlinterpretationen“, bilanzieren BZÄK und KZBV. Sie stoßen sich auch daran, dass bei der Anwendung der KIG-Systematik in der KFO im Gutachten der Eindruck erweckt werde, diese sei ohne jeden wissenschaftlichen Bezug entstanden. Stattdessen konzentriere sich das Gutachten auf die international üblichen kieferorthopädischen Indizes IOTN, ICON, PAR und DAI: „Damit aber bleibt unberücksichtigt, dass diese ganz unterschiedliche Anwendungen haben.“ So werde etwa der IOTN primär zur Objektivierung des kieferorthopädischen Behandlungsbedarfs herangezogen. Darüber hinaus stimmten die durch die Vorgaben der vertragszahnärztlichen kieferorthopädischen Behandlung beschriebenen Patientengruppen nicht mit der Population überein, die mittels der Indizes IOTN, ICON, PAR und DAI in den selektierten Studien erfasst werden. Das bedeute im Ergebnis: „Das Gutachten leidet damit unter einer nicht zu vernachlässigenden Verzerrung (Bias).“

Die Regelversorgung ist ohne Zuzahlung!

Zur Frage der Inanspruchnahme von Mehr- und Zusatzleistungen im Rahmen der vertragszahnärztlichen kieferorthopädischen Behandlung konstatiert das IGES-Gutachten, keine validen Zahlen festgestellt zu haben. BZÄK und KZBV stellen klar, dass fachzahnärztlich unbestritten ist, dass die Regelversorgung eine angemessene Versorgung ohne Zuzahlung vorhält. Freilich gebe es jedoch auch in der Kieferorthopädie Maßnahmen, die den Komfort für den Patienten verbessern können. Im Gegenzug sollte eine Inanspruchnahme von Mehr- oder Zusatzleistungen aber nicht dazu führen, dass die Grundleistung dem Versicherten nicht mehr zusteht. Gerade hierzu habe die KZBV unter wissenschaftlicher Begleitung der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK) und der Deutschen Gesellschaft für Kieferorthopädie (DGKFO) 2016 eine Vereinbarung mit dem Berufsverband der Deutschen Kieferorthopäden (BDK) zur kieferorthopädischen Versorgung getroffen, die sinnvolle und für die Patienten transparente Wege dazu aufzeigt, verdeutlichen BZÄK und KZBV in ihrer Stellungnahme.

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