Hilfseinsatz auf Lesbos

Bitte langfristig keine Komplikationen

Nerma Mameledzija
Die Kollegin Nerma Mameledzija aus Berlin ist der Hilfsorganisation „Health Point Fondation“(HPF) beigetreten. HPF ist die einzige Hilfsorganisation in Griechenland für Flüchtlinge, die ehrenamtlich zahnmedizinische Behandlungen im Flüchtlingslager in Lesbos durchführt. Hier ihr Bericht.

Ich war selber Kriegsflüchtling in Deutschland in den 90ern, als der Krieg in meiner Heimat Bosnien und Herzegowina ausbrach. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie dankbar die bosnischen Flüchtlinge für die Hilfe, die wir in Deutschland erhalten haben, waren. Deshalb berührt mich die aktuelle Flüchtlingskrise in Europa ganz besonders.

Arbeiten hinter Gittern und Stacheldraht

Mit diesem Gedanken habe ich mich für den Einsatz der HPF in Flüchtlingslager auf Lesbos beworben. Ich habe von HPF auf Facebook erfahren. Die Organisation hat nach Volontären für den Einsatz auf Lesbos im Zeitraum Mai/Juni 2019 gesucht. Eine Woche habe ich mit HPF im Moria Camp, dem größten Flüchtlingslager auf Lesbos, verbracht.

Lesbos ist eine wunderschöne Insel, die schon immer von Touristen sehr begehrt war. Das hat sich seit 2015 drastisch geändert. Auf den ersten Blick ahnt man nicht, dass sich – nach nur 20 Minuten Autofahrt von der schönen Hafenstadt Mytilini – dort das größte „offene Gefängnis“ in Europa verbirgt. Moria Camp besteht aus Gittern, Stacheldraht, Containern und improvisierten Zelten aus Nylon mit der Beschriftung UNHCR (englisch für United Nations High Commissioner of Refugees), das steht für die Flüchtlingskommission der Vereinten Nationen. Überwacht wird das Lager vom griechischen Militär. Der Eintritt ist nur möglich, wenn man seinen Ausweis zeigt und auf der Liste der Hilfsorganisationen, die im Camp tätig sind, eingetragen ist.

Die Kapazität des Flüchtlingslagers war seinerzeit für 1.000 Menschen gedacht, die sich nicht länger als zwei bis drei Monate dort befinden sollten. Als ich das Lager im Juni 2019 besucht habe, lebten dort mehr als 5.000 Geflüchtete. Die meisten bewohnten Moria Camp über ein Jahr. Den Berichten zufolge haben im Juli 2019 über 2.600 Neuankömmlinge Lesbos erreicht. Darunter befinden sich Kinder, Frauen, ältere Menschen, Kranke und Schwache. Es sind Menschen, die wegen des Krieges aus Syrien, Afghanistan, der Republik Kongo, dem Irak und Palästina geflohen sind, um ein neues, sicheres Zuhause zu finden. Die Anzahl der Neuankömmlinge steigt für gewöhnlich im Sommer, da es dann weniger gefährlich ist, in den Gummiboten aus der Türkei das Meer nach Griechenland zu durchqueren.

So weit die Fakten und die nackten Zahlen – nun mein Erlebnisbericht: Die häufigste Frage meiner Kollegen nach meiner Rückkehr aus Lesbos war: „Was erwartet mich in Lesbos und wer kümmert sich um mich?“ Mein Bericht will zur Klärung beitragen. 

Meine Sorgen vor der Reise – Sprachbarriere, Sicherheit im Lager und Assistenz während der Behandlung – waren schnell vergessen. HPF hat sehr gute Arbeit geleistet. Sie haben auch Übersetzer engagiert, was die Kommunikation mit den Patienten sehr einfach gemacht hat.

Die Sicherheit im Flüchtlingslager lieferte keinen Grund für Bedenken, da wir den ganzen Tag Wächter um uns hatten. Die haben sich gekümmert, dass alles gut organisiert war. Da ich mit keinem Assistenten angereist bin, habe ich mit zwei großartigen Volontären, die im Flüchtlingslager leben, Anusha und Suad, zusammengearbeitet.

Anusha ist eine junge Medizinstudentin, die aus Afghanistan geflüchtet ist. Sie hat ehrenamtlich assistiert und übersetzt. Suad, ein Flüchtling aus Somalia, hat selbst ohne medizinische Ausbildung eine großartige Arbeit geleistet.

