Versorgung per Abrollkipper
Herr Dr. Blum, gab es einen direkten Anlass für den Bau des Zahnmobils?
Dr. Christoph Blum: Im November und Dezember 2017 wurde unsere Praxis massiv von Rettungsdiensten angefahren. Die dementen beziehungsweise behinderten Patienten kamen oft ohne Betreuer, was die Behandlung erschwerte. Das Grundproblem mit dementen Patienten aus zahnärztlicher Sicht ist, dass sie oft nicht kooperationsfähig oder -willig sind und in den Heimen keine Zahnärzte vor Ort sind. Ich kam dann auf die Idee mit der mobilen Behandlungseinheit aus einem Abrollkipper, dessen Container auf Erdniveau abgesenkt werden kann und Rettungsdiensttragen enthält.
Zum Hintergrund: Wir sind die einzige Nicht-MKG-Praxis zwischen Bonn, Mainz und Gießen, die aber mit drei oralchirurgischen (OC-) Betten im Bettenbedarfsplan von Rheinland-Pfalz stehen, obwohl Zahnärzte nicht stationär abrechnen dürfen.\
Hatten Sie ein Vorbild?
Die Bestandteile des Zahnmobils musste ich mir zusammensuchen. Die Zahnmobile in Hannover und Hamburg konnte ich nicht oder nur bedingt zum Vorbild nehmen, da sie für gehfähige Patienten ohne Narkosebedarf konzipiert sind. Als Reserveoffizier, Stabsarzt der Reserve, besann ich mich auf die Kameraden beim Sanitätsregiment II Rennerod. Hier konnte ich weitere Anregungen für die Konzeption gewinnen. Leider ist eben nichts Bestehendes einfach adaptierbar.
Wichtig ist, dass es sich hier nicht um eine mobile Zahnarztpraxis handelt, sondern um ein Zahnarztpraxismobil. Oder kurz: Zahnmobil. Weder versorgt es sich autonom mit Strom, noch gibt es eine eigene Sterilisationsmöglichkeit. Beides ist bewusst so eingerichtet. Das Besondere an dem Mobil ist, dass erstmals explizit die Versorgung von Alten- und Behindertenheimen möglich wird.
Wenn der Container abgesenkt wird, kommt doch sicher Einiges ins Rutschen?
Bei einer Wandbefestigung geht das Glas der Röntgenröhre in dem Moment kaputt, wo der Container mit einem 40-Grad-Winkel abgelassen wird und auf dem Bordstein oder Asphalt aufsetzt. Also lautete eine der Fragen: Wie kriege ich ein Röntgenbild hin? Dann hörte ich von einem mobilen Röntgengerät, das von der Uni Ulm zugelassen worden ist. Damit kann ich sogar in die Pflege- und Behindertenheime gehen.
Ausstattung, Maße, Kommunikation
technische Ausstattung
Abrollkipper von MAN, mit einer zulässigen Gesamtmasse von 26 Tonnen, Länge inklusive Container 8,60 Meter
Stellfläche rund 20 Meter (mit am Haken abgesetztem Container)
Container innen: 6,30 Meter lang, 2,15 Meter breit, 2,20 Meter hoch
Container außen: 6,90 Meter lang, 2,40 Meter breit, 2,60 Meter hoch.
medizinische Ausstattung
zwei Fahrtragen aus dem Rettungsdienst für Patiententransport und Behandlung
mobiles Behandlungscart mit Turbine, zwei Motoren, Multifunktionsdüse und zwei Saugern
Lachgas- und Narkosegerät
Multifunktionsüberwachungsmonitor inklusive Gasmessung für die Anästhesie
mobiles handgehaltenes Kleinbild-Röntgengerät zum Einsatz im Heim und im Container
sämtliche zahnärztliche Instrumente und Materialien für konservierende, chirurgische und prothetische Zahnheilkunde
Klimatisierung und HeizungAn der Stirnseite befindet sich der zahnärztliche Behandlungsbereich und seitlich der Bereich für die Anästhesie. Durch eine mobile Trennwand sind im Heck Kontrollbereich und Schreibplatz abgegrenzt. Der Zugang erfolgt für die Patienten und Tragen durch die große Doppelflügeltür am Heck, Ärzte, Personal und Betreuer können eine zweite seitliche Tür im vorderen Bereich nutzen.
Kommunikation
Nach der Feststellung des Behandlungsbedarfs bei einem Patienten durch das Heimpersonal, den Heim-Zahnarzt oder den Hausarzt nimmt der Betreuer Kontakt mit dem Koordinator in der Praxis auf. In der Praxis werden dann alle medizinischen Informationen und die Planung der notwendigen Behandlungen zusammengetragen. Die personelle und materielle Ausstattung des Zahnmobils erfolgt bedarfsgerecht für den Einsatz vor Ort.
