Total innovativ: von volldigital bis analog
Die Totalprothese gehört (mit ihren Wurzeln im 19. Jahrhundert) zu den Anfängen der modernen Zahnheilkunde. Damals erhitzte man Naturkautschuk auf 140 bis 160 Grad und machte diesen unter Beimengung von Schwefel elastisch und wärmebeständig. Heute verfügt man über bessere Werkstoffe: Heiß- und Kaltpolymerisate, spezielle Unterfüllungsmaterialien und Thermoplasten für allergiesensible Patienten. Spezielle lichthärtende Kunststoffe haben die Anzahl der Arbeitsschritte reduziert – doch im Wesentlichen blieb die komplett manuelle Herstellung der Standard.
Die kritische Masse an digitalen Systemen ist erreicht
Obwohl bereits vor dreizehn Jahren funktionierende Konzepte für eine digitale Unterstützung beschrieben wurden [Busch und Kordaß, 2006], kamen erst in jüngster Zeit verschiedene Systeme für die Praxis auf den Markt. Zur IDS 2019 sind es deutlich mehr als ein halbes Dutzend [Schweiger et al., 2018]. Dreidimensional drucken oder schleifen bzw. fräsen? Volldigital oder semidigital arbeiten? In einem Stück fertigen oder aus zwei Teilen (Prothesenbasis + Zahnreihen)? Der Zahnarzt bzw. das zahnärztlich-zahntechnische Team hat die Wahl zwischen unterschiedlichen Herstellungsverfahren.
Der Vorteil der (Teil)Digitalisierung liegt in einer Reduktion der Anzahl der Sitzungen. Je nach Workflow vermindern sich diese von fünf (klassisch analog) auf bis zu zwei. Dabei gilt es, sich zwischen verschiedenen Optionen zu entscheiden. Bei einem semidigitalen Vorgehen etwa hat der Zahnarzt die Möglichkeit, eine Wachseinprobe vorzunehmen und die zunächst virtuelle Zahnaufstellung am Patienten zu korrigieren. Dabei lassen sich dann zum Beispiel die Ruhe-Schwebe-Lage, die statische und die dynamische Okklusion sowie die Phonetik komplett mitberücksichtigen. Das ist bei einem volldigitalen Verfahren nicht ohne Weiteres vorgesehen, dafür müssten separat sogenannte Try-in-Prothesen hergestellt werden.
Alternativ lässt sich eine virtuelle Wachseinprobe vornehmen. Sie basiert auf einer Best-fit-Ausrichtung dreier Gesichtsscans. Einige Experten vermuten, dass diese dreidimensionale Erfassung zukünftig auch mit Smartphones, Tablet-PCs oder anderen einfachen Geräten möglich sein könnte. Generell gilt die Faustregel: Je digitaler und je weniger Einzelteile, desto stärker lässt sich die Anzahl der Sitzungen reduzieren.
Auch der rein analoge Weg wird attraktiver: Hier lassen sich die Einzelschritte (und Sitzungen) vermindern, indem zum Beispiel Funktionsabformung und Bissregistrierung in einer einzigen Behandlungssitzung stattfinden [Schweiger et al., 2018]. Darüber hinaus lassen sich mit neuartigen Kaltpolymerisaten deutlich größere Festigkeiten erreichen. Für den Patienten bedeutet das eine stabilere Totalprothese: Sie darf auch einmal ins Spülbecken oder auf den Badezimmerboden fallen, ohne gleich beschädigt zu werden und einer Reparatur zu bedürfen.
Wachseinprobe ohne Wachs, am Monitor statt im Mund
Das gesamte Feld um Reparaturen und Pflege von Totalprothesen wird in Zukunft einen noch breiteren Raum einnehmen. Zwar behalten die Patienten ihre Zähne länger, doch werden sie auch älter. So entsteht etwa ein Bedarf nach „Rundumreinigung herausnehmbarer Prothesen“ bei Bewohnern von Seniorenheimen. Ein Tipp dazu: Zu erwägen ist, inwieweit diese Aufgaben im Zusammenspiel des zahnärztlichen und des zahntechnischen Teams gelöst werden können.
Ob es sich um digitale Technologien, um neue Werkstoffe oder um Reparaturen und Pflege handelt – immer ist Teamplay gefragt. Darum lohnt sich besonders ein gemeinsamer Rundgang mit dem Zahntechniker – vom 12.3. bis zum 16.3. auf der IDS in Köln.
Christian Ehrensberger
Frankfurt am Main
Literatur:
1. Busch M, Kordaß B: Concept and development of a computerized positioning of prosthetic teeth for complete dentures. Int J Comput Dent 2006;9:113–120
2. Schweiger J, Stumbaum J, Edelhoff D, Güth, J-F: Systematics and concepts for the digital production of complete dentures: risks and opportunities. Int J Comput Dent 2018;21(1):41–56
Reduktion der Anzahl der Sitzungen für eine Totalprothese von fünf (klassische analoge Herstellung) auf zwei: volldigitaler Ansatz mit einteiliger Konstruktion für die subtraktive Herstellung.