Vor Ort ist alles top organisiert

HPF kümmert sich um die Zahnärzte von der Anreise bis zur Abreise. Die Einreisen lief problemlos, mit einem Stopp in Athen, dann ging es weiter nach Lesbos. Um die Unterkunft habe ich mich selbst gekümmert, inzwischen bietet HPF allerdings auch Unterkunftsmöglichkeiten. Die Arbeitszeit im Camp war von Montag bis Freitag, jeweils von 8:30 Uhr bis 15:00 Uhr. Ich hatte im Durchschnitt 18 Patienten pro Tag. Jeder Tag fing mit der Triage der Schmerzpatienten an. 

Der schwierigste Teil meiner Arbeit war es, den psychischen Zustand der Patienten einzuschätzen. Allein die Reise in überfluteten Gummiboten hinterließ bei vielen ein Trauma. Sehr viele litten unter Kriegstraumata, hatten ihre Zähne im Konflikt oder durch Folter verloren, überwiegend die vorderen Zähne. Ich hatte auch sehr viele Schmerzbehandlungen bedingt durch tief kariöse Zähne, da die zahnmedizinische Versorgung in den Konfliktländern nur unzureichend ist.

HPF hat dank zahlreicher Spenden einen Container im Flüchtlingslager aufgebaut. Dort befanden sich zwei Mobile Einheiten und unterschiedliche Instrumente zur Zahnentfernung, für Füllungen und Füllungsmaterialien. Die Behandlungen an sich waren – radikal.

Das Motto war „Behandlungen durchführen die langfristig keine Komplikationen auslösen können“, da niemand weiß, wann und wo die Patienten die nächste zahnmedizinische Hilfe bekommen. Außer Zahnentfernungen waren auch Füllungen aus Kunststoff, Amalgam und Ketac möglich, gelegentlich auch die Zahnsteinentfernung bei Zahnfleischentzündungen, mit einem Ultraschallgerät, das oft nicht einwandfrei funktioniert hat.

In diesem Jahr konnte HPF 30 Zahnärzte aus der ganzen Welt im Moria Camp begrüßen, die eine erstaunliche Arbeit geleistet haben. Insgesamt sind im ersten Halbjahr 2019 1.725 Behandlungen durchgeführt worden. Es ist sehr beeindruckend, wie vielen Menschen man mit so begrenzten Ressourcen helfen kann.

Eingestellt sein muss man auf traumatisierte Patienten

Jeden Abend nach der Arbeit habe ich mich mit dem Team in der Stadt zum Abendessen getroffen, um über den Tag zu reden, Erfahrungen auszutauschen und die zukünftige Zusammenarbeit zu besprechen. Eins wurde dabei schnell klar: Was uns alle aus vielen unterschiedlichen Herkunftsländern und Migrationshintergründen zusammengeführt hat, war der Wille, anderen Menschen zu helfen. Wir kamen nach Lesbos, ohne zu wissen, was uns erwartet, haben geholfen und wollen HPF weiterhin unterstützen.

So habe ich mich nach dem Hilfseinsatz entschieden, die Hilfsorganisation logistisch zu unterstützen. Zusammen mit den anderen Volontären arbeiten wir daran, das Projekt der Zahnarztpraxis auf Lesbos am Leben zu erhalten – für die Menschen die uns brauchen. Sehr gerne, liebe Kolleginnen und Kollegen, könnt auch ihr unsere kleine Klinik unterstützen und vielen Menschen helfen. Die größte Herausforderung für die Hilfsorganisation ist es, Zahnärzte zu finden, die für Menschen in unmenschlichen Bedingungen Wissen und Zeit spenden möchten.

Wer möchte unterstützen?

Die Formalien: Voraussetzung für die ehrenamtliche Arbeit für Zahnärzte: zwei Jahre Berufserfahrung und Approbation (EU wie auch Approbationen aus nicht EU-Ländern). ZFA, ZMP, DH müssen ebenfalls zwei Jahre Berufserfahrung nachweisen.

Die Dauer des Einsatzes ist mindestens eine Woche. Der Zeitraum kann im Einzelfall am besten mit den Koordinatoren besprochen werden.

Nerma Mameledzija

nerma.mameledzija@gmail.com

Spendenmöglichkeit

Diejenigen, die nicht in der Lage sind, vor Ort zu helfen, können auch mit Spenden helfen, die Klinik aufrechtzuerhalten. Alle Volontäre der Hilfsorganisation arbeiten ehrenamtlich. Die Spenden werden ausschließlich für zahnmedizinisches Verbrauchsmaterial verwendet.Weitere Infos und das Bewerbungsformular findet man auf der Internetseite www.healthpointfoundation.org

Nerma Mameledzija

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