Wichtig: Die erste Kontaktaufnahme muss aufgrund der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) über die Pflegeeinrichtung vom Patienten oder Betreuer ausgehen. Die Behandlungsdokumentation bleibt analog (auf Karteikarten), um im Fall von EDV-Problemen immer noch handlungsfähig zu sein.
Wie haben Sie das Projekt finanziert?
Ich hatte mit mehreren Institutionen Gespräche geführt: der KZV Rheinland-Pfalz, dem Ministerium in Mainz, dem Rhein-Lahn-Kreis. Inzwischen kam eine kleine finanzielle Unterstützung vom Landkreis in Höhe von 10.000 Euro und vom Land 15.000. Meine Bank hat mir einen Kredit über die volle Summe gewährt, 160.000 Euro. Und einige Hersteller räumten mir 20 Prozent Sonderrabatt auf Ausstattung und Verbrauchsmaterial ein.
Kein Verstoß gegen das Berufsrecht
„Laut dem Berufsrecht ist es Zahnärzten grundsätzlich untersagt, ihre Tätigkeit im Umherziehen auszuüben. ,Das Heilberufsgesetz und die Berufsordnung schreiben vor, dass die Berufsausübung an einen Praxissitz gebunden ist, um den behandelnden Zahnarzt in Notfällen, aber auch haftungsrechtlich zuverlässig erreichen zu können‘, erklärt Dr. Wilfried Woop, Präsident der Landeszahnärztekammer Rheinland-Pfalz. Dies schließe aber nicht aus, dass der Zahnarzt seinen Beruf in weiteren Praxen oder an anderen Orten ausübt, wie zum Beispiel in Alten- und Pflegeheimen oder eben auch in mobilen Behandlungseinheiten. Woop verweist auf den Kommentar zur Musterberufsordnung der Bundeszahnärztekammer zu § 9 Abs. 2 MBO: ,Die Tätigkeit mit mobilen Behandlungseinheiten ist demnach keine Berufsausübung im Umherziehen, wenn daneben ein Praxissitz an einem festen Ort vorhanden ist.‘
Freie Fahrt hat Blum auch vom Gesundheitsamt bekommen: Die Hygieneanforderungen sind erfüllt. Das Umwelt- und Energieministerium, die Struktur- und Genehmigungsbehörde Nord sowie der TÜV haben der mobilen Röntgenanlage grünes Licht gegeben.“
Auszug aus der rheinland-pfälzischen „KZV aktuell“, Ausgabe 1/2019
Wann kommt das Gefährt auf die Straße?
Zurzeit sind wir in der Hochphase des Containerbaus und der Triage der Bewohner in fünf Alten- und Pflegeheimen mit der Planung der ersten Einsätze des Zahnmobils. Im Februar erfolgten der Innenausbau und die Abnahme. Im März werden wir die erste Erprobung durchführen, Abläufe einüben, gegebenfalls Kinderkrankheiten beseitigen. Der reguläre Einsatz beginnt ab April.
Statement Dr. Peter Matovinovic
„Wir haben den Spielraum des Vertragszahnarztrechts genutzt!“
Um die medizinische Versorgung von Patienten flächendeckend sicherzustellen, bedarf es mitunter unkonventioneller Ideen. Mit seinem Zahnarztmobil schlägt Dr. Christoph Blum einen kreativen Weg ein und reagiert auf die lokalen Versorgungsgegebenheiten. Die Zukunft wird zeigen, ob diese Form der Patientenbehandlung eine Ergänzung der zahnärztlichen Versorgung sein kann.
In veränderten Zeiten ist es wichtig, neue Konzepte nicht von vorneherein zu blockieren, deswegen haben wir uns intensiv mit dem Vorhaben auseinandergesetzt. Wir haben den Spielraum des Vertragszahnarztrechts genutzt und das Zahnarztmobil für die Patientenversorgung genehmigt. Konkret haben wir die zulassungsrechtlichen Bestimmungen über Zweigpraxen angewendet.
§ 24 Abs. 3 Zahnärzte-ZV gestattet die vertragszahnärztliche Tätigkeit außerhalb des Vertragszahnarztsitzes, wenn sich dadurch die Versorgung der Versicherten am Ort der geplanten Zweigpraxis verbessert und wenn die Versorgung der Patienten am Vertragszahnarztsitz nicht darunter leidet.
Unsere Genehmigung war zudem an zwei Voraussetzungen geknüpft: Die Landeszahnärztekammer hat keine berufsrechtlichen Einwände. Weiterhin dürfen im Zahnarztmobil ausschließlich Patienten aus stationären Pflegeeinrichtungen versorgt werden, mit denen Dr. Blum einen Kooperationsvertrag nach § 119b Abs. 1 SGB V geschlossen hat. Die Genehmigung ist auf den Bereich der KZV Rheinland-Pfalz beschränkt.
Dr. Peter Matovinovic, Vorstandsvorsitzender der KZV Rheinland-Pfalz